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„So schaffen wir das“Vier Geflüchtete in Köln erzählen von ihren Erlebnissen

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Köln – Fünf Jahre nach der Flüchtlingswelle nach Deutschland, der weit verbreiteten Willkommenskultur im Land und dem berühmten Ausspruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das!“ hat Rundschau-Redakteur Dierk Himstedt diejenigen getroffen, die damals aus dem Nahen Osten und Afghanistan nach Köln gekommen sind. Vier Geflüchtete zwischen 20 und 34 Jahren blicken zurück und erzählen von ihrer Flucht, ihrer Ankunft in Köln und ob sie sich ihre damaligen Wünsche erfüllen konnten.

„Mit 60 Leuten im Schlauchboot“

Hamedeh Faizi (20), geboren in Herat, Afghanistan

„Ich war 15, als ich mit meiner Mutter und zwei meiner drei Brüder eine Woche vor Weihnachten nach Deutschland kam“, erzählt die heute 20-jährige Hamedeh Faizi. Weil sie aber ein bisschen Englisch konnte, habe sie für die anderen immer übersetzen müssen. „Das war manchmal echt anstrengend, aber ich habe dabei auch viel gelernt“, sagt die junge Afghanin. Im Oktober 2015 waren sie aus ihrer Heimatstadt Herat über den Iran, Türkei, Griechenland, den Balkan und Österreich nach Deutschland geflüchtet. „Wir hatten bei der Überfahrt nach Griechenland Glück mit dem Wetter. Mit 60 Leuten in einem kleinen Schlauchboot, das war krass“, erinnert sie sich.

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Hamedeh Faizi

Ja, am Anfang hatte sie Heimweh, aber eigentlich nur kurz, weil so viel zu erledigen war und sie bei den Behördengängen immer dolmetschen musste, so Faizi. Sie seien dann 2016 zunächst alle in einer Turnhalle untergebracht gewesen, bevor sie in ein Flüchtlingsheim in Vingst umzogen, schildert sie die ersten Wochen und Monate in Köln. Anfang 2016 begann sie auch mit der Schule und machte 2019 nach drei Jahren ihren Realschulabschluss auf dem Berufskolleg am Kartäuserwall. Vor zwei Wochen habe sie nun eine Ausbildung als Bekleidungstechnische Assistentin begonnen. „Die ganzen Jahre über habe ich Hilfe von meiner Betreuerin bekommen, habe aber auch viel allein geregelt“, sagt die Kalkerin stolz. Nach den schwierigen Anfängen, laufe jetzt vieles gut. „Ich wollte eine Ausbildung in der Bekleidungsbranche und jetzt mache ich sie“, sagt die 20-Jährige. Ihr Asylantrag ist gestellt. Aktuell verfügt sie über eine zweijährige Aufenthaltsgenehmigung. (dhi)

„Sind vor dem Krieg und dem IS aus dem Irak geflüchtet“

Fidl Hanna (22), geboren in Bagdad, Irak

„Ich war lange Zeit wütend auf meine Eltern, weil wir aus der Heimat nach Deutschland geflüchtet sind“, erzählt der heute 22-jährige Fidl Hanna. Im November 2015 entschied sich die Familie, Bagdad zu verlassen. „Die Angst, dass die religiösen Fanatiker einfallen würden, war damals groß. Als Christen hätten wir das wohl nicht überlebt“, sagt Hanna rückblickend. Aber schon vorher hätte es Anfeindungen wegen des anderen Glaubens gegeben. In die Kirche gehen durften sie auch nicht.

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Fidl Hanna

Damals hätten seine Eltern ihr Haus und das Auto verkaufen müssen, um mit dem Erlös die Ausreise und den Flug nach Deutschland finanziell zu ermöglichen. „Im Irak musste man viele Leute mit sehr viel Geld bestechen, um die nötigen Papiere zu bekommen“, stellt er die Lage aus seiner Sicht dar.

