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Text über seine Arbeit in einem BaumarktDer Bonner Denis Pfabe wurde beim Bachmann-Preis ausgezeichnet

Lesezeit 4 Minuten
Denis Pfabe

In seinem Atelier hat Denis Pfabe eine Werkbank und den Schreibtisch.

Sein nächster Roman, das verrät er schon, wird das Thema Arbeit, die Arbeitswelt behandeln. Und da werde vielleicht auch das Schaulaufen beim Wettbewerb in Klagenfurt ein Thema sein.

Der Beginn der Sommerferien bedeutet für Denis Pfabe und seine Kollegen eines Bonner Baumarkts Stress pur. Es ist die Zeit der Pools, des neuen Rollrasens und des dringenden Wunschs vieler Kunden, den kleinen Garten in ein mondänes Fleckchen Côte d'Azur zu verwandeln.

Faible für Vintage-Bahnräder

Pfabe selbst sagt von sich: „Ich habe einen sehr kleinen Drang zum Eskapismus. Ich muss nicht unbedingt andere Orte sehen.“ Ein Pool im Garten wäre aber auch nichts für ihn. Neulich reiste er allerdings nach Klagenfurt an den Wörthersee. Er war zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur eingeladen, um dort seinen Text „Die Möglichkeit einer Ordnung“ vorzulesen.

Darin beschreibt er einen Tag im Baumarkt aus der Erzählperspektive eines Kunden, der über einen Verlust hinwegkommen will und mit seiner Einkaufsliste Sinnstiftung verbindet. Pfabe gewann damit den Deutschlandfunk-Preis, sozusagen den zweiten Preis im Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.

Wenige Tage später wechselte der 37-Jährige wieder zur Schicht im Baumarkt. „Ich brauche die Kohle. Denn ich kann von meinen Büchern nicht leben“, sagt er. Das Schreiben „erarbeite“ er sich. Wenn er eine Idee für seinen Roman hat, aber gerade mit dem Gabelstapler die Hochregale befüllt, muss es eben warten. Aber das findet er wiederum ganz gut: „Man kann sich morgens hinsetzen und das Licht ausmachen und die Fenster zu, und dann hörst du nichts. Aber die Zeit, die genauso wichtig ist, ist die, wo du nicht scheiben kannst und darfst. Also, dass es einen Austausch gibt.“

Hang zur Leidensfähigkeit

Dem Beruf des Schriftstellers hafte auch ein Hang zur Leidensfähigkeit an. Vom Honorar seines ersten Romans „Der Tag endet mit dem Licht“ (Rowohlt) leistete er sich ein kleines Atelier im Keller eines Altbaus in der Bonner Südstadt. Denis Pfabe restauriert Räder für Bahnrennen. Aus Platzmangel hängen sie bereits an der Decke. Auf dem Tisch liegen Schraubenzieher mit Innensechsrund-Kopf. Bei dem System werden Schraube und Werkzeug weniger mit Radialkräften belastet und folglich weniger beschädigt.

Was man in dem kleinen Raum zwar nicht sieht, ist ein Fischernetz. Aber Pfabe spricht so überzeugend davon, dass gleich eine frische Brise durch den Keller fegt. „Ein guter Roman ist gestrickt wie ein Fischernetz. Ich brauche das vorher, sonst kriege ich keinen Fang.“ Neben den Schraubenziehern gibt es daher Karteikärtchen, auf denen er seine Romane so sorgfältig komponiert, dass die Handlung so leise und meisterhaft dahinschnurrt, wie eines seiner Vintage-Bahnräder.

Sei es in der Geschichte des angekratzten Antihelden, dem Attrappenbauer Simonelli, oder vom Ferrari fahrenden Adrian Ballon, der für ein Kunstprojekt ganze Häuser zersägt. Schon älter ist die Erzählung, die er jetzt in Klagenfurt las. Für ihn ist der Text so eine Art „Testspiel auf Erzählbarkeit.“ Denn viele Jahre habe er sich intuitiv dagegen gesträubt, über seinen Arbeitsplatz zu schreiben: „Da war irgendwie so eine Sperre im Sinne von: ,Da ist ja viel zu viel. Oder es ist zu naheliegend. Oder auch einfach nicht genug'“.

Geschützt am Infoschalter

Erzählt der gelernte Verkäufer, der schon mit Fischkonserven und Herrenanzügen handelte, von seinen täglichen Impressionen, dann wird schnell klar, dass der Baumarkt eine Art Mikrokosmos unserer Gesellschaft ist, die Stoff für nicht nur einen Roman hergibt. Ist der Rasenmäher kaputt, und der Kunde kommt schon mit einer Krawatte in den Baumarkt, bleiben Denis Pfabe nur wenige Sekunden, um zu entschärfen.

„Das ist wie beim Kampfsport. Ganz cool bleiben. Beim Judo nimmt man auch den Schwung des Gegners mit. Das Ganze, was die mitbringen, damit muss ich arbeiten. Das ist wahnsinnig anstrengend, sich jedes Mal dagegen zu stemmen“, sagt er. Zumal es ja nicht sein Rasenmäher sei und er ihn auch nicht kaputt gemacht habe. Hinter der Glasscheibe des Infoschalters habe er zwar einen sicheren Abstand. Doch die Impressionen bleiben trotzdem hängen: „An heftigen Tagen hast du das nicht drei Mal, sondern 15, 30, 50 Mal, dass du mit den Leuten interagieren musst. Und manchmal braucht es nur ein paar Sekunden Zeit, und dann kommt schon der nächste.“

Sein nächster Roman, das verrät er schon, wird das Thema Arbeit, die Arbeitswelt behandeln. Und da werde vielleicht auch das Schaulaufen beim Wettbewerb in Klagenfurt ein Thema sein. „Den Empfang beim Bürgermeister, das gemeinsame Essen – da habe ich blaugemacht. Ich habe dort wahnsinnig wenig von diesen sozialen Events mitgemacht“, sagt er. Stattdessen habe er sich sein Klapprad geschnappt und sei zum See baden gefahren.


Mit dem Gabelstapler in der Gartenabteilung

Zunächst machte Denis Pfabe eine Ausbildung als Kaufmann im Einzelhandel. Anschließend studierte er Medienkommunikation und Journalismus in Köln. Außerdem absolvierte er die Bayerische Akademie des Schreibens. Seit 2016 ist er mehrfach mit Autorenstipendien ausgezeichnet worden. An drei Tagen in der Woche arbeitet er in der Gartenabteilung eines Bonner Baumarkts, fährt dort mit dem Gabelstapler. Er lebt in Bonn, wo er auch ein Atelier unterhält und mit Papiercollagen arbeitet. Seine beiden Romane erschienen 2018 und 2021.

Denis Pfabe:„Der Tag endet mit dem Licht“, Rowohlt, 192 S., 12 Euro. Denis Pfabe:„Simonelli“, Rowohlt, 288 S., 22 Euro.