„Anne Will“-KritikNRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft unter Beschuss
- Anne Will diskutierte am Abend mit ihren Gästen über das Thema „Heute kleiner Lohn, morgen Altersarmut - Versagt der Sozialstaat?“
- Unter anderem NRW-Ministerpäsidentin Hannelore Kraft musste einräumen, dass die Rentenpolitik der SPD versagt hat.
- Am Ende driftete der Talk zu einer Diskussion über Bildungspolitik ab.
Worüber wurde diskutiert?
Moderatorin Anne Will hatte am Sonntagabend in ihre Sendung eingeladen, um über das Thema „Heute kleiner Lohn, morgen Altersarmut - Versagt der Sozialstaat?“ zu diskutieren. Es sollte also hauptsächlich über Dinge rund um Altervorsorge und Rente gesprochen werden. Das geschah auch zum Teil. Dabei waren sich alle Gäste unterm Strich darüber einig, dass bereits vieles versucht wurde und dennoch vieles geändert werden muss. Was genau, wurde jedoch häufig nur angerissen und blieb deshalb unklar. Zudem entglitt der Moderatorin gegen Ende der Sendung das Gespräch und es wurde nicht mehr über Altersarmut und Renten gesprochen, sondern über Bildungspolitik.
Wer durfte mitreden?
Susanne Neumann ist sich sicher, dass sie sich arm fühlen wird. Wenn sich etwa Mieten und Energiekosten weiter wie bisher entwickeln würden, sieht die Putzfrau und engagierte Gewerkschafterin für ihre Zukunft schwarz. Dann wird es knapp werden mit ihrer Rente von aktuell 735 Euro monatlich. Und das, obwohl Neumann 35 Jahre lang als Gebäudereinigerin gearbeitet hat. Würde sie bis zum 66,5. Lebensjahr weiterarbeiten, könnte sie zusammen mit Anteilen der Rente ihres Mannes mit etwa 900 Euro rechnen. Da sie an Krebs erkrankt ist, wird es Neumann zufolge jedoch schwierig für sie, weiterzuarbeiten. Die 56-Jährige findet das ungerecht und ist zugleich besorgt: „Ich kann von meiner Rente nicht leben.“
Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, kann die Sorge von Reinigungskraft Neumann nachvollziehen und sagt, sie sehe Handlungsbedarf auf Seiten der Politik. Es gebe viele Punkte, die diskutiert und geändert werden müssen, etwa, dass Anteile zur Riesterrente aktuell auf die Grundsicherung angerechnet werden. Die Politikerin gab zu, dass die von der Rot-Grünen Regierung ins Rollen gebrachten Reformen in der Rentenpolitik aus dem Jahr 2001 nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätten, nun müsse deshalb nachgesteuert werden. Das sei der Lauf der Dinge: „Politik macht nicht irgendwas und das bleibt dann 30 Jahre.“ Eines steht dabei für Kraft allerdings fest: „Die, die arbeiten sollen mehr haben, als die, die nicht arbeiten.“
Drastischer formuliert es Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institus für Wirtschaftsforschung: „Die Riesterrente ist gescheitert beim Versuch, die Altersarmut zu vermeiden.“ Das Riester-Modell helfe den falschen Leuten, also denjenigen, die es sich zum einen leisten könnten und sich zum anderen um ihre Altervorsorge auch weniger Sorgen machen müssten, als Niedrigverdiener. Dem Wirtschaftsexperten zufolge haben jedoch 40 Prozent der deutschen Haushalte kein Vermögen und somit keine Möglichkeit, für die Zukunft vorzusorgen. Hier müsse man ansetzen. Für Neumann ist das völlig nachvollziehbar: „Wenn Sie für 8,50 die Stunde arbeiten, bleibt am Ende nichts übrig, das sie privat einzahlen können.“
Hubertus Porschen, Vorsitzender des Verbands „Die Jungen Unternehmer“ sieht in der Debatte zum Thema Renten vor allem eines: Politisches Kalkül, das in erster Linie die größte Wählergruppe der Rentner ansprechen soll. „Sie spielen mit den Ängsten der Menschen und sagen nicht, was Sache ist“, wirft er Hannelore Kraft, stellvertretend für alle Politiker vor. Die Ministerpräsidentin NRWs mache zudem keine zukunftsorientierte Politik. Warum genau kann er Moderatorin Anne Will auf Nachfrage auch nicht ausreichend plausibel erklären.
Rainer Frank, Ressortleiter Wirtschaft bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sieht vieles anders als seine Gesprächspartner. Die Riesterrente sei grundsätzlich ein guter Ansatz: „Was gibt es besseres als eine staatliche Zulage?“ Außerdem sei es schließlich im Ermessen jedes Einzelnen, ob und wie viel er sparen möchte. Den Einwurf, dass es vielen Menschen aufgrund ihrer niedrigen Einkommen schwer falle, Geld beiseitezulegen, wischt der Journalist einfach weg. Denn auch wenn die Einkommen auseinandergingen, sehe er dennoch recht wenig Ungleichheit, weil der Sozialstaat funktioniere und die Niedrigverdiener unterstütze.
Wie schlug sich die Moderatorin?
Anne Will hatte das Gespräch zu Beginn gut im Griff, stellte an den richtigen Stellen wichtige Nachfragen, auf die häufig allerdings dann keine besseren Antworten kamen. Will sorgte lange Zeit dafür, dass die Diskussion einen roten Faden entlang des Themas behielt. Bis zu dem Moment, als sie selbst den Karriereverlauf von Hannelore Kraft (Tochter eines Straßenbahnfahrers und einer Straßenbahnschaffnerin und einzige Frau in der Familie mit Abitur) und Rainer Frank (Sohn eines Hausmeisters und dennoch Abitur) vorstellte, worauf das Gespräch sich um Bildungspolitik anstelle von Rentenpolitik drehte. „Ich bin jetzt irgendwie im falschen Film“, sagte Reinigungsfrau Neumann und stellte erneut die Ausgangsfrage. Da war die Zeit allerdings schon um.
Was nehmen wir mit?
Menschen wie Neumann können offenbar - auch wenn sie lange gearbeitet haben - nicht von ihrer Rente leben und drohen in die Altersarmut zu rutschen. Bisherige Konzepte der Politik wie etwa die Riesterrente scheinen nicht den ursprünglich erhofften Effekt zu erzielen. Politiker haben daher – womöglich auch in Hinblick auf die nächsten Wahlen – das Thema Rente wieder für sich entdeckt und fordern erneut Änderungen und Reformen. Wie die allerdings genau aussehen sollen, muss sich erst zeigen. „Schauen wir uns an, was da tatsächlich kommt“, sagte Anne Will zum Abschluss.