AboAbonnieren

Anton BrucknerNeue Biografie zum 200. Geburtstag des berühmten Komponisten

Lesezeit 5 Minuten
Anton Bruckner

Anton Bruckner im Jahr 1890 in seiner Wohnung in der Heßgasse in Wien

Eine neue Musiker-Biografie zu Anton Bruckner ist erschienen. Rechtzeitig zu einem Jubiläum: Am Mittwoch jährt sich der Geburtstag des österreichischen Komponisten zum 200. Mal

Die Hosen sind etwas clownesk und weit, da für das Orgelspiel Beinfreiheit benötigt wird. Der Blick ist meist etwas in sich gekehrt und versonnen. Und beim ersten Eindruck wirkt Anton Bruckner auf alten schwarz-weißen Fotos eher wie ein Beamter, denn als Komponist, der gerne in Verbindung mit einem Titan wie Ludwig van Beethoven genannt wird. Johannes Brahms, der immer unter dem übergroßen Schatten Beethovens zu leiden hatte, sprach über den Österreicher ein vernichtendes Urteil aus: „Bruckner ist ein armer Mensch, den die Pfaffen von Sankt Florian auf ihrem Gewissen haben.“

Anekdoten und Klischees über den angeblich so einfachen Mann vom Lande, den Kauz, der den Frauen in förmlichen Briefen Avancen macht und dabei einsam bleibt, gibt es eine Menge. Gänzlich falsch sind solche Geschichten nicht, aber spätestens hier greift sein jüngster Biograf, der Luzerner Musikwissenschaftler Felix Diergarten, in seinem Buch „Anton Bruckner: Ein Leben mit Musik“ ein und revidiert das Bild, schaut genauer hin, ordnet die Lebensphasen dem jeweiligen Ort, der politischen Situation zu, stellt vier Frauen im Leben des Komponisten genauer vor und zeichnet ein lebensnahes Brucknerbild, das sich auch für Laien gut lesen lässt.

Ältestes von insgesamt zwölf Kindern

Nichts deutet auf eine überragende Karriere hin, Bruckner ist kein „Donnerblitzbub“, vielmehr ein fleißiger Musiker, dessen Talent zwar auffällt, der aber in der ersten Lebenshälfte nicht aus seinem überschaubaren Milieu ausbricht.

Bruckner, der am 4. September vor 200 Jahren als ältestes von zwölf Kindern des Lehrers Anton Bruckner und seiner Frau Theresia im oberösterreichischen Ansfelden geboren wird, kommt über den Vater bereits früh mit der Musik in Kontakt. Weniger als 2000 Einwohner hat der Ort, ist mit Kirche, Pfarr- und Schulhaus aber kulturell rege.

Nach dem Tod des Vaters wird der 13-jährige Bruckner von seiner Mutter als Sängerknabe ins Internat im Stift Sankt Florian in Linz geschickt, wo er auch Musikunterricht erhält. Er schlägt zuerst die Lehrerlaufbahn ein und wird Schulgehilfe in Windhaag. Dort entstehen die Windhaager Messe in der Tradition der Landmessen sowie andere Sakralmusikstücke.

Stelle als Hilfslehrer in Sankt Florian

Aber der 18-Jährige gerät in Konflikt mit seinem Vorgesetzten, da er offenbar zu viel komponiert und auf der Orgel improvisiert. Dabei, so der Vorwurf, habe er den Schul- und Kirchendienst sowie die Arbeit auf dem Feld und im Wald vernachlässigt. Er wird nach Kronstorf versetzt und absolviert 1834 eine Lehrerprüfung, tritt eine Stelle als Hilfslehrer in Sankt Florian an.

Ungebremst bleibt sein Wunsch, sein Leben der Musik zu widmen. Neben seiner Arbeit als Domorganist in Linz nimmt er Unterricht beim zehn Jahre jüngeren Otto Kitzler, zu der Zeit Kapellmeister am dortigen Theater. Anhand der Werke von Hector Berlioz, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Franz Liszt und Richard Wagner erklärt dieser Bruckner die zu dieser Zeit modernen Methoden der Komposition und Instrumentation.

Brahms schoss mehrfach respektlos gegen Bruckner

„Ein Fenster in die Welt öffnete sich“, wie Diergarten schreibt. Bruckner erweitert seinen Horizont, entwickelt neue Ansätze und kompositorische Schemata, zeigt gleichzeitig aber wenig politisches Interesse. So ganz anders prägt sich sein Eigensinn aus, wenn es um die Musik geht. Brahms hatte in seinem Urteil, dass Bruckner vom Katholizismus verbogen war, unrecht. Denn seine Klangsprache hat weitaus mehr Farben als ein Heiligenbildchen.

