Steffen Kopetzkys neuer Roman „Atom“ handelt über Hitlers letzter Gegenwehr. Das Werk steht in einer Reihe von Werken Kopetzkys, die politische Schwelbrände und Feuersbrünste der Geschichte erzählen.
Buch-RezensionPolitische Schwelbrände und Feuersbrünste der Geschichte

Der Berliner Bestsellerautor Steffen Kopetzky.
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In vier faszinierenden Romanen hat Steffen Kopetzky die politischen Schwelbrände und Feuersbrünste des vergangenen Jahrhunderts beschworen. Die Aschespuren reichen vom Ersten Weltkrieg („Risiko“) bis nach Vietnam („Propaganda“). Das fünfte Buch, „Atom“, liegt zeitlich etwa auf halber Strecke, spiegelt die gefährlichen Todeszuckungen des Dritten Reichs und erscheint wenige Monate vor dem 80. Jahrestag der verheerenden US-Nuklearschläge auf Hiroshima und Nagasaki.
Virtuos amalgamiert der Autor Fiktion und Fakten, indem er einen erfundenen Helden in die Strudel der Zeitgeschichte wirft. Den jungen Briten Simon Batley sieht der Geheimdienst-Anwerber Scully Hamilton als ebenso harten wie reaktionsschnellen Spieler auf dem Rugbyfeld und ködert ihn sogleich als Agenten für den MI 6. Als Physikstudent kommt Simon 1927 nach Berlin, hört Einsteins Vorlesungen und verliebt sich wie sein russischer Kommilitone Sascha in die geniale Mathematikerin Hedi von Treyden. Als Simons Spionage das erotische Dreieck zerstört, kehrt er ohne die Geliebte verbittert nach London zurück.
Zwölf Jahre später soll er für Scully herausfinden, ob die Nazis tatsächlich nah an der Entwicklung der Atombombe sind. Kleiner Ansporn: Auf der Gegenseite arbeitet Hedi für Hitlers Raketenprogramm, das mit den beängstigend schnellen V1- oder V2-Waffen auch die Engländer in die Bunker treibt.
Schillernde Randfiguren haben ihren Auftritt
Mit „Atom“ hält der Schriftsteller bewusst Distanz zu Robert Oppenheimers vielfach beleuchtetem „Manhattan Project“ in Los Alamos. Man kennt schließlich den Ausgang des Wettrennens um das infernalischste Vernichtungsinstrument. Auch wenn der Roman allzu gemächlich beginnt, zieht er einen bald mit seiner atmosphärischen Dichte, messerscharfen Recherche und politischen Hellsichtigkeit in Bann.
Stalins Paranoia blitzt ebenso auf wie Churchills Sorge, während die Amerikaner schon die Nachkriegsweichen zu ihren Gunsten stellen wollen. Als schillernde Randfiguren treten Rudolf Heß, Ian Fleming oder Kim Philby auf, doch Kopetzkys größter Coup betrifft die deutsche Seite. Hier rückt ein in den Geschichtsbüchern meist übersehenes Nazi-Monster in den Blickpunkt: Hans Kammler, KZ-Architekt und geradezu quecksilbrig mobiler Organisator jener Vergeltungsschläge, mit denen das Ende des Dritten Reichs doch noch abgewendet werden soll. Hitlers letzter Hoffnungsträger.
Irgendwann genügen abgefangene Funksprüche und dechiffrierte Codes im „Totalen Krieg“ nicht mehr, dann wird Simon ins Herz der Finsternis abkommandiert. Letzteres liegt im Harz, bei Nordhausen. Dort lässt Kammler Buchenwald-Häftlinge im Stollen des neuen Lagers Mittelbau-Dora unter unmenschlichen Bedingungen die V2 bauen. Man blickt in die Hölle und vergisst darüber fast, dass sich Simon sehr bald entscheiden muss, ob seine Liebe zu Hedi wirklich über alle politischen Gräben siegen kann.
Fest steht freilich schon, dass dieser Autor das Genre des historischen Romans so souverän beherrscht wie kaum jemand sonst.
Steffen Kopetzky: "Atom", Roman, Rowohlt Berlin, 412 Seiten, Preis: 26 Euro. ‚lit.Cologne‘-Lesung: 18.3., 17 Uhr, Volksbühne, Aachener Straße 5. (auf der lit.Cologne-Seite nachschauen, ob noch Karten zu haben sind)