Was ist nach Corona?Kölner Tierheime werden von Anfragen überrannt
Köln – Die Not ist groß, deshalb darf Lupo selber sprechen, sozusagen. Es geht schließlich um seine Artgenossen. Und auch um Menschen, die Hunde lieben, aber am Ende enttäuscht mit einem kranken oder völlig unerzogenen Vierbeiner dastehen und nicht mehr weiterwissen.
Lupo, das ist der 13 Jahre alte ungarische Terrier von Sylvia Hemmerling, Mitarbeiterin in den Tierheimen Dellbrück und Bergheim. Die können sich derzeit vor Anfragen nach Hunden, Katzen und Kleintieren nicht retten. „Drei bis viermal soviele Menschen wie sonst rufen uns an, wir bekommen 150 Mails in zwei, drei Tagen. Manche fragen sofort nach Katzenbabys oder Welpen“, sagt sie. Weil in Coronazeiten kaum etwas anderes geht, wollen sie alle ein Haustier, und das möglichst schnell. „Was viele nicht bedenken ist, dass Hunde 15 Jahre werden können. Dass sie viel Bewegung und Beschäftigung brauchen. Und zwar jeden Tag.“
Tier-Demo fürs Für-Immer-Zuhause
Deshalb haben Lupo und seine Hundefreunde mit ihren Frauchen und Herrchen demonstriert. Ihr inständiger Wunsch „Freund für’s Leben! Nicht für den Lockdown“ ist auf kleinen Plakaten zu lesen, die sie um den Hals tragen. „Über Instagram und Facebook haben wir damit 1,5 Millionen Menschen erreicht“, erklärt Hemmerling. „Und hoffentlich zum Nachdenken gebracht.“
Überzeugungsarbeit leistet das Tierheim-Team auch am Telefon. „Wenn jemand nur aus einem Impuls heraus ein Tier haben möchten, merkt man das im Gespräch. Manche verstehen unsere Argumente und lenken ein. Das sind dann richtige Erfolgserlebnisse, für beide Seiten“, schildert Hemmerling. Schlimm sei dagegen, wenn man wisse, dass das Gegenüber den Hörer auflegt und dann einen Welpen im Internet bestellt. Das geht auf zahlreichen Plattformen. Hinter den Angeboten stecken oft illegale Vermehrungszuchten, bei denen die Hunde in kleinen Verschlägen gehalten werden. Ihr einziger Lebenszweck: Welpen gebären, die im Internet teuer verkauft werden können (s. Interview). „Wo diese Welpen herkommen, wissen viele Menschen nicht“, sagt Hemmerling. Immer wieder würden solche oft sehr kranken Welpen im Tierheim abgegeben.
108 Hunde, 34 Katzen, 80 Kleintiere, dazu Igel, Wildvögel und Tauben leben zur Zeit im Dellbrücker Tierheim, das seit April geschlossen ist, nur wenige Interessenten dürfen täglich kommen. „Wir müssen sehr aufpassen, denn wenn einer aus dem Team von 25 Leuten Corona bekommt, müssen wir alle in Quarantäne. Das wäre eine Katastrophe. Manche Hunde lassen nur einen oder zwei Pfleger an sich heran.“ Nachdem schon Sommerfest und Adventsbasar ausgefallen sind und damit auch ein fünfstellige Summe in der Kasse fehlt, müssen Freunde und Unterstützer des Tierheims deshalb auch weiterhin draußen bleiben. „Aber wir versuchen, ihnen durch viele Posts und Filme auf Instagram das Gefühl zu geben, dass sie bei uns sein können, obwohl sie nicht reinkommen dürfen“, sagt Hemmerling (s. Kasten). Sehr schade findet sie auch, dass man aus Infektionsschutzgründen keine neuen Gassigänger einweisen könne.
Kontakt mit Unterstützern halten
35.200 Follower hat das Dellbrücker Tierheim. „Das sind mehr als bei jedem anderen Tierheim in Deutschland“, weiß Sylvia Hemmerling. Zum Vergleich: Dem Kölner Zoo folgen auf Instagram 35 500 Menschen.
Mit den Tierfreunden, die sich immer wieder für die Belange der Fundtiere einsetzen, halte man über Instagram und Facebook Kontakt. Posts und mehrere Filme täglich informieren über Neuzugänge oder die Entwicklung einzelner Tiere.
Unterstützen kann man die Tierheime derzeit, indem man Patenschaften übernimmt oder Geld spendet.
www.tierheim-koeln-dellbrueck.bmtev.de
www.tierheim-koeln-zollstock.de
Das ist auch im Tierheim in Zollstock so. „Aber unsere ’alten’ Ehrenamtler sind gerade noch engagierter als sonst, viele kommen täglich“, sagt Mitarbeiterin Gunda Springer. Auch bei ihr gehen extrem viele Anfragen ein, sogar solche nach „einem Tier für drei Monate“. Auch deshalb treibt die Tierschützer eine gravierende Befürchtung um. „Es wird wahrscheinlich eine große Welle an Abgabetieren geben, sobald der Lockdown endgültig vorbei ist.“ Die Problemen würden anfangen, sobald alle wieder zur Schule oder Arbeit gehen. „Weil jetzt immer jemand da ist, haben die Hunde nicht gelernt, allein zu bleiben“, fürchtet Hemmerling. „Und weil die Hundeschule zu sind, werden viele der heranwachsenden Tiere von ihren unerfahrenen Besitzern nicht konsequent erzogen“, so Springer. „Falls sie abgegeben werden, sind sie schwer weiter zu vermitteln.“ Und: Sobald die Menschen wieder reisen dürfen, würden Tiere erst recht lästig und im Extremfall sogar ausgesetzt. „Wir haben einfach keinen Platz und kein Geld, um dann soviele Hunde, Katzen und Kleintiere zusätzlich aufzunehmen“, sagt Hemmerling. „Das macht uns wirklich große Sorgen.“