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„Carmina Burana“ in der PhilharmonieWarum das Stück von Carl Orff der Höhepunkt des Sommerfestivals ist

Lesezeit 3 Minuten
La Fura dels Baus (Katalanisch für "Das Frettchen von Els Baus", katalanische Theatergruppe. Sie definiert sich selbst als eine urbane Theatergruppe, die szenische und musikalische Wege abseits des Traditionellen erforscht) gastiert vom 18. bis 23. Juli 2023 mit Carl Orffs Meisterwerk Carmina Burana im Rahmen des „34. Kölner Sommerfestivals“ in der Kölner Philharmonie.
am 18. Juli 2023
in der Kölner Philharmonie, Bischofsgartenstraße 1, 50667 Köln *** Local Caption *** Die Bilder sind grundsätzlich urheberrechtlich geschützt und dürfen ausschließlich einmalig zu journalistischen Zwecken des direkten Auftraggebers genutzt und weder archiviert noch an Zweite oder Dritte weitergegeben werden!

La Fura dels Baus arbeiten für „Carmina Burana“ mit Projektion auf einer runden Leindwand.

Das Sommerfestival in der Philharmonie endet mit einer Inszenierung von Carl Orffs„ Carmina Burana“.

„Alles, was ich bisher geschrieben habe und was Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen! Mit ‚Carmina Burana‘ beginnen meine gesammelten Werke“, schrieb Carl Orff 1937 an seinen Verleger. Alles einzustampfen, was bisher beim 34. Kölner Sommerfestival gezeigt wurde, hieße der Revue „Berlin Berlin“, der Tanzshow „Ballet Revolución“ und den Trommelnden von Yamato bitter Unrecht tun. Aber die szenische Interpretation von Orffs „Carmina Burana“ durch die Theatergruppe La Fura dels Baus setzt dem Bisherigen eine Sahnepyramide auf.

Magische Bilder und visueller Zauber

Was in etwas weniger als 90 Minuten gezeigt wird, ist sensationell, spektakulär, sinnenfroh. Und kommt dem, was Orff 1935/36 vollständig mit „Beurer Lieder: Weltliche Gesänge für Sänger und Chöre begleitet von Instrumenten und magischen Bildern“ überschrieb, sehr, sehr nahe. Weil es keine konzertante Aufführung ist, sondern eine, die ihren visuellen Zauber aus den Regie-Ideen- und der Bühnengestaltung von La Fura dels Baus-Gründungsmitglied Carlus Padrissa bezieht.

Flötenklänge eröffnen den Einzug des Chors über die Treppen hinab zur Bühne. Lampen an Klemmbrettern tauchen die Prozession in geisterhaftes Licht. Rechts schreiten die Frauen, links die Männer. Weißgeschminkten Gesichter, weiße Gewänder. Sie erinnern an die von Mönchen und an die von Priesterinnen in der Antike.

Ein gigantischer Zylinder aus Tüll umhüllt das Orchester, dient zugleich als Fläche für Projektionen, die die mittelalterliche Vagantenliederwelt zwischen Frühlingserwachen, dörflichem Treiben, Reben- und Liebestrunkenheit in starke Bilder umsetzen. Übers netzartige Gewebe wallen Quallen, Nebelwolken und Wasserfälle, Flammen, die Sonne und selbst der Mond erglühen. Lippen spitzen sich zum Kuss, Trauben werden mit Füßen getreten. Ein riesiges Herz pumpt und pulst, durchbohrt vom Schaft eines Pfeils.

Lavendelduft im Konzertsaal

Blütenmeere breiten sich aus, olfaktorisch wahrnehmbar durch den Hauch von Lavendel, der plötzlich durch den Saal zieht. Käfige an der Spitze hoher Türme kommen zum Einsatz, wenn der Schwan (der hier ein Hahn ist) mitleiderregend sein Schicksal als Speise der Tavernengäste beklagt oder das oestrogenpralle „Dulcissime“ den Auserwählten zur Liebe bei Hofe lockt. Im achteckigen Glas zelebriert Unterwassertänzerin Raquel Cruz die Weinlese, das Wasser färbt sich rot vom Blut der Trauben, nimmt damit symbolisch den Verlust der Unschuld vorweg. Bei „Si puer cum puellula“ (Wenn ein Knabe mit dem Mädchen) bleibt dergleichen nicht aus.

Am Ende wird die Umhüllung schräg gekippt, ihr oberes Rund verwandelt sich ins immerwährend rotierende Rad des Glücks. „O Fortuna“, die machtvolle Beschwörungskompositionsformel kennen selbst diejenigen, die mit Orff und seinen Cantiones nicht unbedingt vertraut sind. Von der Werbung eines Nahrungsmittelherstellers aus der Schweiz, der Anfang der 1990er zum „Rendezvous der Sinne“ mit neuen Schokoladensorten bat.

Aufführung in reduzierter Fassung

Was ursprünglich wesentlich opulenter instrumentiert und gesanglich besetzt war – die Originalfassung sieht unter anderem auch Bläser, Streicher sowie drei verschiedene Chöre vor – klingt auch in der reduzierten Version beeindruckend. Für den rhythmisch charakteristischen „Orff“-Sound sorgen fast 30 verschiedene Schlaginstrumente, die von sechs Musikern gespielt werden. Hinzu kommen zwei Klaviere, eine Flöte, ein Kontrabass, zwölf Chorsängerinnen, zwölf Chorsänger und hervorragende Besetzungen für die Solostimmen Sopran, Bariton und Counter-Tenor.

Ergänzt durch sechs Tänzerinnen, zählt das Ensemble (inklusive Chor) über 60 Mitwirkende. Die Inszenierung, die 2009 in San Sebastián uraufgeführt wurde, bezieht auch das Publikum mit ein. Wer Berührungsängste hat, sollte Plätze an Treppenaufgängen und in der ersten Reihe meiden. Hier kann es passieren, dass man Streicheleinheiten abbekommt, die Aufforderung zum Nachsingen oder, inmitten des rauschhaften Tavernengetümmels, einige Spritzer vom frisch gekelterten „Wein“. Standing Ovations für den krönenden Abschluss des Kölner Sommerfestivals 2023.

Bis 23. Juli, Philharmonie Köln, Do. und Fr. 20 Uhr, Sa. 16 und 20 Uhr, So. 15 und 19 Uhr, Karten ab 49,90 Euro inkl. Geb. www.koelnersommerfestival.de