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Taufe in KölnWie ein Atheist seinen Weg zum Christentum fand

Lesezeit 6 Minuten
Riccardo Wagner

Riccardo Wagner lässt sich in Köln in St. Andreas taufen

Riccardo Wagner wuchs in der DDR auf. Lange bezeichnete er sich als Atheist. Das Christentum war für ihn die absurdeste aller Religionen. Nun lässt er sich taufen.

Riccardo Wagner sitzt im Passauer Dom St. Stephan. Stumm vor Bewunderung. Seine Augen wissen kaum, wohin. Er sieht die mächtigen Atlanten, die das Chorgewölbe tragen. Dort, in dem Deckengemälde, sind die Tugenden dargestellt. Im einem weiteren tragen Putten Schriftbänder, führen hin zu den alttestamentarischen Propheten. Ein Fresko huldigt der Eucharistie, ein weiteres zeigt das Wirken des Heiligen Geistes. Der Altar! Die Orgel! Der wilde Strom der Eindrücke formt sich im Kopf von Riccardo Wagner zu einem sehnlichen Wunsch: „Ich würde so gerne Beten können!“

Gott machte ein Angebot

Wo, wenn nicht dort, sollte Gott diese Bitte erhören? Doch vielleicht ein wenig anders, als der gebürtige Thüringer sich das damals vorstellen konnte. Denn es kam so, als hätte Gott ihm ein Angebot gemacht: Du willst beten lernen? Okay, aber mal nicht eben so, als möchtest du bei aufkommender Hitze bloß deine Füße im Bach kühlen. Wenn du wirklich beten lernen, mit mir in den Dialog kommen willst, dann tauche ganz ein. Ob bewusst oder unterbewusst, Riccardo Wagner hat eingeschlagen. Er hat sich ins Wasser gewagt. Schritt für Schritt, immer ein bisschen tiefer. Und nun, rund 25 Jahre nach dem Passauer Wunsch, steht er an. Der letzte, der entscheidende Schritt. Es fehlt nur noch der Kopf. In der Osternacht wird Riccardo Wagner in der Kölner Kirche St. Andreas getauft.

Religiöse Schwimmflügel gab es keine für Riccardo Wagner. Vor nahezu 50 Jahren in Gera in der DDR geboren und in Altenburg aufgewachsen. Seine Mutter wurde zwar noch katholisch getauft. „Doch unsere Familie praktizierte den Glauben nie, da mein Großvater überzeugter Kommunist war“, berichtet er. Kirche? „Ich wusste, es gibt Menschen, die gehen dort hin, aber ich kannte keinen.“ Ja, Weihnachten, Ostern, die Feste wurden gefeiert, aber von ihrem kirchlichen Inhalt entkernt. Und so bestimmte das Sein sein Bewusstsein. „Philosophie und Spiritualität haben mich als Jungendlicher schon sehr interessiert, aber mein Selbstverständnis lautete immer: Ich bin Wissenschaftler und Atheist.“ Das zog sich nahezu durch alle seine Lebensstationen: Ausreise kurz vor dem Mauerfall, chemisch technischer Assistent, Bankkaufmann, Wirtschaftsjournalist, bis hin zu seiner Dissertation über Organisationskommunikation und seine heutige Tätigkeit als Professor.

„Wollte nie Christ werden“

„Ich wollte nie Christ werden, sagt er heute in der Rückschau. Mehr noch: „Für mich war das Christentum die absurdeste aller Religionen.“ Da hat er sich schon eher mit Buddhismus oder Daoismus anfreunden können. Doch das Interesse und die Fragen blieben. So auch als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde. Vor dem Intellektuellen Ratzinger zog der Atheist seinen Hut. Was aber noch keine belastbare Brücke zum Christentum schlug. Immerhin: „Die Frage, wie jemand vom diesem intellektuellem Schlag an die christlichen Dogmen glauben kann, ließ mich allerdings nicht los?“

So hätte es wohl weiter gehen können, wären dem Kopfmenschen Wagner nur nicht immer wieder die ganz großen Fragen in den Kopf gekommen: „Warum gibt es uns? Und wo führt das alles hin?“ Fragen eben, für die es keine empirischen Lösungen oder gar Formeln gibt. Die in ihm aber drängender wurden, als er 2011 Vater wurde. „Mir war damals schon klar, dass die wissenschaftliche Sichtweise zwar richtig, aber zu begrenzt war und ich wollte meinem Sohn Orientierung und Sinn geben können.“ Und dann war da noch das Ding mit den Kirchen. „Diese Kunst, diese Ästhetik, das sprach mich an“, räumt er heute ein, was ihm damals wohl eher schwer über die Lippen kam.

