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Autobiografie jetzt auf DeutschMusik spielt in den 60ern und 70ern für Cher keine übergeordnete Rolle

Lesezeit 5 Minuten
Cher tritt während der Victoria's Secret Fashion Show im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf.

Cher tritt während der Victoria's Secret Fashion Show im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf.

Chers Memoiren erscheinen auf Deutsch. Es scheint zu viel Leben für ein Buch. Teil zwei soll folgen.

„Es ist genauso einfach, sich in einen reichen Mann zu verlieben wie in einen armen.“ Diesen Satz gab Chers Großmutter einst an ihre Tochter Jackie weiter. Und dass diese sich ihr Leben lang redlich bemüht hat, Herz und Kontostand unter eine Bettdecke zu bekommen, schildert Cher ausführlich im ersten Teil ihrer jetzt auch auf Deutsch erschienenen Autobiografie, der Ende der 1970er Jahre endet.

Kindheit in Wanderschaft

Ein knappes Drittel der knapp 500 Seiten beschäftigt sich mit dem unsteten Leben, das ihre Mutter Jackie Jean der heute 78-Jährigen und ihrer jüngeren Schwester beschert hat: auf der Suche nach Erfolg als Schauspielerin oder wahlweise der nach dem Mann, der der kleinen Familie zu einem finanziell abgesicherten Leben verhelfen könnte. Auf sieben Ehen kam die 2022 gestorbene Jackie Jean, zahllose Lebensabschnittsgefährten kamen hinzu, viele davon nicht unbedingt Männer, die gut sind für eine Frau mit zwei kleinen Kindern und großen Ambitionen.

Und so werden Kindheit und Jugend für Cher eine stete Wanderschaft, mal hier, mal dort untergebracht, zwischenzeitlich auch eine Zeit lang in einem von Nonnen geführten Kinderheim. Wenn schon der Leser verwirrt ist bei dieser Flut an Namen von Orten und Verwandten, Freundinnen und Freunden der Mutter, wie mag das erst für die Kinder gewesen sein? „So oft umzuziehen, wie wir es taten, brachte mich durcheinander, und manchmal schreckte ich mitten in der Nacht aus einem Alptraum hoch und wusste nicht, wo ich war.“

Diese Suche nach einem Zuhause, einem Ort, an den man gehört, mit den richtigen Menschen an der Seite, zieht sich als roter Faden durch dieses Buch (und auch den zweiten Teil, für den es noch kein Veröffentlichungsdatum gibt, aber dessen Inhalt man ahnen kann, wenn man Chers Werdegang in den letzten 40 Jahren verfolgt hat).

Möglicherweise hat dieses Bedürfnis nach Beständigkeit dazu geführt, dass sie etwa viel zu lang mit ihrem ersten Ehemann Sonny Bono zusammengeblieben ist, obwohl immer wieder sämtliche Alarmsirenen zu hören gewesen sein müssten. Die beiden lernen sich 1962 kennen, als er versucht, in der Musikbranche Fuß zu fassen und sie überhaupt noch nicht weiß, wohin mit sich.

Praktisch kein eigenes Geld

Und so landet sie zunächst als seine Mitbewohnerin in seinem Apartment. Erst später entdeckt er, dass sie singen kann, und im Studio von Phil Spector kommt diese Stimme zum ersten Mal zum Einsatz. Irgendwann fangen die beiden an, als Duo zu singen und legen als Sonny & Cher den Grundstein zu beider Karrieren.

Doch der elf Jahre älter Sonny buttert die gerade mal 20-Jährige von Anfang an unter, schreibt ihr vor, was sie tun und lassen und vor allem, was sie tragen soll. Und er lässt sie Verträge unterschreiben, die ihr in den 1970er Jahren fast das Genick brechen. Als Angestellte einer Firma, die ihren Namen trägt, verdient sie praktisch kein eigenes Geld.

1975 lässt sie sich scheiden. So richtig überrascht das alles nicht, einiges wusste man über das Verhältnis der beiden bereits (auch dass sie bis zu Sonnys Unfall-Tod 1998 beste Freunde waren). Anderes kennt man aus den Biografien anderer Berühmtheiten so oder ähnlich.

Was jedoch die Fans der Sängerin Cher fast schon unangenehm überraschen dürfte, ist ihr ambivalentes Verhältnis zu ihren Alben. Da heißt es zwar: „Das Singen war meine erste Liebe und das Erste, was ich lernte.“ Aber auch:„ Ich hatte jedoch nie die Illusion, dass mein Gesang großartig war oder auch nur meinen Erwartungen genügte. Ich dachte nie: Oh, meine Platten sind so gut, oder: Ich bin so stolz auf dieses Album.“

Musik nur in einer Nebenrolle

Das Bewusstsein über die Stärken und Schwächen der eigenen Stimme habe ihr erst später eine Gesangslehrerin vermitteln können. Und so spielt die Musik im Buch fast eine Nebenrolle. Ein ikonischer Song wie „Bang bang“, immerhin Platz 2 in den USA und ihre erste Top 5 Platzierung, findet nicht mal Erwähnung. Ihre beiden Nummer-1-Hits „Gypsys, Tramps & Thieves“ und „Dark lady“ fallen für sie in die Kategorie „geschichtenlastige Lieder“, von denen sie kein Fan sei.

Über „Dark Lady“, die Story einer Frau, die die Wahrsagerin erschießt, die eine Affäre mit ihrem Mann hat, schreibt sie: „Wieder ein sehr geschichtenlastiges Lied, nicht mein Ding also, aber die Leute liebten den Song und das Album, was kann ich da sagen.“

Lieder scheinen hier nur den Stellenwert von Vehikeln zu haben, nach dem Motto, irgendwas muss man ja singen, wenn man Konzerte geben und eine eigene TV-Show haben will. Das alles liest sich fluffig weg. Zwischen den Zeilen deutet sich das seltsame Leben als Berühmtheit an, wenn Assistentinnen enge Freunde ersetzen, sobald sie sich aber dem eigenen Leben widmen wollen, nicht nur von der Gehalts- sondern scheinbar auch von der Telefonliste gestrichen werden.

Bisweilen hätte man sich strengeres Redigieren gewünscht, da Cher in ihren Erzählungen unkontrolliert und nicht nachvollziehbar vor und zurück springt. Wirklich geschlampt wurde bei einem Detail: Das ist doch tatsächlich bei einer Episode im Jahr 1974 von CDs die Rede (statt von Alben oder Platten). Denn die kamen erst knapp zehn Jahre später auf den Markt. Aber wie schon gesagt: Musik spielt in den 60ern und 70ern für Cher keine übergeordnete Rolle. Mal schauen, wie das im zweiten Teil wird.

Cher: Die Autobiografie, Teil eins. Deutsch von Marlene Fleißig, Oliver Lingner, Franka Reinhart und Violeta Topalova. Harper Collins, 496 S., 34 Euro.