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Selbsthilfe in KölnVon ADHS bis zu Zwangserkrankung: Gruppen geben Halt

Lesezeit 4 Minuten
Die Silhouette einer Person im leeren Raum.

Alleine mit einem Problem zu sein, ist eine zusätzliche Belastung. Selbsthilfegruppen können Halt vermitteln.

Die Kölner Selbsthilfe-Kontaktstelle unterstützt Gruppen – nicht nur bei der Gründung.

„Die Stärke von Selbsthilfe ist ungebrochen“, sagt Öznur Naz. Die Diplom-Pädagogin arbeitet seit rund 20 Jahren bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen in Köln. Auch in Zeiten von Online-Foren und Social Media ist Menschen bei Problemen immer noch der persönliche Austausch wichtig. „Nicht unbedingt im Stuhlkreis, wie es das Klischee ist“, stellt Naz klar. Wichtig und entscheidend sei das Miteinander, der direkte Kontakt, die Verbindung. „Das brauchen Menschen, das entlastet, stärkt und trägt“, sagt Naz, „Die einen nennen es Selbsthilfegruppe, die nächsten sagen Safe Space – das Prinzip ist gleich.“

Rund 250 Gruppen sind an die Kölner Selbsthilfe-Kontaktstelle angebunden. „Die Themen reichen von körperlichen und psychischen Erkrankungen über Süchte bis hin zu sozialen Problemen. „Große Themen sind aktuell Depression, Bindung- und Entwicklungstraumata, narzisstische Beziehungen, Gewalt und Missbrauch“, sagt Leiter Christopher Bertges. Er ist Diplom-Sozialpädagoge und leitet seit rund anderthalb Jahren die Kontaktstelle. Auch zu Long-Covid, Post-Covid, Impfschäden und ADHS bei Erwachsenen haben sich in jüngerer Zeit Gruppen gegründet.

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle mit ihren neun Mitarbeitenden ist Anlaufstelle für alle, die entweder selbst eine Gruppe gründen möchten oder eine bestehende suchen. Und nicht nur für sie. Oft melden sich in den Sprechstunden, vor Ort, am Telefon oder per E-Mail auch Menschen, die Informationen zu ihrem speziellen Problem haben möchten. „Wir haben auch eine Lotsenfunktion“, erklärt der Leiter. Je nachdem wie ein Problem gelagert ist, verweisen die Fachkräfte an Ärzte, Therapeuten oder andere Stellen.

Christopher Bertges leitet die Kölner Selbsthilfe-Kontaktstelle.

Christopher Bertges leitet die Kölner Selbsthilfe-Kontaktstelle.

Wir haben auch eine Lotsenfunktion.
Christopher Bertges, Leiter der Selbsthilfe-Kontaktstelle

Wenn es um die Gründung einer Selbsthilfegruppe geht, unterstützt die Kontaktstelle. „Wir machen Öffentlichkeitsarbeit, legen entweder eine Warteliste an oder vernetzen Interessierte untereinander“, sagt Naz. In ihren Berufsjahren hat sie mit Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen zu tun gehabt. „Ich kann doch nicht die Einzige sein“, sei ein typischer Satz, mit dem sich Menschen, die gründen wollen, melden. „Ich dachte immer, ich wäre der Einzige mit dem Problem“, ist später ein typischer Satz in einer Gruppe. Grundsätzlich wertet Naz nicht. „Manchmal sage ich aber schon, dass ich eine solche Nachfrage in den ganzen Jahren noch nicht hatte und es vielleicht nicht so viel Aussicht gibt, dass sich genügend Menschen für eine Gruppe finden“, sagt Naz.

Bei den ersten Treffen einer neuen Gruppe bieten die Fachkräfte ihre Unterstützung an. „Auch Supervision, Fortbildungen oder Vernetzen läuft über uns“, sagt Bertges. Gefragt sind aber letztlich die Gruppenmitglieder selbst: Selbstorganisation und das Übernehmen von Verantwortung gehören zur Selbsthilfe. Eine Gruppe braucht Menschen, die leiten und moderieren, sich um Raummiete, Informationsaustausch, Schlüssel und möglicherweise finanzielle Unterstützung kümmern, nicht unbedingt beliebte Aufgaben.

