Gürzenich-Orchester und Stadt Köln begründen ihre Vorgehensweise in der SMS-Affäre um François-Xavier Roth.
Affäre um François-Xavier RothWer hätte wann handeln müssen?
Intensive Krisenkommunikation führt der geschäftsführende Direktor des Gürzenich Orchesters Stefan Englert seit Erscheinen des Artikels über François-Xavier Roth, den das Magazin „Le Canard enchainé“ Mittwoch veröffentlichte (die Rundschau berichtete).
„Bei mir ruft alle fünf Minuten jemand an“, sagt Englert. Wie mit den Vorwürfen gegen den Generalmusikdirektor, anzügliche SMS an Frauen geschickt zu haben, umgegangen werde, dazu habe es „ganz viele Abstimmungsrunden“ in der Stadt gegeben.
Spärliche Informationen
Doch spärlich flossen die Informationen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker erklärte am Donnerstagmittag, dass sie die Vorwürfe sehr ernst nehme und Schritte eingeleitet habe, um den Sachverhalt aufklären und gegebenenfalls eine rechtliche Prüfung durchführen zu lassen. Englert erklärte, dass man erst nach Roths Statement an die Öffentlichkeit getreten sei.
Auf der Homepage des Orchesters stand Donnerstagabend die Information, dass der Chefdirigent mit sofortiger Wirkung seine Arbeit ruhen lasse, um dem Orchester und der Oper Köln die Gelegenheit zu geben, die Situation zu klären und aufzuarbeiten. Man bitte um Geduld.
Keine Alternativen auf die Schnelle
Laut Englert werden nähere Informationen bald für die Abonnenten folgen: „Wenn so eine Nachricht kommt, dann kann man nicht innerhalb von einem halben Tag ein Alternativszenario entwerfen.“ Doch ganz so überraschend dürfte alles gar nicht gekommen sein.
Stichwort „offenes Geheimnis“
Wie die Rundschau erfuhr, haben offenbar viele vom Verhalten von GMD Roth gewusst, Stichwort „offenes Geheimnis“. Betroffen seien neben Musikerinnen des Gürzenich-Orchesters auch Sängerinnen an der Oper Köln. Die Stadt und der Eigenbetrieb Gürzenich-Orchester verweisen je auf die Zuständigkeit des anderen.
Aber wann, wie und wo sind die Informationen intern geflossen? Das wirft Fragen zum Handlungsablauf auf. Am 8. Mai 2024 wurde Englert vom deutschen Klassikfachmagazin „VAN“ zu den Vorwürfen befragt. Dieses war im Vorfeld von „Le Canard enchainé“ über die Veröffentlichung informiert worden.
Über zwei Wochen später erschien der entlarvende Artikel über Übergriffe Roths gegenüber Musikerinnen. Aber auch dass es einen diesbezüglichen Beschwerdebrief aus den Reihen des Gürzenich-Orchesters an Englert aus dem Jahr 2021 gibt, konnte das Magazin berichten.
Gespräche mit Roth
Aber bereits ein Jahr zuvor, 2020, hatte Englert von ersten Gerüchten erfahren. Er erklärte gestern, seinen Pflichten als Arbeitgeber seinerzeit umgehend nachgekommen zu sein. Er habe damals mit Roth über die Vorwürfe gesprochen und sich an Fachberatungsstellen gewendet. „Wir haben ja auch verschiedene Seminare durchgeführt, mit Führungskräften und dem Orchester“.
Er habe nicht aktiv werden können, da es keine konkrete Anzeige, keine offizielle Meldung gegeben habe. „Da sind mir die Hände gebunden.“ Mit etwas, was einem als Gerücht nahegebracht wird, nach außen zu kommunizieren, verbiete das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.
Die Stadt ist Arbeitgeberin Roths. Hätte sich Englert früher bei der Verwaltung mit den ihm vorliegenden Informationen melden müssen? Sprecher Alexander Vogel: „Herr Englert hat deutlich gemacht, dass um Vertraulichkeit gebeten worden sei. Und an diese Vertraulichkeit hat er sich gehalten.“
Kulturdezernent irritiert
Kulturdezernent Stefan Charles sagt, dass rein formell Stefan Englert nicht an ihn berichten müsse. „Meine Erwartungshaltung ist, dass mich die Leitungen auch der betriebsähnlichen Einrichtung über Probleme oder mögliche Probleme informiert. Das ist gelebte Praxis.“
Auf die Frage, wie sich die Stadt bei einem solch brisanten und sensiblen Thema verhalte, das doch nicht ganz so plötzlich auf den Tisch gekommen sein dürfte, erklärte Sprecher Vogel: „Bei der Stadt sind bis Donnerstag keine Anfragen zu dem Sachverhalt eingegangen.“
Englert weiter: „Es wusste niemand, wie der Inhalt des Artikels ausfallen würde“, er habe erst am Mittwoch davon erfahren. Womöglich Vabanque gespielt zu haben, in der Hoffnung, dass nicht berichtet werde, weist Englert von sich.
Momentan keine Bezüge
Und wie sieht es mit der Bezahlung des Chefdirigenten und Generalmusikdirektors aus? „Wenn Herr Roth keine Dirigate übernimmt, erhält er dafür keine Bezüge“, erklärte Vogel. „Die Bezüge für die Gastdirigenten werden aus dem Haushalt des Gürzenich-Orchesters bezahlt. Alles Weitere ist Teil der Sachverhaltsaufklärung und der rechtlichen Prüfung durch die von der Stadt beauftragte Anwaltskanzlei.“
Nach Rundschau-Informationen soll François-Xavier Roth nach weiteren Gesprächen vor knapp zwei Jahren in Köln seinen nächtlichen SMS-Verkehr eingestellt haben.