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Zum Jubiläum des „Decke Pitter“Glockengießer zeigen vor dem Dom ihr Können

Lesezeit 4 Minuten
05.05.2023
Köln, NRW
Glockengiessen vor dem Dom

Glockenguss am Dom: Es beginnt mit der inneren Form.

Zum 100. Jubiläum des „Decke Pitter“ hat die Glockengießerei Schmitt aus Brockscheid (Eifel) am Dom ihr traditionelles Handwerk vorgeführt.

„Fest gemauert in der Erden / Steht die Form aus Lehm gebrannt.“ So beginnt Friedrich Schillers berühmtes „Lied von der Glocke“. Wer etwas über das Glockengießen lernen wolle, solle das Gedicht lesen, meint Christoph Schmitt (49). „Da steht alles drin.“ Gemeinsam mit Vater Hermann (82) und Sohn Peter (15) ist der Glockengießer aus Brockscheid in der Vulkaneifel am Freitag nach Köln gekommen, um direkt vor dem Dom fünf Glocken zu gießen. Anlass ist das Jubiläum des „Decke Pitter“. Die mächtige, 24 Tonnen schwere Petersglocke wurde am 5. Mai 1923 in Apolda (Thüringen) gegossen.

Auf dem Roncalliplatz wird um die fertige Gussform aus Lehm eine Holzkiste für den Guss gebaut

Auf dem Roncalliplatz wird um die fertige Gussform aus Lehm eine Holzkiste für den Guss gebaut

Im Vergleich dazu geht es genau 100 Jahre später um bescheidene Dimensionen: 54 Kilo soll die neue Marienglocke wiegen, die Schmitt und seine Kollegen gießen – der „Pitter“ ist 444 Mal schwerer. Sie ist für die   Elendskirche in der Südstadt bestimmt, die ihre Glocken 1943 für die Rüstung abliefern musste und seit 80 Jahren als einzige Kölner Kirche keine Glocke besitzt. Außerdem sollen am Freitagabend auf dem Roncalliplatz noch vier kleinere Glocken entstehen.

Höhepunkt des Glockentags

Es ist ein Höhepunkt im Programm des Europäischen Glockentags, der bis Sonntag zu Ehren des „Decke Pitter“ in Köln stattfindet. Immer wieder bleiben Schaulustige stehen, sehen den Glockengießern   zu, machen Fotos und stellen Fragen.


Mehr im Internet zum Glockentag gibt es hier


Alles ist reine Handarbeit. „Wir arbeiten nach demselben Verfahren wie vor 500 Jahren. Der einzige Unterschied ist, dass wir Strom haben und für das Feuer keinen mechanischen Blasebalg benutzen müssen“, erläutert Christoph Schmitt.

Glockengießer Christoph Schmitt (l.) mit Mario Trommer aus Apolda (M.) und Sohn Peter Schmitt.

Glockengießer Christoph Schmitt (l.) mit Mario Trommer aus Apolda (M.) und Sohn Peter Schmitt.

Am Vormittag bauen er und seine Kollegen zuerst die innere Form aus Lehm an der Südseite der Kathedrale auf. Damit alles an einem Tag klappt, waren mehr als zwei Monate Vorbereitung erforderlich. In der Eifeler Gießerei wurde auf der inneren Form die so genannte „falsche Glocke“ modelliert. Sie besteht aus Lehm, dem Kuhhaare und Fasern aus Pferdemist beigemengt sind. Der Lehm müsse eine bestimmte Konsistenz haben, betont Schmitt. „Er darf nicht zu fett und nicht zu mager sein.“

Man darf bei den Vorbereitungen für den Guss keine Fehler machen.
Christoph Schmitt, Glockengießer

Die Verzierungen und Inschriften auf der „falschen Glocke“ werden aus Wachs geformt, das beim Brennen der Form verdampft. Die Glocke für die Elendskirche ziert unter anderem eine Lourdes-Madonna (siehe Foto). Auf der „falschen Glocke“ wird dann aus Lehm die äußere Gussform modelliert. Für den Guss müssen die Lehm-Formen absolut trocken sein, als Trennschicht wird Graphit aufgetragen. Nachdem Christoph und Peter Schmitt die äußere Form millimetergenau positioniert haben, setzen sie ihr die „Krone“ auf. Sie enthält das Gussloch für das flüssige Metall und zwei Löcher, aus denen die Luft entweichen kann.

Als die Gussform fertig ist, beginnt der Bau der   Gießkiste aus Holz, die mit Erde gefüllt wird. Eine Grube für den Guss – wie bei Schiller – wäre Schmitt eigentlich lieber. Aber man könne ja vor dem Dom nicht einfach ein großes Loch ausheben, sagt er.

Neben der Gießkiste bauen die Männer einen Ofen auf. Um die so genannte „Glockenspeise“ – die Bronzelegierung für den Guss – auf die erforderliche Temperatur von bis zu 1200 Grad zu bringen, muss das Feuer   an die 1500 Grad erreichen. Für den Guss des „Pitter“ wurden damals rund 30 Festmeter Fichtenholz verfeuert. Schmitt setzt auf Holzkohle aus dem Schwarzwald und Kokskohle.

Mario Trommer (57) ist extra aus Thüringen gekommen, um beim Guss dabei zu sein. „Ich war der letzte, der in Apolda noch das Glockengießer-Handwerk gelernt hat. Es war ein schwerer und schmutziger Beruf, aber ich habe ihn immer mit Herzblut ausgeübt“, erzählt er.

Mehrmals unterbrechen Regenschauer die Arbeit. Am frühen Abend wird das Feuer angezündet, der Guss ist nach einem Konzert der Domglocken gegen 21 Uhr geplant. Ob er gelingt und die Glocken gut klingen, wird Schmitt erst am nächsten Tag wissen, wenn die Formen nach dem Abkühlen geöffnet werden.

„Man darf bei den Vorbereitungen für den Guss keine Fehler machen“, sagt er. Und wenn man doch einen mache, erfahre man das oft erst Wochen später beim Gießen. Daran hat sich seit 500 Jahren nichts geändert.