Marion Messinas Roman „Die Entblößten“ zeigt ein brennendes Frankreich der Zukunft - Mit einer Präsidentin an der Spitze. Eine Buchbesprechung.
Autorin Marion MessinaDystopie über das Frankreich von morgen
Macron ist Geschichte, Frankreich wird in nächster Zukunft von einer knallharten Präsidentin regiert. Ihr Spitzname: Mazurka, weil sie auf allzu hohen Hacken umherstöckelt. Die Dame sieht sich als „Darwins unsichtbare Hand“, hat sie die Grande Nation doch auf unbarmherzigen Turbokapitalismus getrimmt.
Zu dessen Verlieren zählt der Student Enzo Brunet, der durchs Raster eines mitleidlosen Sozialsystems fällt und von seinen Pariser „Freunden“ auf einer Party vergewaltigt wird. Vor dem Gebäude der Nationalversammlung übergießt er sich wenig später mit Benzin, spricht ein Vaterunser und setzt sich selbst in Brand.
Zu den Vergewaltigern zählen auch Personen aus Mazurkas Dunstkreis, so dass sie versucht, den Skandal unter den Teppich zu kehren. Doch in Marion Messinas Roman „Die Entblößten“ wird Enzos Flammentod zum Fanal für den Widerstand der Abgehängten – Frankreich brennt.
Abneigung gegen Neoliberalismus
Die 1990 in Grenoble geborene Autorin macht aus ihrer Abneigung gegen entfesselten Neoliberalismus kein Hehl: „Die Zukunft von Paris ist die von São Paolo: von Superreichen bewohnte Wolkenkratzer, umgeben von Elendsvierteln aus Bruchbuden und Zeltplanen, und dazwischen eine zerriebene, panische Mittelschicht, die bei jedem Schlagstockeinsatz der Polizei Beifall klatscht.“
Einige Kritiker erinnert Messinas Dystopie an Michel Houellebecqs „Unterwerfung“, doch die Kollegin zeigt alles andere als eine muslimische Machtergreifung. Vielmehr sehnt sich hier die ausgebrannte Pariser Grundschullehrerin Sabrina nach den islamischen Ritualen ihrer algerischen Vorfahren zurück – während sie mitansehen muss, wie ihr abtrünniger Ehemann die gemeinsame Tochter in sein Leben lockt.
Einst hat Sabrina ihren Beruf aus Idealismus gewählt, doch übergriffige Eltern und renitente Kinder haben ihr Nervenkostüm zerschlissen. So sehr, dass sie eines Tages einen behinderten Schüler schlägt.
Sarkastische Pointen: Elektrischer Stuhl läuft mit Ökostrom
Ihr gegenüber steht hier der Bourgeois Paul, dem seine Promotion jedoch keinen Job verschaffte. Aus dem Dauerstress des Hauptstadtalltags flieht er ins vermeintlich idyllische Departement Ardèche. Landwirtschaft statt Literatur – doch mit eigenwilligen Bauern machen die Lebensmittelkonzerne kurzen Prozess. Bald findet sich Paul hinter der Fleischtheke eines Supermarkts wieder, dessen Kunden angesichts galoppierender Inflation fast nur abgepackte Billigware kaufen.
Selbst hehre Lebensentwürfe, so illustrieren Marion Messinas Protagonisten, scheitern in einer verdorbenen Welt. Aber ob algorithmisch getakteter Konsumterror, ein eiskalter Arbeitsmarkt – nach der dritten Arbeitsplatz-Ablehnung landen Frauen hier im Bordell – und totalitäre Staatskontrolle wirklich Frankreichs allernächste Zukunft sind?
So porentief die Autorin nämlich private Malaisen heranzoomt, so pauschal und grob inszenier bleibt das Panorama der politischen Eskalation. Wobei Messina durchaus sarkastische Pointen setzt: Der Elektrische Stuhl soll mit Ökostrom töten. Und wenn die Präsidentin das Kriegsrecht ausruft, beendet sie ihre Rede mit „Es lebe die Freiheit.“
Marion Messina: Die Entblößten. Roman, aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Hanser, 176 S., 23 Euro