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Wladimir Klitschko in Köln„Es ist ein Buch des Schreckens“

Lesezeit 4 Minuten
Wladimir Klitschko am Mikrofon

Wladimir Klitschko stellte das Sachbuch „Gestohlene Leben. Die verschleppten Kinder der Ukraine“ in Köln vor.

Wladimir Klitschko kämpft für mehr als 20.000 ukrainische Kinder, die seit Kriegsbeginn nach Russland verschleppt wurden. Ihre Geschichten sind nun in einem Buch erschienen.

Serhii war 16 Jahre alt, als er für zwei Wochen in ein vermeintliches Sommercamp auf der Krim gebracht wurde. Aus Wochen wurden Monate. Er wurde eingesperrt, mit Folter bedroht und bestraft, wenn er die russische Nationalhymne nicht mitsang. Täglich wurde ihm gesagt, seine Mutter vermisse ihn nicht, er werde von Russen adoptiert. Serhii ist eines von rund 20.000 Kindern und Jugendlichen, die seit Kriegsbeginn in der Ukraine nach Russland entführt wurden, zumeist unter dem Deckmantel einer „Evakuierung“. Die Dunkelziffer ist noch höher.

19 Geschichten über Kinder und ihre mutigen Retter

In dem Sachbuch „Gestohlene Leben. Die verschleppten Kinder der Ukraine“ (Heyne Verlag) von Wladimir Klitschko und Tatjana Kiel, kommen deportierte Kinder wie Serhii, ihre Angehörigen und Retter zu Wort. Am Mittwoch wurde es im Rahmen des Weltkindertags und vor versammelte Presse der Zukunftsmesse Digital X der Öffentlichkeit vorgestellt. 19 Geschichten erzählen zum Teil unerträgliches: von Missbrauch, psychischer Gewalt und Suizidversuchen verzweifelter Kinder. Von Eltern, die oft tausende Kilometer von ihren Kindern entfernt sind, und nicht wissen, wie es ihnen geht.

„Es ist ein Buch des Schreckens“, sagt Wladimir Klitschko auf der Buchvorstellung am Mittwochmittag. „Sie werden keinen Spaß haben, es zu lesen.“ Hoch über den Dächern Kölns, im 30. Stock des Restaurants Osman im Mediapark, lässt er zunächst seinen Blick über die Stadt wandern und kann nicht anders, als sie mit seiner Heimat zu vergleichen. „In fast allen großen Städten in der Ukraine ist die Zerstörung zu sehen“, sagt Klitschko und fügt hinzu: „Köln ist nicht weit weg.“ Auch wenn die Reise mit Auto und Zug ohne Flugverkehr aktuell rund 24 Stunden dauere. „Mein Bruder und ich sind oft zwischen Deutschland und der Ukraine gependelt, wir wissen wie nah es ist.“

Haftbefehl gegen Putin vor dem internationalen Gerichtshof

Auch wenn Wladimir Klitschko und sein Bruder Vitali, seit 2014 Bürgermeister von Kiew, längst nicht mehr im Boxsport aktiv sind, beide kämpfen mit voller Kraft - gegen den Krieg, für eine freie und souveräne Ukraine und nicht zuletzt für die aus der Ukraine verschleppten Kinder. „Den Kindern ihr Leben zu stehlen, ist ein brutales Kriegsverbrechen“, sagt Klitschko über die Motivation, die Aufklärungskampagne #Bringbackthekids anzustoßen. Es sei wichtig, ihre realen Geschichten zu hören, die Fakten genau zu dokumentieren. „Jedes Kind zählt. Das ist wie beim Boxen, keep on punching, wir geben nicht auf.“

Längst sind die Kinder im Krieg zur Waffe geworden: Russische Propaganda-Medien berichten gar von 700.000 von ihnen seit Beginn der Invasion „geretteten“ Kindern. Der internationale Gerichtshof in Den Haag hat bereits im Frühjahr Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Kosequenzen gibt es jedoch bislang nicht. Klitschko und Tatjana Kiel haben zwei Tage nach Kriegsbeginn die Initiative #WeareallUkranians gegründet, die nun zusammen mit anderen Hilfsorganisationen wie „Save Ukraine“ auch die Familien unterstützt, die ihre Kinder als vermisst gemeldet haben. Die Rettungsmissionen aus den Camps seien aufwendig und manchmal auch gefährlich.

Die Kinder, die zurückkommen, sind schwer traumatisiert.
Wladimir Klitschko

163 Kinder und Jugendliche sind es, die Stand letzter Woche, von Hilfsorganisationen zurück in die Ukraine gebracht werden konnten. „Die Kinder, die zurückkommen, sind schwer traumatisiert“, sagt Wladimir Klitschko. Die Interviews mit den Kindern hat die Berliner Journalistin Sabine Oelmann für das Buch geführt. Auch Wladimir Klitschko hat einige der verschleppten Kinder getroffen, etwa den zehnjährigen Yuri aus Cherson. „Emotional war er sehr zurückhaltend.“ Aber seinen Blick, schreibt Klitschko im Buch, werde er nie vergessen. Einige Kinder, die seit der Annexion der Krim 2014 entführt wurden, richten ihre Waffen mittlerweile gegen ihre eigene Familie. Sie sind „gebrainwashed“ worden, sagt Klitschko und meint damit eine russische Gehirnwäsche.

In einem so genannten Hope & Healing Center in Kiew kümmern sich Hilfsorganisationen um die betroffenen Familien und die zurückgekehrten Kinder. „Sie suchen nach Aufklärung und Antworten“, sagt Tatjana Kiel. Der Erlös der Buchverkäufe fließt weiter in die Aufklärung und die Rettung der Kinder, alle Akteure verzichten auf ihre Honorare.