„Alles gelesen, was ich in die Finger bekam“

Das hat schon gereicht, das war der kleine Punkt, an dem Gott seinen großen Hebel ansetzen konnte. Du willst es rational? Nimm und lies: „Ich habe alles gelesen, was ich in die Finger bekam“, berichtet der 49-Jährige. Historische Bände, der Katechismus, die Kirchenväter – nichts war vor seinem Wissensdurst sicher. Nicht einmal die Bibel. „Über ein Jahr lang habe ich sie durchgelesen. Natürlich mit Begleitliteratur, sonst versteht man ja vieles nicht“, sagt Wagner. Doch mit der Bibel verhält es sich nun mal wie mit dem Ozean: Soviel man auch daraus schöpft, es wird nicht weniger, und je tiefer man hineinfährt, desto tiefer findet man es vor. „Den rationalen Teil hatte ich erledigt“, erinnert sich der heutige Taufanwärter. Und er habe durchaus auch vieles verstanden was ihm einst noch absurd vorkam. Aber der Durst war dennoch nicht gestillt.

In Riccardo Wagner stieg die Ahnung auf, nur über den Intellekt wird es wohl nicht gelingen. Wer auf den Ozean hinaus will, der kann sich zwar ein Segelschiff bauen, doch was hilft“s, wenn der Wind nicht bläst. Riccardo Wagner fing an, sich „mit der Gebetskultur zu beschäftigen“. Und so, wie er es sagt, klingt es schon wieder rational. Es brauchte wohl noch einen Fingerzeit, eine Handreichung. Da fiel ihm der Rosenkranz in die Hände. „Das war der entscheidende Moment, wo das Herz dazu kam“, erinnert er sich. Nun war alles beisammen. Zwar sieht sich Riccardo Wagner auch als Christ durchaus noch als Kopfmensch: „Ich würde sagen, mein Glauben ist zu 60 bis 70 Prozent rational.“ Dass ist die Mischung, die für ihn stimmt.

Nur katholisch kam in Frage

Viele Wege führen zu Gott – und einer über die Berge, sagen die Südtiroler. Für Riccardo Wagner stand früh fest, seiner führt über die katholische Kirche. „Die evangelische Kirche kam mir nie ernsthaft in den Sinn“, sagt der 49-Jährige, der im evangelischen Stammland geboren wurde und den sein Berufsleben ins katholische Rheinland geführt hat. Nun heuert er an auf dem Schiff das Kirche heißt – und das sich in schwerer See befindet.

Ist er denn zufrieden mit dem Kurs, oder will er einen Richtungswechsel? „Das weiß ich noch nicht ganz genau. Es braucht sicher strukturelle Weiterentwicklung, aber Traditionen sind schneller abgeschafft als aufgebaut und hier hat die Kirche auch eine große Verantwortung zu bewahren, was wahr ist“, sagt Wagner. Aber noch schaue er sich das alles an. Auch den synodalen Weg, den eine Reihe von deutschen Bischöfen einschlagen wollen, gegen den jedoch der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki gegensteuert. So viel kann Wagner aber schon mal sagen: „Was mir auf keinen Fall gefällt, das ist die Lagerbildung. Für mich deckt das Katholischsein ein breites Spektrum ab.“

In der Ostnacht getauft

Ab Sonntag wird er Teil dieses breiten Spektrums werden, in St. Andreas, der Hauskirche des Benediktinerordens in Köln. „Dort, wo Albertus Magnus liegt. Das ist genau mein Ding“, sagt Wagner, der natürlich auch diesen Kirchenlehrer nicht ausgelassen hat. Über Jahre habe er versucht, alleine zu glauben. „Dann kann ich endlich dabei sein, endlich an der Eucharistie teilnehmen, da freue ich mich sehr drauf.“ In der Osternacht wird Riccardo Wagner also ganz in seinen Glauben eintauchen. Danach geht“s ans Schwimmen.