Im Februar 2016 waren sie schließlich nach mehreren Zwischenstationen in anderen Bundesländern in Köln angekommen. „Ich hatte meine Freunde und Verwandten im Irak nicht mehr, das war hart. Ich war halt jung und vielleicht deshalb so wütend.“ Erst als seine Mutter sehr krank und medizinisch behandelt wurde, hätte er begonnen, Deutschland schätzen zu lernen. „Weil wir hier dafür kein Geld zahlen mussten, wie im Irak“, erzählt der Longericher. Als er die Sprache besser konnte und neue Freunde hatte, fühlte er sich auch schnell wohler. „Ich bin zur Schule gegangen und habe 2019 am Berufskolleg mein Fachabitur gemacht, worauf ich sehr stolz bin.“ Mit Hilfe seiner langjährigen Betreuerin habe er nun auch einen Job als Pharmazeutisch-technischer Assistent gefunden. „Sie hat mich auch darin gefördert, Dinge allein zu regeln und Entscheidungen für mich zu treffen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar“, hebt Hanna hervor. (dhi)

„Viel Positives in Köln erlebt“

Reem Shouha (34), geboren in Damaskus, Syrien

„Ich und meine zwei Brüder haben Glück gehabt: Nach einer Woche in der Turnhallenunterkunft nahm uns eine alleinstehende Frau in ihr Haus in Buchforst auf, wo wir dann gut leben konnten“, erzählt Reem Shouha. In der Turnhalle mussten wir mit 50 Leuten im Großraum schlafen. Sie habe am Anfang viel geweint – auch aus Heimweh und wegen der fremden Sprache, erinnert sich die Syrerin. 2015 war sie mit ihren Brüdern ohne die Eltern wegen der Kriegswirren von Damaskus über die Türkei, Griechenland, den Balkan, Österreich und Deutschland nach Schweden geflüchtet. Im Januar 2016 wurden sie wieder zurück nach Deutschland geschickt. „In Schweden war tiefster Winter und es war eisig kalt. Da war es in Deutschland schon viel angenehmer, ähnlich wie der Winter in Syrien“, erzählt sie.

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Reem Shouha

Seitdem sei viel Positives in ihrem Leben passiert. „Wir haben bei der Dame, die uns aufgenommen hatte, etwa sieben Monate gelebt“, ist Shouha dankbar. „Dann bekamen wir mit ihrer Hilfe eine eigene Wohnung in der Nähe. Das war toll.“ Mit ihrer Unterstützerin sind sie heute noch gut befreundet. Durch das Zusammenleben habe sie auch die Sprache sicher schneller gelernt, als wenn sie in einem Heim untergebracht gewesen wären, ist die 34-Jährige überzeugt. 2018 begann sie ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin in einer Deutzer Kindertagesstätte. „Meine Wünsche haben sich zum großen Teil erfüllt. Ich habe heute Freunde in Köln und nette Kollegen, die mich unterstützen“, erzählt Shouha. Wegen der Einreise in Schweden wurde ihr Asylantrag negativ beschieden. Aktuell verfügt sie über eine zweijährige Aufenthaltsgenehmigung. (dhi)

„Auf der Flucht schreiben gelernt“

Ali Hasani (23), geboren in Parwan, Afghanistan

„Als ich aus Afghanistan wegging, konnte ich nicht schreiben und kaum lesen. Ich bin nie auf einer richtigen Schule gewesen, lediglich sechs Monate auf einer Koranschule“, erzählt Ali Hasani. Er wuchs in der Region Parwan, nördlich von Kabul, auf und war dort von Angehörigen der Taliban und religiösen Fanatikern mehrfach bedroht worden, so der Mülheimer. Was auch der Grund für seine Flucht 2013 aus seinem Heimatland war. Über den Iran, Türkei, Griechenland und den Balkan kam der 23-Jährige 2015 nach einer zweijährigen Flucht nach Deutschland. Die Odyssee war aber nicht zu Ende: Weil die ungarischen Behörden seine Fingerabdrücke hatten, wurde er nach sechs Monaten dorthin zurückgeschickt. Abermals floh er über Österreich wieder zurück nach Deutschland. Dieses Mal klappte es.

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Ali Hasani

„Während der Flucht habe ich mir mit einer Sprach-App digital das Persischschreiben beigebracht“, erzählt er. Aber mit der Hand zu schreiben falle ihm heute noch schwer. Auch wenn das erste Jahr in Deutschland, wie Hasani sagt, hart war und er zunächst mühsam die völlig neue Sprache lernen musste, legte er in den folgenden Jahren eine beachtliche Schullaufbahn hin: im Sommer 2019 Hauptschulabschluss an der Abendrealschule, anschließend eine einjährige Einstiegsqualifikation beim Möbelhaus Ostermann in Leverkusen. Dort hat er am 1. September nun auch seine Ausbildung begonnen, die ihm eine Ausbildungsduldung für den weiteren Aufenthalt in Deutschland sichert. Denn sein Asylantrag wurde abgelehnt. „Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass ich mich in Köln, wie jeder Deutsche, frei und auch gewollt fühle“, sagt er.