Verwahrloste obdachlose Menschen werden für die Kölner Innenstadt mehr und mehr zur Belastung. Eine Lagebeschreibung.
Verwahrloste Menschen in der CityDas Elend der Obdachlosen nimmt zu
In der Straße „Eigelstein“ spielen sich an manchen Tagen Szenen ab, die die Anwohner und Geschäftsinhaber ärgern, abstoßen und ratlos machen. „Vor meinem Laden habe ich neulich einen völlig verwahrlosten Mann gefunden, der in seinen eigenen Exkrementen lag. Ich war nicht in der Lage, den Laden zu öffnen“, so eine Geschäftsinhaberin, die nicht mit Namen genannt werden möchte. Zum Glück seien die Abfallwirtschaftsbetriebe bereits angerufen worden, die dann den Gehweg mit Wasser abgespritzt und sauber gemacht haben. „Es wird in meinem Seiteneingang gedealt, es wird überallhin uriniert und die Obdachlosen liegen zum Teil sturzbetrunken vor dem Geschäft und sind nicht ansprechbar oder reagieren aggressiv“, so die Betroffene weiter.
Diese Beschreibung ist kein Einzelfall in der Kölner Innenstadt: Auf den Grünanlagen am Ebertplatz liegen mehrere Männer in ihren Schlafsäcken – um sie herum liegt ihr Hab und Gut und viel Müll, aufgerissene Verpackungen, leere Schnapsflaschen. Es riecht nach Urin. Am Eigelstein am Rewe liegt ein schlafender, offensichtlich volltrunkener Mann, sein Urin läuft auf den Bürgersteig. Es stinkt nach Exkrementen. Am Breslauer Platz torkelt ein sichtlich heruntergekommener Mann über den Platz und grölt seine Wut raus. Die völlig verdreckte Hose und Unterhose sind weit nach unten gerutscht. Auf dem Neumarkt streiten lauthals eine Frau und ein Mann. Beide sind betrunken, können sich kaum auf den Beinen halten und schreien sich mit übelsten Beschimpfungen an. Am Barbarossaplatz humpelt ein Mann, der nur noch Lumpen an hat, vorbei. Er hat ein offenes, entzündetes und stark angeschwollenes Bein, aus dem Blut heraus rinnt. Auch der Laie erkennt, dass er dringend medizinisch versorgt werden müsste. Auf dem Chlodwigplatz trifft sich regelmäßig die Trinkerszene und besetzt die Bänke unter den Schatten spendenden Bäumen. Dass zudem immer häufiger gebettelt wird, sind die Kölner bereits gewohnt.
Diese Szenen sind an diesen Schauplätzen nicht täglich zu sehen, aber sie sind Alltag in der Innenstadt, die ja auch für Touristen in Köln der Hauptanlaufpunkt sind. Stadtführer machen um bestimmte Orte mittlerweile einen Bogen. Sogar am Dom gibt es häufig strenge Gerüche durch Hinterlassenschaften, die man den Köln-Besuchern nicht antun möchte (Rundschau berichtete).
Was ist zu tun? Sieht die Stadt Handlungsbedarf? Bezirksbürgermeister für die Innenstadt, Andreas Hupke (Grüne), beklagt: „Wer dieses Thema laufen lässt, spielt den Rechten und Populisten in die Karten.“
„Punktdienststelle“ könnte Bürger vor Ort unterstützen
Der Lokalpolitiker, der seit rund 50 Jahren in der Innenstadt wohnt, schlägt vor, eine sogenannte „Punktdienststelle“ für Obdachlosenfälle einzurichten, die ihre Aufgaben in eigener Zuständigkeit durchführt. „Dort müssen Fachleute aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich und dem Ordnungsamt arbeiten, die die Bürger unterstützen, wenn sie bei Konflikten mit Obdachlosen überfordert sind“, so Hupke.
„Wir müssen beim Thema Obdachlosigkeit in Köln völlig neu denken“, fordert Hans Mörtter, ehemaliger Pfarrer der Lutherkirche in der Kölner Südstadt. Mörtter setzt sich seit Jahren für die Belange von Obdachlosen in der Stadt ein und unterstützt als Mitinitiator die Housing-first-Initiative der sozialen Begegnungsstätte Vringstreff. Ein Modell, um Obdachlose wieder einen festen Wohnsitz zu vermitteln, dass auch von der Stadt Köln unterstützt wird. „Ich bin davon überzeugt, dass wir 80 Prozent der Menschen auf der Straße über solche Modelle wieder ein würdevolles Leben zurückgeben können“, so Mörtter.
