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Cecilia BartoliMit Orpheus in der Philharmonie

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Die italienische Opernsängerin Cecilia Bartoli.

Die italienische Opernsängerin Cecilia Bartoli.

Die italienische Opernsängerin Cecilia Bartoli (58) hat einen Stimmumfang von fast zweieinhalb Oktaven. Sie widmete sich wiederholt dem Repertoire der Kastraten. In der Philharmonie singt sie die Geschichte des liebeskranken Orpheus.

Neugierige Frage vorweg: Ihre ursprünglichen Berufswünsche waren Fremdenführerin oder Flamencotänzerin. Was hat diese Sehnsüchte in Ihnen geweckt?

Nun, wenn man in Rom geboren ist, bietet sich für einen Teenager an, einen Job als Fremdenführer zu bekommen. Den Impuls für den Flamenco gab eine Amateurtruppe, mit der ich einige Male auf der Bühne stehen durfte. Sie wurde von einer Spanischlehrerin geleitet, von der ich viel gelernt habe. Auch für meine professionelle Opernkarriere.

In der Philharmonie singen Sie nun Christoph Willibald Glucks Orpheus. Mit seiner Lyra soll dieser sogar die finstersten Gestalten bezaubert haben. Wie ist es, die Götter der Unterwelt mit Gesang zu berühren?

Haha, danke für das Kompliment. Aber ich habe noch nicht herausgefunden, ob ich mit meinem Gesang die Götter der Unterwelt berühre ...

Aber sogar der Höllenhund Zerberus soll während Orpheus’ schönem Gesang still gewesen sein. Wie hat Gluck eine solche Magie in Bezug auf Klang geschaffen?

Für mich liegt die magische, zutiefst bewegende Qualität von Glucks Musik in ihrer Einfachheit. Das ist der Grund, warum sie uns so wahr und aufrichtig erscheint. Und nicht zu vergessen: die Orchestrierung mit ihren melancholischen Oboen- und Flötensoli, die die schmachtende Stimmung einzelner Szenen so wunderbar unterstreichen. Oder natürlich die drängenden Akkorde der Harfe, die die Klänge der antiken Lyra darstellen.

Welche Bedeutung spielt Glucks „Orfeo ed Euridice“ für die Entwicklung der Oper?

Abgesehen von seiner großartigen Musik für die wenigen Protagonisten ist Glucks „Orfeo ed Euridice“ aus mehreren Gründen eine der bedeutendsten Opern überhaupt. Mit diesem Stück stehen wir mitten in der tektonischen Verschiebung zwischen der Barockoper und einer neuen und völlig anderen Form des klassizistischen Musiktheaters, die sich damals so fest etablierte.

Aber offenbar brauchte das Publikum damals noch etwas Zeit, um die Bedeutung zu realisieren.

Da es viele Fassungen dieses Stücks gibt, kann man auch Glucks persönliche Entwicklung genau verfolgen. Und beobachten, wie er den Charakter seiner „Reformoper“ immer weiter verfeinerte. Man merkt aber auch, wie sich der Geschmack des Publikums immer weiter veränderte: Die Uraufführung in Wien 1762 wurde ohne große Begeisterung aufgenommen, während die zwölf Jahre später uraufgeführte Pariser Fassung ein Riesenerfolg war.

In Ihrem Projekt „Sacrificium“ haben Sie sich 2009 mit der Geschichte der Kastratensänger auseinandergesetzt. Können Sie auch etwas über die Geschichte von Gaetano Guadagni sagen, der bei der Uraufführung von Glucks Oper gesungen hat?

Guadagni war nicht nur ein Ausnahmesänger, sondern auch ein begnadeter Schauspieler – was für Opernsänger der damaligen Zeit ungewöhnlich war. Und er muss ein fantastisch ausdrucksstarker Künstler gewesen sein. Glucks Musik ist völlig frei von Elementen, die das stimmliche Können des Sängers zur Geltung bringen sollen. Der größte Teil von Orfeos Part besteht aus Rezitativen mit einigen Arioso-Elementen oder Dialogen mit den anderen Figuren. Und sie alle werden durch den Fluss des Textes bestimmt. Daher sind Ausdruckskraft und Tiefgründigkeit des Gefühls die Schlüssel zu dieser Musik.

Die Liebesgeschichte ist uralt, aber immer noch relevant. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis der Geschichte von Orpheus und Euridice?

Es ist so zutiefst menschlich zu glauben und zu hoffen, dass die Liebe alles überwinden kann, sogar den Tod. Interessant ist es aber auch, dass alle Orpheus-Opern unterschiedlich enden, manche glücklich, manche tragisch.

Gott Amor sorgt in Glucks Fassung, die nun aufgeführt wird, für ein Happy End. Bedeutet das, dass sie gegenüber der tragischen Version an Bedeutung verliert?

Ich denke, dass Librettist Ranieri de’ Calzabigi und Gluck hier einfach einen Kompromiss eingegangen sind – wegen ihres königlichen Publikums und dessen Erwartungen. Aber unsere Aufführung basiert auf einer szenischen Fassung von Christof Loy, die wir letztes Jahr bei den Salzburger Festspielen gemacht haben, und für die wir uns entschieden haben die Oper auf eine andere Art und Weise enden zu lassen, die besser in ein Theaterstück unserer Zeit zu passen scheint.

Seit letztem Jahr sind Sie Direktorin der Opéra de Monaco. Was ist das für ein Haus?

Die Oper von Monte-Carlo ist ein wunderbares Juwel, erbaut von Charles Garnier, also die kleine Schwester der Pariser Opéra Garnier. Und sie liegt auf der Spitze einer hohen Klippe mit Blick auf das blaue Mittelmeer. Es ist absolut atemberaubend und ein Muss, die Oper zu besuchen.

Aha, die Fremdenführerin in Ihnen scheint geweckt zu sein sein. Können Sie vielleicht noch etwas zu Ihren nächsten Projekten verraten?

In Monte-Carlo haben wir die Möglichkeit, frei und experimentell mit unserer Programmierung zu sein. In dieser Saison werde ich selbst zum Beispiel in einer Neuproduktion von Mozarts „La clemenza di Tito“ (Die Milde des Titus) singen. Und im Februar produzieren wir Wagners „Das Rheingold“, begleitet vom Orchester „Les Musiciens du Prince“ auf historischen Instrumenten. Die vollständig inszenierte Wagner-Oper wird von dem Orchester begleitet. Aber zwischen den Aufführungen gibt es ein Konzert, in dem unter anderem Wagners „Tristan und Isolde“ auf modernen Instrumenten gespielt wird. So lassen sich beide Ansätze innerhalb weniger Tage live erleben. Das sind Dinge, die mich wirklich begeistern.

In der konzertanten Fassung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ (in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln) sind am 22. November, 20 Uhr in der Philharmonie, Sopranistin Mélissa Petit (Euridice / Amore) und Mezzosopranistin Cecilia Bartoli (Orfeo) unter Leitung von Gianluca Capuano und mit dem Orchester „Les Musiciens du Prince – Monaco“ zu hören. Dieses Ensemble wurde von Bartoli mit dem damaligen Operndirektor Jean-Louis Grinda gegründet. Cecilia Bartoli, Künstlerische Leiterin des Ensembles, hat einige der weltbesten auf historischen Instrumenten spielenden Musiker zusammengebracht, um ein Orchester ins Leben zu rufen, das an die Musiktraditionen der großen Höfe im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts anknüpft. Sie entdecken Werke wieder, die in moderner Zeit nie oder nur sehr selten aufgeführt wurden. www.koelner-philharmonie.de