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Wenn die große Liebe nur eine Falle ist„Loverboys“ treiben auch in Köln ihr Unwesen

Lesezeit 5 Minuten
Loverboys

Loverboys gaukeln die große Liebe vor. Zumeist handelt es sich bei den Tätern um den Typ Macho.

  1. Auch in Köln ziehen „Loverboys“ Mädchen in die Prostitution.
  2. Polizei und Jugendamt kämpfen dagegen an - doch der Weg ist alles andere als einfach.
  3. Bestimmte Kölner Clubs gelten als Hotspot der Loverboys.

Köln – Es ist eine Sehnsucht, die diese jungen Frauen ins Verderben führt. Der sehnliche Wunsch nach wahrer, rückhaltloser Liebe. Einmal einfach nur fallen lassen. In starke, beschützende Hände. Die Täter haben einen Blick für solch suchende Seelen. Wie der Wolf für das waidwunde Reh. Und sind die Mädchen erst einmal in die Fänge eines „Loverboys“ geraten, versinken sie zumeist haltlos im Sumpf der Zwangsprostitution. So geschieht es immer wieder in Deutschland. Vor allem in den Großstädten. Auch in Köln.

Sie dort wieder herauszuziehen, ist extrem schwer. Dennoch ist es in Köln in den vergangenen zwei Jahren laut Jugendamt in fünf Fällen gelungen. Fünf junge Frauen unter 18 Jahren – das klingt nach wenig. Doch bei der perfiden Methode der Loverboys ist es ein beachtlicher Erfolg.

Viele Prostituierte arbeiten unter Zwang

Die „Loverboy“-Masche fällt unter den Tatbestand der Zwangsprostitution (Paragraf 232a, Strafgesetzbuch), ist aber schwer nachzuweisen. Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren wird bestraft, wer „eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage“ oder „eine andere Person unter einundzwanzig Jahren“ veranlasst, sich zu prostituieren und sexuell ausbeuten zu lassen. Offiziell sind in Köln rund 2000 Prostituierte bei der Stadtverwaltung gemeldet, die Dunkelziffer liegt jedoch viel höher.

Nach Schätzungen sind bis zu 5000 Menschen in Köln im Sexgewerbe tätig, viele von ihnen stammen aus Osteuropa. Laut Polizei und Sozialverbänden arbeitet die Mehrzahl der Prostituierten unter Zwang. (fu)

Der Kölner Kriminalhauptkommissar Konstantin Tzanakis ist nicht von Hause aus Spezialist für Loverboys. Sein Arbeitsfeld und das seiner Kollegen ist der gesamte Bereich der Zwangsprostitution. Und zu diesem weiten Feld gehört auch das Phänomen Loverboy. Einen eigenen Tatbestand stellt es nicht dar. Das macht die Erfassung so schwer. Allerdings ist sich der Experte sicher: „Die Zahl der gelungenen Rettungen ist nicht repräsentativ. Die Dunkelziffer ist weit höher.“

Täterprofil: Sehr oft Machos

Doch wie kann es dazu kommen, dass eine junge Frau aus Liebe zu einem Mann ihren Körper verkauft? „Auffällig ist, dass es sich bei den Tätern sehr oft um den Typ des Machos handelt“, sagt Tzanakis. Loverboys seien auch im Rockermilieu zu finden. Und die Opfer? „Sie können aus allen Gesellschaftsschichten kommen“, sagt der Ermittler. Gemein sei ihnen aber häufig, dass sie aus nicht intakten Familien stammen und dass diese Verhältnisse zu einer emotionalen Vernachlässigung geführt haben. Das mache sie empfänglich für das überschwängliche Vorgaukeln großer Gefühle.

Das lässt sie zumindest anfänglich auch ertragen, wenn die große Liebe in der Forderung mündet, sich zu prostituieren. Und wankt die bedingungslose Liebe auf Seiten der Mädchen, beginnen die Erpressungen und Schläge. „Eine typische Drohung ist beispielsweise, ihnen nahe stehenden Menschen zu erzählen, dass sie sich verkaufen“, gibt Tzanakis Einblick in den „Werkzeugkoffer“ der Täter. In Köln gibt es nicht die eine Feiermeile oder das eine Lokal, auf das sich die Loverboys konzentrieren. „Natürlich sind die Clubs auf den Ringen immer ein Hotspot, aber das Anwerben kann überall passieren“, sagt Tzanakis.

