„Vergabe wie in Lotterie“Eltern kritisieren geändertes Anmeldeverfahren für Gymnasien
Köln – Benjamin gehört zu den 400 „Abgelehnten“. Der zehnjährige Grundschüler wollte gern ans gefragte Schiller-Gymnasium in Sülz wechseln. Wie viele andere auch. Doch 109 erhielten dort keinen Platz. Für insgesamt 407 der 3850 Viertklässler, die an Kölner Gymnasien wechseln, erfüllte sich nicht der Erstwunsch.
Benjamin fragt traurig: „Warum haben die mich denn nicht genommen? Und wenn wir wieder verlieren, was ist dann?“, berichtet sein Vater Olaf Wittrock. Es tue weh, sein Kind so ratlos zu sehen. „Ich sage ihm, dass die Ablehnung nichts mit ihm persönlich zu tun hat.“ Dass das Los jetzt entscheidet. „Als wäre die Schule eine Lotterie“, sagt der Journalist. „Das regt mich auf.“
Da plötzlich das laufende Anmeldeverfahren für weiterführende Schulen von der Stadt geändert wurde und der Zweitwunsch entfällt (wir berichteten), müssen die betroffenen Familien eine Alternative wählen. Sie erhielten eine Liste mit 14 Schulen (s. Infotext), an denen es noch Plätze gibt. Daraus müssen Eltern im Lauf dieser Woche eine Schule auswählen. Dann entscheidet erneut das Los.
Gymnasien mit noch freien Plätzen
Liste der Stadt mit Gymnasien, die noch freie Plätze haben: Im Bezirk Innenstadt: Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (nur wenige Plätze vorhanden), Kreuzgasse, Thusneldastraße (Deutz), Königin-Luise-Schule (nur wenige Plätze); Bezirk Lindenthal: Elisabeth-von-Thüringen-Schule (EvT, nur wenige Plätze), Hildegard-von-Bingen-Gym. (HvB); Bezirk Ehrenfeld: Albertus Magnus-Gym. (nur wenige Plätze); Bezirk Nippes: Dreikönigsgym); Chorweiler: Heinrich-Mann-Gym., Porz: Lessing-Gym. (nur wenige Plätze), Maximilian-Kolbe-Gym.; Kalk: Heinrich-Heine-Gym.; Mülheim: Genoveva-Gym., Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium.
160 Kinder erhielten 2020 weder Erst- noch Zweitwunschplatz an der Schulform, 400 dieses Jahr nicht den Erstwunsch. 700 wurden an Gesamtschulen abgelehnt. Es werden neun Mehrklassen, zusätzliche Eingangsklassen, geschaffen.(MW)
Der Mangel an Plätzen und Schulbaudefizite sorgen für Empörung. Die Verunsicherung ist groß, bestätigt Gerhard Jansen, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft. Es formiere sich Widerstand. Einige wollen Widerspruch gegen die Ablehnung einreichen, einzelne auch klagen. „Ich finde es nicht okay, eine 10-Jährige vielleicht durch die ganze Stadt in eine Schule zu schicken, die noch nicht einmal auf unserer Wunschliste war“, betont eine Mutter. In Lindenthal fehle im Prinzip ein komplettes Gymnasium.
„Wir sind entsetzt“, sagt Olaf Wittrock über die Änderung der Regeln . „Uns wurde klar, wie unpädagogisch und unsinnig das ganze Verfahren ist. Kriterien wie die Länge des Wegs zur Schule oder das soziale Umfeld werden doch wichtiger, wenn der Traum von der Wunschschule geplatzt ist.Und wie sich das auf die Kinder auswirkt, daran denkt offenbar keiner.“ Auch das Schulprofil sei ein wichtiges Entscheidungskriterium, und Freunde: Mit mehreren Freunden wollte Benjamin von der Grundschule Manderscheider Platz zum „Schiller“. Nun müssen sich 13 Kinder in der Klasse auf die Schnelle umentscheiden.
Auch die Tochter von Swantje ging dort leer aus, nur die Hälfte der Klasse ergatterte einen Wunschplatz. „Die Kinder empfinden es als persönliche Niederlage, auch wenn sie gar nichts dafür können“, sagt die Mutter. Sie wird es nun am Hildegard von Bingen-Gymnasium probieren. „Es ist nicht richtig, den weiteren Lebensweg eines Kindes von einer Lotterie abhängig zu machen.“ Seit Jahren seien fehlende Kapazitäten bekannt, getan worden sei viel zu wenig. Das müssten nun die Kinder ausbaden. Sie legt Widerspruch ein.
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Der Schulleiter des vierzügigen „Schiller“, Georg Scheferhoff, fühlt mit: „Es bereitet uns Kummer und Sorgen, dass wir so vielen absagen mussten wegen fehlender Plätze.“ 120 gibt es dort. In vergangenen Jahren gab es eine Mehrklasse.
Nun wird viel spekuliert. „Ich vermute, dass alle 109, die vom Schiller abgelehnt wurden, an das Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium oder HvB wollen. Aber dort gibt es nur für 50 Kinder Plätze, dann sind immer noch 50 nicht untergebracht“, rechnet Wittrock vor. „Ob die wohl am Ende alle nach Deutz ins Thusnelda müssen? Freie Schulwahl ist das nicht.“ Er fordert, das zweite Losverfahren zu stoppen und Mehrklassen da einzurichten, wo die Kinder wohnen. Wo gibt es nun die besten Platz-Chancen? Das treibt jetzt viele um. Swantje fühlt sich „wie beim Elfmeterschießen. Du hast nur einen Schuss und weißt nicht, ob du ihn in die rechte oder linke Ecke zielen sollst. “ Eine Familie gab lieber gleich das EvT als Erstwunsch an, um keine Absage zu riskieren. Eine Erfolgstaktik. Gewonnen.