Autoren-Interview mit Marc ElsbergAn den Grenzen des Kapitalismus

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In Marc Elsbergs aktuellem Thriller „Gier“ wird ein Wirtschafts-Nobelpreisträger ermordet, da seine Theorie die heutige Praxis der Gewinnmaximierung widerlegt. Vor der Lesung auf der lit.Cologne sprach der Wiener Autor mit Hartmut Wilmes.
In Ihrem Buch „Gier“ wird dem herkömmlichen Kapitalismus eine Theorie entgegengehalten, nach der es gewinnträchtiger ist, zu teilen und zu kooperieren als zu konkurrieren. Teilen Sie diese Einschätzung?
Absolut, sonst hätte ich kein Buch darüber geschrieben. Es ist auch mehr als eine Einschätzung – wir liefern den Beweis!
Aber in unsere Hirnrinde sind doch uralte Rivalitätsmuster eingestanzt, weshalb es ja in „Gier“ auch Mord und Totschlag gibt.
Stimmt, aber es sind eben auch ganz andere Muster eingestanzt: etwa anderen Menschen zu helfen. Wenn Sie jemand nach dem Weg fragt, werden sie ihm antworten, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und wenn zehn Jungs in einer thailändischen Höhle eingeschlossen sind oder es irgendwo ein Erdbeben gibt, kommen Helfer von überall her. Auch das ist im Menschen drin.
Werden diese positiven Anlagen denn die Überhand gewinnen?
Die Wirkung des von mir zitierten Londoner Modells wurde von Neurologen getestet, und die Ergebnisse sind sehr interessant. Da die Resultate noch unveröffentlicht sind, darf ich wenig darüber sagen, aber offenbar funktioniert das Modell. Das ist ja auch die Uridee des Lebens: Verschiedene Zellen schließen sich zu einem höheren Organismus zusammen, eine Leber, ein Darm, die Haut, die Augen und das Hirn kooperieren, und auch diese höheren Einheiten arbeiten zusammen und bilden prosperierende Gesellschaften wie etwa unsere Nationalstaaten.
Wie sind Sie als Autor von Wissenschaftsthrillern auf diese Theorie gestoßen?
Um Wissenschaft geht es hier ja auch, die Konzepte stammen von Physikern. Das Thema, wie wir unsere Gesellschaft ordnen, hat mich immer interessiert. Aber auf die Arbeit des London Mathematical Laboratory bin ich tatsächlich bei ganz anderen Recherchen zufällig gestoßen. Das Wenige, das ich anfangs davon verstanden habe, hat mich gefesselt. Als ich die Tragweite des Ganzen begriffen hatte, war klar: Daraus muss ich ein Buch machen.

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Im letzten Satz von „Gier“ fragt sich eine Figur, ob die Geschichte des Modells vom Teilen nicht gerade erst beginnt...
Ich bin da optimistisch. Denn diese Arbeiten, die ich ja nur in Ansätzen skizziere, sind wirklich bahnbrechend und eröffnen auch Entscheidern in Politik und Wirtschaft eine ganz neue Welt.
Warum hört man dann aber so wenig von diesen neuen Erkenntnissen?
Einmal sind diese noch sehr jung, viele stammen aus den letzten zwei, drei Jahren. Zweitens sind sie sehr mathematisch formuliert und für durchschnittliche Politiker oder Unternehmensberater kaum verständlich. Drittens stoßen die Physiker bei den Wirtschaftsmagazinen auf Widerstand. Es ist ja auch nicht ganz einfach, sich einzugestehen, dass man seit 300 Jahren mit einem problematischen Modell arbeitet.
zur Person
Marc Elsberg wurde 1967 in Wien geboren. Er arbeitete dort und in Hamburg als Strategieberater und Kreativdirektor in der Werbung und schrieb Kolumnen für die österreichische Tageszeitung „Der Standard“.
Sein literarisches Debüt hatte Marc Elsberg im Jahr 2000, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Marcus Rafelsberger, mit dem satirischen Roman „Saubermann“. 2012 schrieb er mit „Blackout“ seinen ersten Wissenschaftsthriller, dem „Zero“ und „Helix“ folgten.
Die Form des Thrillers mit Verschwörungen und Verfolgungsjagden ist gewissermaßen Ihr Trojanisches Pferd, mit dem Sie dann brisante Themen einschmuggeln. Warum diese Methode?
Weil ich glaube, dass diese Kombination das eigentlich Spannende ist: Dass ich einerseits Thrill durch Handlung habe, aber eben auch durch aufregende neue Gedanken, die ich in meinen Büchern präsentiere.
Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, auch ein reines Sachbuch zu schreiben?
Vielleicht schon, aber die Frage ist, ob sich das die Leserinnen und Leser vorstellen können. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich ihnen einen historischen Liebesroman zumuten könnte, obwohl das ja immerhin noch Belletristik wäre.
Sie haben schon über die Terroranfälligkeit unserer elektronisch organisierten Infrastruktur, über totale Überwachung oder Genmanipulation geschrieben. Fürchten Sie nicht, dass Ihnen die Reizthemen irgendwann ausgehen?
Die Herausforderung besteht eher darin, diesen Marc-Elsberg-Blickwinkel zu finden, der etwas für die Leute Neues präsentieren kann. Dafür bietet sich etwa der Klimawandel nicht an, weil darüber inzwischen fast alles gesagt ist. Außer ich finde auch dazu etwas ganz Neues. Aber es gibt noch genügend Themen.
Und worum geht es im nächsten Buch?
Guter Versuch!
Marc Elsberg: Gier. Roman, Blanvalet, 445 S., 24 Euro. Die lit.Cologne-Lesung mit Marc Elsberg am 30. März ist ausverkauft.