„Der Rest ist dann oft Bauchgefühl“

Wenn sich der Kriminalhauptkommissar auf die Spur der Opfer begibt, geht er zuallererst ins Internet. „Dorthin verlagert sich die Zwangsprostitution immer mehr.“ Ein erstes Indiz für einen Loverboy-Fall kann das angegebene Alter in einer Internet-Annonce sein. Natürlich steht da nichts von Minderjährigkeit. Doch beispielsweise eine plakativ beworbene „18“ macht den erfahrenen Ermittler stutzig. „Der Rest ist dann oft so ein Bauchgefühl“, sagt er. Und das lässt ihn zum Telefon greifen. Er nimmt Kontakt auf zu der jungen Frau, gibt sich als Freier aus. Wenn er weiß, dass die Luft rein ist, enthüllt er seine wahre Identität, sucht das Gespräch. „Das ist immer der erste Schritt, ob bei Razzien in Bordellen oder eben bei der Kontaktaufnahme übers Internet: Wir sprechen mit den Frauen, sagen, was wir machen, und bieten Hilfe an.“ Der Rest ist Geduld. So gut wie nie wird die Hilfe schon beim ersten Kontakt angenommen. „Manchmal ist der Auslöser der eine Schlag zuviel. Manchmal, dass die Frau merkt, ihr vermeintlicher Liebhaber beutet noch weitere Frauen genauso aus wie sie.“ Das sind die Momente, in denen sich die eine oder andere Betroffene an das Angebot von Tzanakis und seinen Kollegen erinnert.

Die Loverboy-Masche gibt es in allen Altersgruppen und sie funktioniert auch nicht allein zwischen Mann und Frau. „Das gibt es auch in der Homosexuellenszene“, sagt Tzanakis. Aber wann immer in Köln das Opfer minderjährig ist, ist es auch ein Fall für Klaus-Peter Völlmecke, stellvertretender Leiter des Amtes für Kinder, Jugend und Familie. „Die Fälle, in denen wir helfen konnten, bewegten sich in einer Altersgruppe von 15 bis 17 Jahren.“ Herangetragen wurden sie ihm und seinem Team entweder über Krankenhäuser, wenn eine Schwangerschaft mit 15 eine dunkle Ahnung aufkommen ließ, aus der Nachbarschaft, aus Familien oder von der Polizei.

Neue Wege für die Zukunft ebnen

Was die Mädchen durchmachen mussten, das ist nur am Rande Thema für Völlmecke. „Was sie im Großen und Ganzen erduldet haben, das kann sich wohl jeder vorstellen. Über Details schweigen sich die Opfer zumeist aus.“ Es geht Völlmecke bei der Ersten Hilfe weniger um die Vergangenheitsbewältigung, als darum, Wege in eine neue Zukunft zu ebnen. „Und das ist nicht einfach, wir müssen den jungen Frauen ein neues Beziehungsangebot machen.“ Es braucht eine Vertrauensperson, durch die das Abhängigkeitsverhältnis zum Loverboy brüchig werden kann. „Alles hängt davon ab, ob sich die jungen Frauen auf diese ersten Schritte einlassen“, sagt Völlmecke. „Wir müssen gezielt Ferne zum Täter herstellen. Das mag theoretisch einfach klingen, es ist aber sehr schwer.“

Ob eine junge Frau droht, einem Loverboy in die Hände zu fallen, dafür gibt es Anzeichen, weiß der Amtsleiter. In jeder intakten Familie wären sie augenfällig: Die Schule wird geschwänzt, abends bleibt die Tochter weg, Freundschaften werden nicht mehr gepflegt. Jedoch, die Opfer kommen eben zumeist nicht aus intakten Familien. Aber vielleicht gibt es Großeltern oder Freunde, die sich Sorgen machen. „An uns kann man sich vertrauensvoll und anonym wenden. Wir stürmen nicht sofort los“, wirbt Völlmecke um Vertrauen.