Bei den harten Fällen, oft verbunden mit starkem Alkoholkonsum, sollten Einrichtungen mit würdigen Unterbringungen geschaffen werden, in denen diese Menschen ein eigenes abschließbares Zimmer bekommen und von Fachpersonal betreut werde. „Wir brauchen zudem einen möglichst kleinen Diskussionskreis, besetzt mit allen Beteiligten, inklusive den betroffenen obdachlosen Menschen, in dem über mögliche Maßnahmen in Köln auf Augenhöhe gesprochen wird“, fordert Hans Mörtter.
Die Stadt geht aktuell von geschätzten 300 Menschen aus, die im Stadtgebiet ausschließlich auf der Straße leben. Hinzu kommen rund 8000 Menschen ohne Wohnung (Stand 2021), die von der Stadt in Notunterkünften oder Hotels untergebracht sind. Sechs Streetworkerinnen und Streetworker kümmern sich speziell um die Obdachlosen. „Hinzu kommen acht Streetworker, die sich für suchtkranke Menschen in Köln einsetzen, die zum Teil auch in Obdachlosigkeit unter lebensgefährlichen Umständen leben“, so Stadtsprecherin Katja Reuter.
Um den Wohnungslosen auf der Straße zu helfen, habe die Stadt neben den Streetworkern unter anderem einen mobilen medizinischen Dienst, Kontakt- und Beratungsstellen und Notunterbringungen eingerichtet. Zudem gebe es Angebote zur Reintegration obdachloser Menschen. Die zentrale zukünftige Herausforderung für die Kommune und das Land sei aber die Schaffung von Wohnungen, um weitere Wohnungslosigkeit zu verhindern. Darüber hinaus bedarf es für Menschen auf der Straße neue pflegende Unterbringungen, in denen die besonderen sozialen Herausforderungen, psychischen Erkrankungen sowie Suchterfahrungen der betroffenen Menschen berücksichtigt werden, sagt Reuter.
Von diesen Zielen ist die Stadt jedoch weit entfernt. Das beschriebene Modell „Housing-first“, das die Stadt seit einigen Jahren verfolgt, hat nach ihren Angaben bisher 23 obdachlosen Menschen eine Wohnung vermittelt. Bei der geschätzten Zahl der auf der Straße lebenden Menschen, oftmals verbunden mit großen Alkohol- und Drogensucht- und/oder psychischen Problemen, ist diese Zahl jedoch aktuell nicht viel mehr als ein kleiner Teilerfolg.
Auch kranke Menschen dürfen Hilfe ablehnen
„Die Problematik der sehr verwahrlosten Menschen im öffentlichen Kölner Raum ist uns sehr bewusst“, stellt Jane van Well, Sprecherin das Sozialdienstes katholischer Männer (SKM) Köln, heraus. Oftmals handele es sich um psychisch kranke Menschen, die schlecht ansprechbar sind und angebotene Hilfen nicht annehmen oder annehmen wollen. Es gebe die Kontakt- und Beratungsstellen des SKM und weitere von der Stadt unterstützte Hilfsangebote, so van Well weiter. „Allerdings hat jeder Mensch das Recht auf Verwahrlosung und somit sind auch Fachkräften der sozialen Arbeit oftmals die Hände gebunden, wenn Menschen keine Hilfen annehmen möchten.“
Dennoch sieht auch das SKM Handlungsbedarf: „Wir empfehlen für den Neumarkt eine große Kontaktstelle, in der sich obdachlose Menschen aufhalten und duschen können“, so van Well. Zudem sollte ein Mittagessen und Sozialberatung angeboten werden. Bisher gebe es dort ein solches Angebot nur für drogenabhängige Menschen.
Akute Hilfe
Wenn Passanten Menschen in einem offensichtlich gesundheitlich sehr schlechten Zustand auffinden, rät das SKM, den Rettungsdienst unter 112 zu rufen. Ansonsten können sich Bürger auch an Kontaktstellen der Wohnungslosenhilfe wenden und um Rat bitten. Darüber können Streetworker aktiviert werden, die die obdachlosen Personen im öffentlichen Raum aufsuchen und ihnen Hilfe anbieten. www.wohnungslos-in-koeln.de