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BuchessayClemens Meyer schreibt über Christa Wolf

Lesezeit 3 Minuten
Schriftstellerin Christa Wolf im Jahr 2009 in Berlin.

Schriftstellerin Christa Wolf im Jahr 2009 in Berlin.

Die Großschriftstellerin Christa Wolf steht für die Literatur der DDR. Clemens Meyer, der 1977 in Halle geboren wurde, hat ein Buchessay über sie geschrieben.

Nachdem er mit der zweitschlechtesten Note seines Jahrgangs das Abi gemacht hatte, ging Clemens Meyer 1996 erst mal auf den Bau, fast drei Jahre, um zwischen all dem Staub und Beton Geschichten zu finden und Poesie, wie er damals glaubte.

Buch vom Mörtel angegriffen

Eines der Bücher, das er neben Kaffee und Bildzeitung mit in die Pause nahm, war Christa Wolfs „Kindheitsmuster“ (1976), das von Staub und Mörtel angegriffen bald vergilbte. Eigentlich liegt es also auf der Hand, wenn der 1977 in Halle (Saale) geborene Schriftsteller jetzt in der von Volker Weidermann herausgegebenen Reihe „Bücher meines Lebens“ über Christa Wolf schreibt.

Meyer kommt aus, ohne gängige Klischees zu bemühen. Ost und West sind für ihn keine Kriterien. In seinem Buchessay „Über Christa Wolf“ versucht er sich ohne Vorurteile der Großschriftstellerin zu nähern und führt ein fiktives Gespräch mit ihrer Büste auf dem Fensterbrett seines Arbeitszimmers.

Den echten Christa-Wolf-Sound – an den er nicht so recht glauben mag – erkennt er phasenweise schon in ihrer „Moskauer Novelle“ (1961). Ihre Erzählung „Der geteilte Himmel“ (1963) ist für ihn eine „naive DDR-Nouvelle-Vague“, die sich immer noch lesen lässt, um zu begreifen, dass die Welt damals eine andere war.

Die Zensur mitdenken

Meyer versäumt auch nicht, zu erwähnen, dass Wolf selbst, wie sie im Brief an Brigitte Reimann seinerzeit gestand, schon zehn Jahre nach dem Erscheinen des Buches „das große Heulen“ über ihre „unschuldsvolle Gläubigkeit“ zur Zeit der Entstehung kam. Viel Bewunderung schwingt mit in den mäandernden, suchenden, kreisenden Annäherungen von Clemens Meyer, die den Ton Christa Wolfs kunstvoll aufnehmen und fortweben.

Der wahrscheinlich wahrste Satz im Buch, in dem es an wahren Sätzen nicht mangelt, ist der, in dem Meyer die Schriftstellerin gegen die vor allem in den Nachwendejahren im Literaturstreit geäußerte Kritik aus dem Westen in Schutz nimmt, sie habe dem System zu nahe gestanden: „Man muss doch nur deine Texte lesen, um zu verstehen, dass du keine Staatsschriftstellerin warst!“, schreibt Meyer.

Und man muss ihm recht geben. „Wer hatte die Wahl in diesen Zeiten“, heißt es an einer anderen Stelle, „und welche Wahl hattest du?“ Die Zensur mitdenken. Das war Devise. Und tun, was möglich ist. „Was wissen wir von heute aus gesehen über besser oder schlechter,“ schreibt Clemens Meyer, „nur Biedermänner echauffieren sich über, beispielsweise, Brechts Haltung, die ja demokratiefeindlich gewesen sei.“

Er selbst sei zu jung, um das alles zu beurteilen, könne aber die „Zerrissenheit“ in den Texten der ostdeutschen Dichter, die er als seine literarischen Eltern und Großeltern begreift, spüren. Wie eine Soap-Opera komme ihm die Literatur der DDR vor, schreibt Meyer in seiner flapsigen Art und wird dabei erstaunlich pathetisch.

Glossar vergessener Schriftsteller

Für die Nachgeborenen liefert er gleich noch ein Glossar der heute vergessenen Schriftsteller mit, das von Fritz Rudolf Fries („Magischer Realist und Surrealist der DDR-Literatur“) über Karl-Heinz Jakobs („Hemingway der DDR-Literatur“) bis zum Leipziger Erich Loest reicht, der ein „Proletarierschriftsteller im besten Sinn“ gewesen sei, und dafür im Arbeiter- und Bauernstaat ironischerweise mit sieben Jahren Stasiknast in Bautzen II belohnt wurde.

Einen gewissen Einfluss von Christa Wolf kann und will Meyer nicht verleugnen. Nicht aus Zufall trägt sein zweiter Roman „Im Stein“ (2013) denselben Titel wie eine ihrer Erzählungen. Er selbst gehört zu jener Enkelgeneration, über die er sagt, sie tanze auf den „Trümmern des gescheiterten Traums Sozialismus“. Gerade jetzt, wo nach Dirk Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ wieder so heftig debattiert wird, tut es gut, eine Stimme wie Clemens Meyer zu hören.

Clemens Meyer: Über Christa Wolf. KiWi, 112 Seiten, 20 Euro.