Clemens J. Setz, ausgezeichnet mit dem Büchnerpreis 2021, hat einen neuen Roman veröffentlicht: „Monde vor der Landung“. Mit sprachlicher Virtuosität entwirft er das Porträt eines Querdenkers und Verschwörungstheoretikers.
Neuer Roman von Clemens J. Setz„Monde vor der Landung“ zeichnet das Bild eines verlorenen Querdenkers
Es ist leicht, Sympathie für Menschen zu empfinden, die gegen den Strom der Konventionen schwimmen. Außenseitertum und leidenschaftliche Verschrobenheit besitzt einen Kern von Faszination, dessen Wirkung man sich nur schwer entziehen kann. Aber es gibt Grenzen der Verstiegenheit, vor denen man dann nur noch fassungslos den Kopf schütteln kann. Wie kann jemand glauben, wir lebten nicht auf einer Erdkugel, sondern in einer Kugel, sozusagen auf der Schale ihrer Innenseite?
Peter Bender und seine „Hohlwelt-Theorie“
Peter Bender, geboren 1894 im kurpfälzischen Alzey, Pilot im Ersten Weltkrieg, Schriftsteller und Religionsgründer, vertrat diese sogenannte Hohlwelt-Theorie. Büchnerpreisträger Clemens J. Setz, selbst überzeugt von der Existenz von UFOs und außerirdischem Leben, hat sich die historisch verbürgte Gestalt zum Protagonisten seines neuen Romans „Monde vor der Landung“ auserkoren.
Bender lebt in Worms, einem beschaulichen Universum deutscher Provinz, und Setz begleitet seinen Lebensweg über die zwanziger und dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts hinweg bis kurz vor dessen Tod 1944. Dass Clemens J. Setz ein würdiger Büchnerpreisträger ist, bestätigt er mit diesem Roman aufs Neue. Der gebürtige Grazer vermag mit der deutschen Sprache ungeahnt virtuose Bewegungen zu vollziehen. So erzählt er diese tragische Geschichte in einem leicht altmodischen Diktum, das so harmlos klingt, als berichte er von Begebenheiten aus dem 19. Jahrhundert.
Leidenschaft für ein abstruses Weltbild
Wissenschaft und Forschung haftet hier noch eine experimentelle und durchaus naive Freude an. Setz wechselt elegant die Distanzen. Ganze Zeitläufe summiert er auf den Punkt, um sich dann wieder konkret in Lebenssituationen einzuklinken, die dem Roman dann packend-realistische Momente verleihen. Wir begegnen einem sensiblen Mann, der leidenschaftlich für sein abstruses Weltbild kämpft, während er von anderen Pseudowissenschaftlern ermutigt und zugleich intrigant ausgebootet wird. Ermüdend wirkt die Ausführlichkeit, mit der Setz immer wieder in Benders Theoriegebilde einsteigt. Darunter fließt jedoch ein Handlungsstrom, der einen mit zunehmender Sogkraft in die Tragödie von Benders Familie hinein zieht. Denn bei allem Eifer für seine Sache ist dieser Mann mit sozialer Blindheit geschlagen.
Stück für Stück isoliert er sich, da er keinen Blick für die Außenwelt besitzt. Er selbst befindet sich in einer Kugel, aus der er nicht heraus kommt, während sich draußen die Verhältnisse ändern. Charlotte, seine Frau, die aus einer jüdischen Familie stammt, sieht die Bedrohung, die von den Verleumdungen der nationalsozialistischen Nachbarschaft ausgeht. Dieser faszinierenden Gestalt, die im Roman die Verbindung zur Realität herstellt, bietet Setz nur wenig Raum. Den Nazis fällt nichts anderes ein, als einen Abweichler wie Bender in die Psychiatrie wegzusperren. Zwar gelingt es Charlotte ihren Mann aus dieser Hölle heraus zu holen, aber ein Egozentriker wie Bender vermag den eigenen Kurs nicht mehr zu korrigieren.
Mauthausen und Auschwitz sind die letzten Stationen des Ehepaars. Mit einer leisen, aber überaus wirkungsvollen Dramatik zieht Setz die Schlinge zu. Sanft, fast zärtlich entwirft sein Erzählton ein Deutschlandbild zwischen engstirniger Querdenkerei und der Gnadenlosigkeit kleinbürgerlichen Anstands. Dieser Roman schafft sich seine eigene geschlossene Welt, verspielt in seiner Lust am pseudowissenschaftlichen Fabulieren und hermetisch wie eine gläserne Kugel.
Clemens J. Setz: Monde vor der Landung. Suhrkamp Verlag. 526 S., 26 E.
Clemens J. Setz: Lyriker, Romanautor und Büchnerpreisträger
Geboren wurde Clemens J. Setz 1982 in Graz. In seiner Jugend hatte Clemens Setz kaum Interesse an Literatur. Die Initialzündung für seine Karriere als Autor war der Schriftsteller Ernst Jandl, dessen Gedicht „Die Morgenfeier“ weckte in ihm die Lust an Literatur. Nach der Schule begann er ein Lehramtsstudium der Mathematik und Germanistik, das er jedoch nicht abschloss. Neben dem Studium arbeitete Setz als Übersetzer und veröffentlichte Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien. Er lebt und arbeitet in Wien. 2021 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. (EB)