Viele Kitas freier Träger fürchten durch gestiegene Kosten um ihre Zukunft - Bei einem stadtweiten Streik fordern sie Unterstützung.
Warnstreik in KölnDutzende Kitas schließen bis Mittwoch - „Wir sind verzweifelt“
Über 100 soziale Einrichtung in Köln bleiben am heutigen Dienstag und am Mittwoch geschlossen. Die meisten sind Kitas in freier Trägerschaft. Sie streiken, denn viele von ihnen fürchten um ihre Existenz. Freie Träger wissen längst nicht mehr, wie sie die gestiegenen Kosten stemmen sollen. Mieten und Energiepreise sind in die Höhe geschossen, dazu kommt ab März 2024 die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst.
„Wir sind verzweifelt und wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sagt Kevin Merken. Er ist Vorstandsmitglied der Elterninitiative „Hüppekästchen“, die eine gleichnamige Kita in Wahnheide gründete. „Es könnte sein, dass wir in einem halben Jahr Insolvenz anmelden müssen.“ Die Einrichtung beherbergt aktuell zwei Gruppen mit 44 Kindern. Wie konnte es passieren, dass eine Kita, die noch Anfang des Jahres keinerlei finanzielle Probleme hatte, in diese dramatische Lage gerät?
Höhere Tariflöhne und Preissteigerungen
Grund waren die Gehaltserhöhungen innerhalb des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst, die im April beschlossen wurden. Dazu gehören nicht nur 200 Euro mehr Gehalt, sondern auch ein Inflationsausgleichsgeld über rund 1.200 Euro, das im Juni ausgezahlt wurde, sowie eine monatliche Sonderzahlungen in Höhe von 220 Euro, die von Juli bis Februar 2024 ausgezahlt wird. Hinzu kommen die Preissteigerungen, die alle bemerken: Mieten, Nahrungsmittel, Energie - alles kostet mehr. „Wir haben jetzt schon eine Lücke von 50.000 Euro in unseren Haushalt gerissen“, erklärt Merken.
Um das auszugleichen, erhöht das Land seine Kindpauschalen, die pro belegtem Platz in einer Kita an die freien Träger ausgezahlt werden. Das soll allerdings erst zum August 2024, also dem Anfang des kommenden „Kita-Jahres“ passieren. Wie sie die Mehrkosten in der Zwischenzeit stemmen sollen, ist für viele freie Träger unklar.
„Wir hoffen einfach, dass wir das laufende Kita-Jahr überstehen“, sagt Merken. Aktuell hält sich die Kita mit Spenden von Angehörigen über Wasser. Luft für ein buntes Betreuungsangebot bleibt auf dem Sparkurs nicht. Ausflüge oder neue Spielsachen bleiben aus.
Ein Erzieher der Kita hat die Konsequenzen der Lage bereits am eigenen Leib erfahren: Die Einrichtung musste ihm kündigen. Dadurch fehle jetzt Spielraum in der Personalplanung, erklärt Merken. Das mache ihm besonders mit Hinblick auf die Wintermonate und die unvermeidbaren Krankheitswellen Sorgen: „Wir richten uns auf einen Dauernotbetrieb ein.“
Die weiteren Tariferhöhungen ab März einfach nicht mitmachen? Das sei nur auf dem Papier eine Option. „Wenn wir das nicht tun, werden die Fachkräfte abwandern. Die gehen dann zu städtischen Kitas oder denen von kirchlichen Trägern.“ Spätestens das sei das Ende der Einrichtung.
Die Entscheidung im Rahmen des Streiks zu schließen, sei dem „Hüppekästchen“-Team nicht leicht gefallen. „Wir wissen, dass der Leidensdruck bei den Familien liegt“, sagt Merken. „Aber wir wollen ein Zeichen setzen, um Druck auszuüben.“
Kritik am zweitägigen Streik
Trotz ihres Verständnisses für die Forderungen sehen viele Eltern die angekündigten Schließungen mit großer Sorge. Melanie Simon aus dem Vorstand des Jugendamtselternbeirats (JAEB) der Stadt Köln teilt mit:„Wir können das Anliegen der Träger nach finanziellem Ausgleich in der aktuellen Lage nachvollziehen. Für den JAEB bleibt jedoch unklar, warum ein Aussetzen von Bildung und Betreuung zu Lasten von Kindern und Eltern ein geeignetes Mittel sein soll, um ein Zeichen für die Stadt Köln zu setzen.“
Der JAEB fordert, dass die Verantwortlichen in einen konstruktiven Dialog eintreten, um konstruktive Lösungen zu finden, die nicht auf dem Rücken von Eltern und Kindern ausgetragen werden. „Die Eltern in der Stadt Köln sind bereits durch das instabile KiTa- und OGS-System mit erheblichen Betreuungskürzungen massiv belastet. Für viele Familien ist eine tägliche Betreuung und qualitativ hochwertige Förderung Ihrer Kinder in Kita und OGS längst nicht mehr Realität“, erklärt der JAEB.
Während der Protestaktionen bekämen manche Kinder kein warmes Mittagsessen oder keine Hilfe bei den Hausaufgaben, stellt Simon fest. „Nicht alle Familien können diese Ausfälle adäquat kompensieren“, warnt die Vertreterin der Eltern von Kindergartenkindern.
Was ist ein freier Träger?
Kitas werden auf unterschiedliche Arten „getragen“, also organisiert und finanziert. Dabei wird grundsätzlichen zwischen öffentlicher und privater Trägerschaft unterschieden. Öffentlicher Träger sind die Kommunen, die ihre Kitas aus öffentlichen Mitteln finanzieren. Zu den freien Trägern gehören Wohlfahrtsverbände, Vereine, Elterninitiativen oder die Kirche. Sie werden nur zum Teil durch öffentliche Mittel finanziert. Der andere Teil muss mit den Kindergartenbeiträgen oder Spendengeldern gestemmt werden.
Wer streikt?
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege hat am 28. und 29. November zu einem Streik unter sozialen Einrichtungen in Köln aufgerufen. Kitas, der offene Ganztag und Beratungsstellen beteiligen sich, ausgenommen sind Einrichtungen der Pflege und Gesundheitsversorgung. Am 29. November startet ein Demo-Zug von Deutz in die Altstadt.
Situation der städtischen Kitas
Anfang November beteiligte sich mehr als die Hälfte der städtischen Kitas an einem Warnstreik der Gewerkschaft Verdi. 139 der insgesamt 215 Einrichtungen blieben deshalb geschlossen. Damit sollte ihre Forderung nach einer Altersteilzeitregelung für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst untermauert werden.
Personalnot ist in den städtischen Kitas ein drängendes Problem. Mehr als 200 Stellen waren im Sommer dieses Jahres unbesetzt. Eine Kürzung der Betreuungszeiten ist die Folge.