„König Charles der Grantige”? Fluchen über einen Stift
London – Ein paar Tropfen Tinte reichen, um den neuen Regenten des Vereinigten Königreichs aus der Fassung zu bringen. „Ich kann dieses blöde Ding nicht ertragen”, grummelt Charles III., als der Füllfederhalter, mit dem er sich bei einem Besuch im Hillsborough Castle in Nordirland in ein Gästebuch einträgt, zu tropfen beginnt. „Jedes verdammte Mal” passiere das, schimpft er, „ich hasse das.”
Charles III. und auslaufende Füller - es scheint eine unglückliche Beziehung mit Vorgeschichte zu sein. „König Charles der Grantige” oder „Kleiner König Kalle Unwirsch”, in Anlehnung an das bekannte Kinderbuch von Tilde Michels, lauten erste Spottnamen im Netz.
Unter strenger Beobachtung
In den sozialen Medien verbreitet sich der kurze Clip rasend schnell. Dass der 73-Jährige bei jedem Schritt seiner ersten Reise noch genauer beobachtet wird als in den Jahrzehnten als Thronfolger, muss ihm klar sein. Und so wird jede noch so kleine Panne, jede unerwartete Gemütsregung in der minuziös durchgeplanten royalen Zeremonie, die das Königshaus in diesen Tagen abspult, zum Happening - oder, je nach Sichtweise, zum fast beruhigenden Zeichen, dass an der Spitze der Monarchie auch nur Menschen stehen.
Die Szene, die am Dienstag vor laufenden Kameras stattfand, sagt viel über den neuen Monarchen und seinen Charakter aus. „Ja, er ist aufbrausend”, sagte die Autorin Colin Campbell, um Charles im nächsten Moment in Schutz zu nehmen. „Aber er ist ein sehr freundlicher, liebevoller und gewissenhafter Mensch. Wenn er seinen Ärger zeigt, liegt das einfach daran, dass er ehrlich, offen und entgegenkommend ist”, sagte Campbell dem rechtskonservativen Sender GB News. Beim Bad in der Menge, ob am Buckingham-Palast oder am nordirischen Schloss Hillsborough, wirkt Charles locker und fröhlich.
Andererseits: Ein ähnlicher Ausraster bei der stets freundlichen, manchmal verschmitzten Queen wirkt unvorstellbar. „Sie hätte vielleicht eher einen Witz darüber gemacht”, sagte Royal-Experte und Verfassungsrechtler Craig Prescott von der Universität Bangor am Mittwoch im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Es war bereits der zweite Vorfall dieser Art. Denn schon am Tag seiner offiziellen Ausrufung als neuer König sorgte ein grummeliger Moment von Charles für Aufsehen: Mit böser Grimasse und einer unwirschen Handbewegung wies er jemanden an, eine unliebsam platzierte Stiftablage vom Tisch zu entfernen. In sozialen Netzwerken werfen einige Nutzer bereits die Frage auf, ob Charles nach weniger als einer Woche im Amt schon ausgebrannt sei. Der TV-Kritiker Toby Earle twitterte: „Am Montag hat König Charles geschworen, dem "inspirierenden Beispiel" der Queen zu folgen. Am Dienstag regt er sich über einen Stift auf.”
Doch es gibt auch viele Menschen, die dem neuen Staatsoberhaupt den Rücken stärken. Es werde zu viel in „ein bisschen Nörgelei” hineininterpretiert, twitterte der „Times”-Journalist Jack Blackburn. Charles sei seit dem Tod seiner Mutter am Donnerstag ständig auf Achse gewesen. Dem stimmt auch der frühere „Jewish Chronicle”-Redakteur Marcus Dysch zu. „König Charles muss völlig erschöpft sein. Er ist in seinen 70ern und fliegt fast dauernd durchs Land. Natürlich macht ihm das zu schaffen”, sagte Dysch.
Experte Prescott stimmt zu. Charles' Reaktionen zeigten, unter welch enormem Druck er in diesen Tagen stehe. Während er gerade seine Mutter verloren hat, verlangt ihm seine neue Rolle als Monarch absolute Disziplin bis fast hin zur Selbstaufgabe ab. Die Kameras der Welt und ein Tintenfass auf dem Tisch - „das hat das Potenzial, spektakulär schief zu gehen”, sagte Prescott. „Unter anderen Umständen hätte er es vielleicht auch mit Humor genommen.”
Doch es sind nicht nur die kurzen Grummeleien, die in den ersten Tagen seiner Regentschaft das Bild des 73-Jährigen als harschen Monarchen zeichnen. Noch während seine Mitarbeiter im Clarence House - seiner bisherigen Residenz als Prinz von Wales - Überstunden und Sonderschichten schieben, erreicht sie in dieser Woche ein explosiver Brief. Dutzende müssen um ihren Job fürchten, weil Clarence House als Institution mit zahlreichen Projekten und Aufgaben nach der Thronbesteigung nicht mehr existieren wird wie zuvor. Der „Guardian” zitiert eine Insider-Quelle, die erzählt, alle - auch führende Beschäftigte - seien „absolut wütend” und „sichtbar erschüttert”.
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