Verantwortung zu übernehmen, wird unbeliebter

Verantwortung zu übernehmen, wird noch unbeliebter. „Da bricht jetzt gerade eine ganze Generation von ehrenamtlichen oder engagierten Menschen weg, und hinterlässt eine Lücke, die schwer zu füllen ist“, stellt Bertges fest. Es habe sich eine „gewisse Konsumhaltung“ entwickelt. „Menschen gehen in eine Gruppe, weil sie einen bestimmten Bedarf haben und wenn der Bedarf gestillt ist, dann gehen sie wieder raus.“

Während früher eine Selbsthilfeleitung oft jahrelang gleich gewesen sei, seien die jüngeren Menschen anders unterwegs. Sie sind mobiler, sie bleiben nicht so lange in einer Gruppe und sie nutzen eher digitale Formate. Der Anteil von digitalen Formaten bei den Kölner Selbsthilfegruppen, die über die Kontaktstelle verbunden sind, indes ist eher gering. Auf etwa zehn Prozent schätzt ihn Bertges. Manche Gruppen bieten Hybrid-Treffen an, bei denen eine Kamera läuft und sich Menschen zuschalten können.

Diplom-Pädagogin Öznur Naz arbeitet bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle in Köln.

Diplom-Pädagogin Öznur Naz arbeitet bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle in Köln.

Der sichere Raum, in dem ich sehe, wer da ist und sicher sein kann, dass alles, was gesagt wird, nicht nach außen dringt, ist enorm wichtig.
Öznur Naz, Diplom-Pädagogin

„Der sichere Raum, in dem ich sehe, wer da ist und sicher sein kann, dass alles, was gesagt wird, nicht nach außen dringt, ist enorm wichtig“, findet Naz. Schließlich werde es in den Gruppen oft emotional. Viele Themen sind tabuisiert oder mit Schuldgefühlen behaftet. Naz organisiert zusätzlich Selbsthilfegruppen in Türkisch. „Bei vielen mit türkischen Wurzeln ist die Hemmschwelle immer noch besonders hoch, sich mit einem Problem vor anderen zu zeigen“, weiß sie.

Zusätzlich zur Übernahme von Verantwortlichkeiten, muss eine Selbsthilfegruppe vor allem in Köln das Raumproblem lösen. „Wir in der Kontaktstelle haben zwei Räume, die unentgeltlich genutzt werden können. Die sind enorm nachgefragt. Ungefähr 50 Gruppen nutzen sie. Wir haben von morgens 9 bis abends um 22 Uhr Gruppen im Haus“, sagt Bertges. Gut angesichts von Raummieten ist, dass es Fördertöpfe gibt. Auch darüber informiert die Selbsthilfe-Kontaktstelle. „Die gesundheitlichen Gruppen haben die Möglichkeit, bei den gesetzlichen Krankenkassen Gelder zu beantragen. Und wir haben das große Glück, in der Stadt Köln auch einen Selbsthilfe-Topf zu haben, der sowohl gesundheitliche als auch soziale Gruppen unterstützt“, sagt Bertges, „Dafür sind wir der Stadt wirklich sehr dankbar.“


Neue Übersicht

Alle aktuellen Angebote von Kölner Selbsthilfegruppen finden sich in einer neu aufgelegten Broschüre. Es gibt sie als gedrucktes Exemplar oder zum Download. Das gedruckte Exemplar kann bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle, Marsilstein 4-6, kostenfrei abgeholt werden.

Die Öffnungszeiten der Selbsthilfe-Kontaktstelle sowie alle Informationen über Gruppenangebote sind auf der Homepage zu sehen. Telefonisch zu erreichen sind die Fachkräfte der Kontaktstelle unter der Kölner Nummer 95 15 42 16.