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Ü60-BallettFür ein Plié ist es nie zu spät

Lesezeit 4 Minuten

Teil eines jeden Balletttrainings sind die Übungen an der Stange.

Auch blutige Anfänger können an Ballettschulen trainieren. Wir haben einen Kurs in einem Kölner Kurs besucht.

Nussknacker oder Schwanensee. Lange Beine und eine dünne Taille. Eine federleichte Tänzerin auf Zehenspitzen. Haben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auch diese Bilder im Kopf, wenn es um Ballett geht? Oder Sie denken vielleicht an eine Schar kleiner Mädchen mit Strumpfhosen, rosa Tutus und strengen Frisuren? An einem windigen Freitagvormittag sieht es in den „Tanz Akarden“ in Sürth anders aus. Die Teilnehmerinnen des Ü60-Ballettkurses haben sich an den Ballettstangen verteilt. Getragen werden Leggings oder Sporthosen, Turnschläppchen statt Spitzenschuhe.

„Wir gehen in die zweite Fußposition, Knie beugen, der Arm bleibt, Demi Plié.“ Charlotte Jauch steht vor dem Spiegel und zeigt, wie die Fersen auf dem Boden bleiben. Was bei ihr wie eine einzige fließende Bewegung aussieht, ist für die Ballett-Anfänger gar nicht so einfach. Eine Teilnehmerin schnauft. „Dreh die Zehen nur so weit nach außen, dass du ganz flach auf den Füßen stehen kannst“, gibt sie Tipps. „Und jetzt lächeln.“

Charlotte Jauch betreibt die Tanzschule Tanz Arkaden in Sürth und Rondorf.

„Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern, was sie bewegt.“ Der berühmte Satz von Choreografin Pina Bausch könnte auch von Charlotte Jauch stammen. Seit 2019 leitet sie die „Tanz Arkaden“ mit zwei Studios in Rondorf und Sürth. Ballettkurse bietet sie für alle Altersgruppen an, vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen, alleine fünf verschiedene Kurse für Erwachsene. Denn viele kommen erst im Alter zum Ballett. „Oft ist das ein lang gehegter Wunsch, der aus den unterschiedlichsten Gründen nicht ausgelebt werden konnte“, sagt Charlotte Jauch.

Ballett entwickelte sich im 15. und 16. Jahrhundert an italienischen und französischen Fürstenhöfen, alle Bewegungen beruhen auf fünf Grundpositionen von Armen und Beinen. Als Weihnachten 1987 die Serie „Anna“ erstmals im Fernsehen lief, die vom Mädchentraum, eine Primaballerina zu werden, erzählte, platzen Ballettschulen aus allen Nähten. Einen ähnlichen Boom hat es nie wieder gegeben. Heute gibt es rund 1000 Ballettschulen in Deutschland, die meisten davon in NRW. Fast alle haben mittlerweile auch Anfängerkurse für Erwachsene im Programm - auch ganz ohne den Traum der großen Primaballerina.

Fünf Erwachsenenkurse gibt es in den Tanz Arkaden

Vorurteile gibt es beim Ballett einige. „Bei vielen ist das Klischee von der perfekten Ballerina mit der perfekten Figur im Kopf, aber das ist gar nicht, worum es geht“, sagt die Tanzlehrerin. Niemand hier wolle mehr große Aufführungen auf Spitze tanzen. „Ballett trainiert die Balance, die Haltung, die Tiefenmuskulatur, die Koordination - und somit auch den Kopf. Das Training beim Ballett ist immer ganzheitlich“, so Jauch, die staatlich ausgebildete Balletttänzerin und Tanzpädagogin für Bühnentanz ist. Dazu komme die Musik. „Durch sie wird das Ganze zur Kunstform. Man kann seine Persönlichkeit einbringen. Es geht nicht nur ums Abarbeiten wie im Fitnessstudio.“

Kurz vor Weihnachten klingt eine Klavierversion von Jingle Bells durch das Studio, vor dem Spiegel werden Demi Plié und Grand Plié geübt, Relevé und die Arabesque. Den Körper spüren, darum geht es. „Für mich war das immer ein Kindheitstraum“, sagt eine der Frauen. Sie hält die Ballettstange fest, bringt die Füße in die dritte Position. „Irgendwann hat man die Schritte schon drin.“ Einige von ihnen sind erst seit ein paar Monaten dabei. „Es ist erstaunlich, was für Fortschritte man macht“, sagt eine Dame in grünen Leggings. „Nach den ersten Stunden hatte ich Muskelkater an Stellen, wo ich gar nicht gedacht habe, dass da Muskeln sind.“ Jetzt schaffe sie die Drehung sogar am Stück.

Balance, Haltung, Tiefenmuskulatur - Ballett trainiert den ganzen Körper.

Wenn sie im Bekanntenkreis erzählen, dass sie Ballett machen, sei das Erstaunen groß. „‚Ballett in deinem Alter?‘, wurde ich schon gefragt“, erzählt eine Teilnehmerin, die mit dem Tanzen vor allem ihre Haltung verbessern will. „Ich sage immer: Vieles geht noch. Aber einen Spagat muss ich nicht mehr können.“ Das bestätigt auch Charlotte Jauch: „Für mich ist nur entscheidend, ob derjenige oder diejenige eine Motivation mitbringt, sich in kleinen Schritten zu entwickeln. Wer Lust auf Ballett hat, sollte es einfach ausprobieren.“

www.tanzarkaden.de


Kleines Ballett-Lexikon

Arabesque: Der Tänzer oder die Tänzerin steht auf einem Bein, das andere Bein ist mit ausgestrecktem Knie nach hinten angehoben.

5. Fußposition: Die Füße stehen nach außen gedreht voreinander, die kleine Zehe des vorderen Fußes sollte so nah wie möglich an der Innenseite der Ferse des hinteren Fußes stehen, wobei die Auswärtsdrehung (das „endehors“) aus dem Hüftgelenk und nicht aus dem Fuß- und Kniegelenk kommen muss.

Pas de bourrée: Ein klassischer Verbindungsschritt beim Ballett, der eigentlich drei verschiedene Schritte vereint, um das Standbein zu wechseln.

Plié: Die Knie werden gebeugt, entweder als eine halbe Kniebeuge (demi plié) oder eine ganze (grand plié). Die Fersen bleiben dabei auf dem Boden. Beim grand plié dürfen die Fersen angehoben werden, aber nur so wenig wie nötig - außer in der 2. Position.

Relevé: Der Tänzer oder die Tänzerin stellt sich mit Spitzenschuhen auf die Fußspitzen oder ohne Spitzenschuhe auf die halbe Spitze beziehungsweise den Ballen.