Kitschig, kolonialistisch oder großartig? An der Benefiz-Single „Do they know it's Christmas?“, die vor 40 Jahren erschien, scheiden sich die Geister.
40 Jahre „Do they know it's Christmas“Gedanken zur Mutter aller Benefiz-Singles
„It's Christmas time, there's no need to be afraid“ – an Weihnachten müsse man keine Angst haben. So beginnt das Lied „Do they know it's Christmas?“, aufgenommen vor 40 Jahren im Angesicht der Hungerkatastrophe in Äthiopien.
Ende Oktober 1984 hatten Boomtown Rats-Frontmann Bob Geldof und seine damalige Lebensgefährtin, die Moderatorin Paula Yates, eine erschütternde Dokumentation in der BBC gesehen. In den folgenden vier Wochen schrieb Geldof mit Midge Ure von Ultravox das Lied und aktivierte die Crème de la Crème der britischen Popmusik, sich an der Aktion zu beteiligen. Am 26. und 27. November traf man sich für die Aufnahmen im Studio von Trevor Horn, im wahrsten Sinn des Wortes ein Schnellschuss.
Große Stars gemeinsam im Studio
Doch der an diesen beiden Tagen aufgenommene Videoclip zeigt erst die Dimension des Projekts: Da singen Paul Young, George Michael und Boy George, da stehen Sting, Bono und Simon Le Bon (Duran Duran) um ein Mikrofon und üben sich in Harmoniegesang. Phil Collins bedient das Schlagzeug, Glen Gregory (Heaven 17), Tony Headley (Spandau Ballet) und Paul Weller steuern Gesangszeilen bei.
Und für den Schlussrefrain versammelt sich eine Besetzung, die jede Ausgabe der TV-Show „Top of the Pops“ gesprengt hätte – von Status Quo bis Bananarama, von Culture Club bis Kool and the Gang. „Feed the world, let them know it's Christmas time“ – eindringlich wie ein Mantra werden diese letzten beiden Zeilen fast eine Minute lang wiederholt.
Mit Erfolg: Die Platte verkauft sich millionenfach, wird Nummer eins in vielen Ländern, auch in Deutschland. In folgenden Jahren werden neue Versionen aufgenommen, mit anderen Künstlern, mit verändertem Text, den jeweiligen neuen Katastrophen, wie etwa Ebola angepasst.
Zum 40-jährigen Jubiläum hat Trevor Horn nun einen Remix gemacht, in dem er Künstlerinnen und Künstler der verschiedenen Fassungen zusammenmischt. Eine schöne Idee, die im Resultat allerdings eher bemüht klingt und den naiven Charme des Originals verloren hat.
Immer wieder gab und gibt es Kritik an dieser Art von musikalischer Hilfe: Sie sei überheblich, weil von oben herab. Es würden stereotype Bilder verwendet. Und überhaupt, man wisse in Afrika sehr wohl, dass Weihnachten sei.
Natürlich vereinfacht der Text an vielen Stellen, da heißt es etwa „Africa“, obwohl „Ethiopia“ gemeint ist, sich aber nicht so gut singen lässt. Aber ist das nicht eine generelle Eigenschaft der Popmusik: leicht daherzukommen und auch große Dramen in drei Minuten zu verarbeiten?
Welt voller Angst und Schrecken
Und steckt nicht gleichzeitig sehr viel Wahrheit in den Zeilen? Die Aufforderung, sich in all der Weihnachtsfreude an die Welt da draußen zu erinnern, die voller Angst und Schrecken sei: „There's a world outside your window and it's a world of dread and fear.“ Damals waren das die Bilder aus Äthiopien, heute sind das die Bilder aus der Ukraine, aus dem Nahen Osten oder dem sehr viel näheren Magdeburg.
Wenn Bono und Sting von den „clanging chimes of doom“, den unheilverkündenden Glocken singt, und dann aus Bono ein zynisch-verzweifeltes „Well, tonight thank God, it's them instead of you“ herausbricht, fühlt man sich fast ertappt, weil man doch so oft denkt: Gut, dass es mich nicht erwischt hat.
Erschreckende Aktualität
Doch Obacht: Die Zeile „Where nothing ever grows, no rain, no rivers flow“ bezog sich 1984 dezidiert auf die Dürre in Äthiopien. 40 Jahre später rückt uns die Problematik, dass Regen nicht fällt, Flüsse nicht genug Wasser tragen und die Ernten schlecht und schlechter ausfallen, auf den wohlstandsgenährten Leib.
So oder so, der Song trägt die Botschaft in sich, man möge doch innehalten, inmitten des Überflusses Lächeln und Freude verbreiten („in our world of plenty, we can spread a smile of joy“). Wenn man sich fragt „Hat man alle Geschenke? Sind es genug, sind es die richtigen?“ holt einen „the greatest gift they'll get this year is life“ wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Einfach zu leben, als größtes Geschenk zu betrachten, ist vielleicht kein schlechter Ansatz, während man dabei ist, auf den letzten Drücker durch die Geschäfte zu hetzen.
Bleibt die immerwährende Frage „Kann ein Lied die Welt verändern?“ mit der immer gleichenden Antwort „Nein“. Aber ein Lied wie „Do they know it's Christmas?“ hat gezeigt, dass man sie ein wenig besser machen kann.