Zum 50-jährigen Jubiläum bringt Regisseur Bastian Kraft den Klassiker „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ auf die Bühne des Depot 1.
Premiere im DepotWarum Bölls Katharina Blum immer noch aktuell ist

Rebecca Lindauer (vorne) mit Lola Klamroth (l.) und Katharina Schmalenberg.
Copyright: Krafft Angerer
„Sie machen das Mädchen fertig. Wenn nicht die Polizei, dann die ,Zeitung', und wenn die ,Zeitung' die Lust an ihr verliert, dann machen's die Leute.“
Im Juli 1974 erschien Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, in der der Literaturnobelpreisträger beschreibt, wie eine bis dahin unbescholtene junge Frau ins Visier der Polizei gerät, um dann von einer Boulevardzeitung in Grund und Boden geschrieben zu werden.
In der Folge erschießt sie den Reporter, der über sie geschrieben hat und sich dabei um Wahrheit und Ausgewogenheit nicht scherte.
50-jähriges Jubiläum: Katharina Schmalenberg, Lola Klamroth und Rebecca Lindauer spielen alle Rollen
Zum 50-jährigen Jubiläum bringt Regisseur Bastian Kraft den Klassiker auf die Bühne des Depot 1, Katharina Schmalenberg, Lola Klamroth und Rebecca Lindauer übernehmen sämtliche Rollen. Live auf der Bühne fungieren sie zunächst als Erzählinstanz, im Laufe des Abends verwandeln sich alle drei in Katharina Blum, interagieren dabei mit Videoprojektionen, die sie als weitere Figuren zeigen.
Schon länger hatte die Polizei einen Mann beschattet, den sie verdächtigt, ein Bankräuber, möglicherweise aber auch ein Mörder und Terrorist zu sein. Nachdem er eine Nacht bei Katharina verbracht hat und sich an den Beamten vorbei aus ihrer Wohnung schleichen konnte, wird sie für ein Verhör auf die Wache gebracht.
Boulevardjournalist zerstört das Leben Katharina Blum
Später stellt sich heraus, dass er sich als Wehrdienstverweigerer auf der Flucht ausgegeben hatte und sie ihn in einem Anflug von „Räuber-und-Gendarm-Romantik“ aus dem Haus geschleust hatte.
Und während die junge Frau auf dem Revier befragt wird, macht sich ein Boulevardjournalist daran, ihr Leben bis ins Kleinste auseinanderzunehmen, um es dann so zusammenzusetzen, dass dabei eine Schlagzeilengeschichte herauskommt. Er macht aus der Hauswirtschafterin ein „Räuber-Liebchen“, Aussagen von Freunden und Arbeitgebern werden verkürzt oder ins Gegenteil verkehrt.
In der Folge erhält Katharina Drohbriefe und wird telefonisch belästigt. Als sie bei einem weiteren Verhören um Hilfe bittet, wird sie zynisch auf die Pressefreiheit hingewiesen – wobei klar ist, dass die Polizei der „Zeitung“ Informationen gesteckt haben muss. Sich hilflos und alleingelassen fühlend, setzt sie auf Selbstjustiz und stellt sich anschließend freiwillig.
Bastian Kraft setzt True-Crime-Ton von Böll im Theaterstück um
Den True-Crime-Ton, den Böll schon im Buch bemüht, setzt Bastian Kraft auch optisch um. In Videos (von Sophie Lux) kommen sowohl Befragte als auch Polizisten zu Wort.
Der besondere Clou: Die Aussage einer Figur wird jeweils von der Schauspielerin, die sie im Film verkörpert, live auf der Bühne gesprochen, die Lippensynchronität ist dabei so verblüffend perfekt, dass man es kaum fassen kann.
In Kombination mit der Tatsache, dass die Farbgebung der Projektion fast denken lässt, die Personen seien Animationen, entsteht ein Verfremdungseffekt, der das Bedrohliche der Situation unterstreicht. Wie schon bei seiner Adaption von Herta Müllers „Atemschaukel“ läuft Krafts Abend so keinen Moment lang Gefahr, zum bloßen Aufsage-Theater zu verkümmern.
Geschichte von Katharina Blum wird in die 1970 Jahre verortet
Die Geschichte verortet er optisch klar in den 70er Jahren (Kostüme: Jelena Miletić), die Brücke zur Gegenwart schlägt er nur, als er die Schauspielerinnen „Look what you made me do“ singen lässt — Taylor Swifts 2017er Reaktion auf die Diffamierungen ihrer Person in den Medien im Jahr zuvor.
Doch auch, ohne das Lied und seine Hintergründe zu kennen, stellen sich automatisch die Bezüge zu aktuellen Begriffen wie Fake News ein – falsche Informationen und den bisweilen damit einhergehenden Rufmord gab es immer und wird es immer geben.
Das musste auch Böll respektive seine Kinder am eigenen Leib erleben. Während er selbst immer schon auf Kriegsfuß mit den Zeitungen des Axel-Springer-Verlages stand, wurde auch sein Sohn Raimund Opfer einer Kampagne der „Bild“-Zeitung.
Böll bezeichnet sein Werk als eine „Streitschrift“
Weil dessen Wehrpass und abgelaufene Ausweise seiner Frau bei einem Verdächtigen gefunden worden waren, wurde auch die Wohnung des Paares durchsucht — nachmittags. Die Zeitung hatte schon morgens als Ereignis darüber berichtet.
Seine knapp 140 Seiten lange Geschichte bezeichnet Böll im Nachwort einer Neuauflage zehn Jahre später als „erzählerisch verkleidetes Pamphlet“, als eine „Streitschrift“.
Stück kritisiert grell gefärbten Journalismus
Wobei er noch einmal klar macht, wie sehr er dieser Form von Journalismus misstraut: „Wenn sie schreiben würde: ,Die Rosen blühen wieder', würden mich Zweifel befallen, auch wenn ich vor einem blühenden Rosenbeet stünde.“
Dieser Satz fällt auch auf der Bühne des Depot und bringt die Aktualität des Stoffes auf den Punkt: Grell gefärbten Nachrichten ist mit Skepsis zu begegnen – nicht nur in Wahljahren.
Berechtigter begeisterter Premierenapplaus für das gesamte Team, aber vor allem für Katharina Schmalenberg. Rebecca Lindauer und Lola Klamaroth. 110 Minuten (keine Pause).
Wieder am 31.1., 6. und 16.2., jeweils 19.30 Uhr, 18.2., 18 Uhr.