Schleyer-EntführungDie Heimfahrt endete im Kugelhagel – der Terror der RAF

Spurensicherung: Zersplittertes Glas und Patronenhülsen liegen am Abend des 5. September 1977 auf der Vincenz-Statz-Straße in Braunsfeld.
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Köln – Der einsame Kinderwagen auf dem Gehsteig ist längst ein Symbolbild des Nachkriegsdeutschlands geworden. Drumherum sind die demolierten Dienstfahrzeuge zu sehen, Scherben und Projektilhülsen. Tatort: Vincenz-Statz-Straße, Braunsfeld. In dem Kinderwagen lagen die Schnellfeuerwaffen, mit denen heute vor 40 Jahren die Entführung von Hanns Martin Schleyer erzwungen wurde. Das Bild ist zum Symbol für den eiskalten Terror der Rote Armee Fraktion (RAF) geworden.
Der 5. September 1977 markiert den dramatischsten Entführungsfall in der Geschichte der Bundesrepublik. Beteiligt am Angriff auf Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer sind die RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Willy Peter Stoll und Stefan Wisniewski. Deren Plan drohte drei Tage zuvor spektakulär zu scheitern. Zum letzten Mal beobachten an diesem Tag Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz den Heimweg des Wirtschaftsführers. Am Raderthalgürtel inspizieren sie den Motorraum eines blauen Alfa Romeos. Doch gerade diese Tarnung kommt Anwohner Uwe Gartiser merkwürdig vor.
Schleyer-Entführung im „Bunker“ vorbereitet
„Weil Frauen sich üblicherweise sofort zu einer Tankstelle begeben“, wenn sie einen Defekt am Fahrzeug haben, wie er später zu Protokoll gibt. Er ruft bei der Kölner Polizei an und fragt, wer für Terrorbekämpfung zuständig sei. Wenig später kontrollieren zwei Beamte die – gefälschten – Papiere der Frauen. Die Polizisten eskortieren sie mit dem Alfa zur Werkstatt, wo ein defekter Heizungsschlauch ersetzt wird. Anschließend wünschen die Beamten gute Fahrt.
Am Abend des 4. Juni tagt das RAF-Kommando „Siegfried Hausner“ in der Wohnung Wiener Weg 1b in Junkersdorf. Es ist der „Bunker“ der Gruppe, eine von drei Kölner Wohnungen, in denen die Schleyer-Entführung vorbereitet wird. An der Decke hängt eine nackte Glühbirne, ein Radio steht im kahlen Raum, die Terroristen nutzen einen Teller als Aschenbecher. Bis 2 Uhr morgens diskutieren sie die „Big Raushole“. „Rausgeholt“ werden sollen die RAF-Anführer Andreas Baader und Gudrun Ensslin sowie die anderen Inhaftierten. Am Vorabend der Aktion zeichnen die Täter immer wieder auf, wie der Rammwagen die Kolonne stoppen soll. Als „unsere Wannseekonferenz“ bezeichnet Peter-Jürgen Boock später diesen Abend.

Der Ablauf der Entführung.
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Boock hat dem „Spiegel“ dieser Tage erneut Einblicke in die Vorbereitung der Entführung gewährt. Dass er zuvor noch einen Joint geraucht habe, um dann drei oder vier Stunden zu schlafen. Dass Sieglinde Hofmann am Tag selbst immer wieder ihr Schnellfeuergewehr auseinander gebaut habe, um sich abzulenken. Die Aktion läuft an im nahe gelegenen Gasthaus Stass. Die Terroristen kleiden sich geschäftsmäßig, Handelsvertreter in der biederen deutschen Republik. Sie bestellen Schwarzwälder-Kirsch-Torte, die sie aber nicht anrühren. Dann der verabredete Anruf, ein Wachposten gibt die Abfahrt Schleyers aus seinem Büro am Oberländer Ufer weiter. Der Kontaktmann am Rheinufer bittet, „Herrn Karl von der Außenwerbung“ ans Telefon zu holen. Stefan Wisniewski kommt und hört das Codewort: „Mendocino“. Michael Holms Ohrwurm muss als Deckname herhalten.
Polizisten starben im Kugelhagel
Um 17.28 Uhr rollt der Mercedes 450 mit Hanns Martin Schleyer heran, am Steuer sitzt sein Fahrer Heinz Marcisz (41). Im 280er Mercedes folgen die Leibwächter Reinhold Brändle (41), Helmut Ulmer (24) und Roland Pieler (21). Beide Fahrzeuge biegen in die Vincenz-Statz-Straße ein, vorbei an Boock und Hofmann. Als der Rammwagen den Schleyer-Wagen stoppt und das Fahrzeug der Leibwächter auf diesen auffährt, eröffnen die Terroristen das Feuer. Stoll und Wiesniewski sollen Fahrer Marcisz ausschalten und Schleyer entführen.
Allerdings entwickelt sich am zweiten Wagen ein offenes Feuergefecht. Die drei Polizisten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes schießen zurück, sterben dann im Kugelhagel. 119 Schüsse gibt das RAF-Kommando insgesamt ab, die vier Begleitpersonen sterben. „Scheiße, das ist schief gegangen“, habe er gedacht, erzählte Boock dem „Spiegel“. Er sei davon ausgegangen, dass Schleyer auch ums Leben gekommen sei. Doch der Wirtschaftsführer überlebt. Als die Entführer ihn in den VW-Bus schleppen, soll er ein Beruhigungsmittel per Spritze bekommen. Der 62-Jährige sagt: „Das ist nicht nötig.“ Die Entführer sagen: „Das entscheiden wir.“
Flucht endete nach wenigen hundert Metern
Die Flucht im bereitgestellten VW-Bus hat nach einigen hundert Metern fast ein Ende. Der 17-Jährige Gregor Vogt, sperrt mit einer Flagge die Straße, damit Fahrzeuge des Deutschen Roten Kreuzes rangieren können, Vorbereitungen für ein Sportfest. Boock steuert den VW und hält voll auf einen Lkw zu, er schiebt das Fahrzeug wenige Meter an Vogt vorbei. Der erfährt erst in den Nachrichten, dass er Zeuge der Flucht geworden ist.
Hanns Martin Schleyer wird in die Wohnung im Wohnkomplex „Zum Renngraben 8“ in Erftstadt-Liblar gebracht. Erst im Februar des Folgejahres untersucht die Polizei die leere Wohnung. Schleyer ist längst tot. Beim Abrücken des Doppelbettes finden die Beamten Manschettenknöpfe. Ein Helikopter der Polizei bringt sie nach Stuttgart. Waltrude Schleyer bestätigt, dass sie ihrem Mann gehört haben. Sie hatte sie ihm zum Geburtstag am 1. Mai geschenkt.