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"Krallen, Federn, Drachenblut"Verlag präsentiert eine Auswahl der schönsten tierischen Kunstwerke des Museum Schnütgen

Lesezeit 4 Minuten
Der Taufstein im Museum Schnütgen stammt aus dem Maasgebiet und wird auf die Zeit um 1200 datiert.

Der Taufstein im Museum Schnütgen stammt aus dem Maasgebiet und wird auf die Zeit um 1200 datiert.

Der Greven Verlag gibt das Buch "Krallen, Federn, Drachenblut. Tiere in der Kunst des Mittelalters" heraus.

Die Bestie ist hungrig. Sie reckt den garstigen Kopf empor, reißt das Maul bis zum Rachen auf, entblößt nadelspitze Reißzähne. Was man auf den ersten Blick – aufgrund der plastischen Darstellung und der immensen Farbigkeit – für eine Szene aus einem Comic halten könnte, ist tatsächlich eine Arbeit des Künstlers Hans Gitschmann genannt von Ropstein und entstand 1528.

Modern wirkender Drache

Der so erstaunlich modern wirkende Drache ist ein Detail aus einem von drei Kirchenfenstern, die im Museum Schnütgen zu sehen sind. Und hat es nun, vielfach vergrößert, aufs Titelbild von „Krallen, Federn, Drachenblut“ geschafft. Schon dieses Motiv macht Lust auf den von Stephan Kube opulent bebilderten Band im Format 24,9 mal 28,6 Zentimeter, der eine Auswahl der schönsten Kunstwerke aus dem Kölner Haus präsentiert.

Das Besondere dieser Publikation verrät ihr Untertitel: „Tiere in der Kunst des Mittelalters“. Die Theologen Thomas Ruster und Gregor Taxacher und die Theologin Simone Horstmann würdigen damit eine Gruppe von Geschöpfen, die in den Werken des Mittelalters Randfiguren sind. So wie der so überaus fotogene Titelbild-Drache, der in Wirklichkeit ganz klein in der rechten unteren Ecke des Kirchenfensters kauert. Fast verdeckt vom roten Umhang der Heiligen Margareta.

Der Legende nach wurde er von ihr besiegt, indem sie ihn mit einem Kreuzzeichen bannte. Kampfunfähig gemacht, muss er nun kuschen. Nicht der Hunger ist es, die ihn das Maul so weit aufreißen lässt, sondern die pure Verzweiflung.

Dem Drachen, als „am häufigsten dargestellte Tier in der christlichen Kunst“ ist ein eigenes, sehr ausführliches Kapitel, gewidmet. In dem Thomas Ruster dem Top-Bösewicht bescheinigt „für die Tierheit schlechthin, insoweit sie für die Menschen fremd und bedrohlich ist“, zu stehen.

Bosheit enttarnen

Und den Bogen schlägt zu den Nationalsozialisten, die Menschen ihr Menschsein absprachen, indem sie sie zu Tieren erklärten. Und daraus für sich das Recht ableiteten, sie morden zu dürfen. Eindringlich ruft er dazu auf, den Mut aufzubringen, „dem Bösen ins Auge zu schauen und den erbärmlichen Grund seiner Bosheit zu enttarnen.“

Ein Taufbecken aus dem Maasgebiet, das um 1200 entstand, wird nicht nur von Drachen, sondern auch von einer Raubkatze und einem Schlangenwesen mit zwei Köpfen flankiert. Während diese ihre Schaurigkeit behalten sollten – um ihresgleichen abzuhalten, sich am Täufling zu vergreifen – bleibt anderen wilden Tieren die Domestizierung nicht erspart.

Wie dem Löwen, der vom Heiligen Hieronymus bekehrt wurde. Wobei das „Raubtier“ das mit dem Heiligen für eine geschnitzte Darstellung im 15. Jahrhundert posierte, viel eher an einen Hund erinnert. Der dem Künstler, mangels Löwe, wohl Modell stand. Nicht ohne Humor führt der Begleittext aus: „Der Löwe hat sich am Bein seines heiligen ,Herrchens' aufgestellt, als erwarte er ein Leckerli.“

Viel weniger bedrohlich geht es um 1510 in einem Stundenbuch des Meisters der Jannieke Bollengier zu. Die liebevoll gestalteten Seitenhintergründe sind inspiriert vom bäuerlichen Leben. „Es gibt praktisch kein Bild, auf dem nicht Pflanzen und Tiere zu sehen sind“, schreibt Gregor Taxacher. Hier werden Schafe und Schweine oder Schnecken und Schmetterlinge idyllisch in Szene gesetzt.

In mittelalterlichen Hausbüchern begegnet man dem „Lamm Gottes“ und friedlichen Hirschen, sich am „lebendigen Wasser“ labend, auf Kruzifixen werden Pelikane zu christlichen Symbolen der Aufopferung. Im dritten und letzten Kapitel spürt Simone Horstmann den Fuß-, Pfoten oder Tatzenabdrücken nach, die Tiere der mittelalterlichen Kunst eingeprägt haben. Um das als Hintergrund für die „vielen heutigen Probleme unserer Mensch-Tier-Beziehung“ heranzuziehen.

"Essbare Tiere"

So galten im Mittelalter Gewalt gegen Tiere und die Sicht auf sie als Objekte als vollkommen normal. Ein Unterkapitel ist „Essbaren Tieren“ gewidmet und der Frage, ob man „Essbarkeiten“ nicht generell ganz neu verhandeln muss. Sowohl diese vielfältigen, sehr flüssig lesbaren und dennoch tief schürfenden Hintergrunderläuterungen, als auch die jeweils im Detail und in Gänze herrlich fotografierten Kunstwerke haben zwangsläufig eins zur Folge: man wird sich ins Museum Schnütgen aufmachen müssen. Früher oder später. Um dann dort die mittelalterlichen Kunst-Tiere „in echt“ und in ihrer „natürlichen“ Umgebung zu erleben.

Thomas Ruster, Simone Horstmann, Gregor Taxacher: Krallen, Federn, Drachenblut. Tiere in der Kunst des Mittelalters. Greven Verlag, 144 S., 40 Euro.