1868 wird der Allgemeine Cäcilienverein gegründet. Die Anhänger des Cäcilianismus sahen im Vokalstil „alla Palestrina“ das Ideal mehrstimmiger Kirchenmusik und publizierten Kataloge mit zulässiger Kirchenmusik in ihrem Sinne. Orchestermessen in der Tradition der Wiener Klassik, die diesem Ideal nicht entsprechen, sollen aus den Gottesdiensten verbannt werden.

Wie Diergarten ausführt, hält Bruckner nichts davon: Einer – nicht belegten – Anekdote zufolge soll er den Cäcilianismus als „Krankheit“ bezeichnet haben: „Wenn ihnen nichts einfällt“, so Bruckner, „so nennen diese Leute das kirchlich.“

Musikpolitisches Bekenntnis für Neubau des Linzer Doms

Für den Neubau des Doms in Linz kam es 1869 zur Uraufführung der e-Moll-Messe, die, so Diergarten, „zwar ,vocal', aber keine Messe im alten Stil, kein ,alla Palestrina'“ war. Damit habe Bruckner ein musikpolitisches Bekenntnis abgelegt. Er entwickelt eine eigene, neue Tonsprache. Gilt als frommer Revolutionär.

„Einen Unzeitgemäßen“ nannte ihn sein Biograf Wolfgang Johannes Bekh 2001. Bruckner ist aber auch ein Spätberufener, arbeitet über seine Kräfte und hat unter Depressionen zu leiden. Er ist von Selbstzweifeln geplagt, in seinen Briefen mitunter unterwürfig. Dabei entwickelt es sich gut für ihn: 1868 wird er Professor für Musiktheorie (Generalbass und Kontrapunkt) und Orgelspiel am Wiener Konservatorium, auch die Stelle des Hoforganisten ist frei, so fasst Bruckner den Entschluss, der Nachfolger seines ehemaligen Mentors Simon Sechter zu werden und nach Wien zu ziehen.

Das dortige Pflaster ist gnadenlos und er hat einen schweren Stand als Komponist. Aber 1869 führen ihn erfolgreiche Konzertreisen als Orgelvirtuose nach Nancy und Paris sowie 1871 nach London, wo er bei der Einweihung der weltgrößten Orgel in der Royal-Albert-Hall spielt.

Schwerer Stand in der Wiener Musik-Szene

Problematisch wird es für ihn in Wien, als er seine Sinfonien aufführt, und ihn die Kritiker nicht immer wohlwollend bewerten. Seine Sinfonie Nr. 2 c-Moll, die er später annullierte und die heute als nullte Sinfonie bekannt ist, ist sein erstes Werk, das er 1873 in Wien aufführt. Dabei wird die „unersättliche Rhetorik“ und „zerfallende Form“ bemängelt. Diergarten indes fragt, „Wo sind die Mängel?“

Als der Romantiker Bruckner 1877 seine dem von ihm verehrten Richard Wagner gewidmete dritte Sinfonie aufführt, wird das zum Fiasko. Kritiker Eduard Hanslick sieht ihn gar als Epigonen Wagners. 1884 dann gelingt ihm mit der Uraufführung der Siebten unter Dirigent Arthur Nikisch der Durchbruch – wohlgemerkt in Leipzig.

Die Neunte bleibt unvollendet

Gegen Ende der 1880er Jahre verschlechtert sich sein Gesundheitszustand, er geht 1891 als Professor des Konservatoriums in den Ruhestand und fortan beschäftigt er sich mit seiner 9. Sinfonie, von der nur drei Sätze fertig werden. Der vierte bleibt Fragment. Bruckner stirbt am 11. Oktober 1896 – laut Sterbebuch an einem Herzklappenfehler.

Die Faszination seines Werks – die fünfte und sechste Sinfonie werden erst Jahre nach dem Tod des Komponisten aufgeführt – ist bis heute ungebrochen. „Dass es Bruckner gegeben hat, ist für mich das größte Geschenk Gottes“, erklärt der Dirigent Sergiu Celibidache später.


Felix Diergarten: Anton Bruckner - Ein Leben mit Musik, Bärenreiter/Metzler, 240 S., 29,99 Euro