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Friedhof in ZollstockRundgang über Südfriedhof bringt überraschende Ansichten ans Licht

Lesezeit 3 Minuten
Menschen stehen im Halbkreis auf einem großen Vorplatz, eine Frau mit rosa Mütze referiert.

Dr. Deborah Williger (3.v.r.) erläuterte das Konzept der interreligiösen Archegärten.

Die Agrarwissenschaftlerin und jüdische Theologin Deborah Williger brachte den Teilnehmern ihrer Erkundung nahe, wie lebendig der Südfriedhof ist. 

Für nicht eingeweihte Passanten, aber auch für die übrigen Mitglieder der etwa 25-köpfigen „Erkundungsgruppe“ klang der Ruf am Hochkreuz des Südfriedhofs zunächst rätselhaft. Mit den Worten: „Hinter Jesus wohnt ein Volk“ machte eine Teilnehmerin auf den regen Betrieb unter der linken Achselhöhle des Korpus aufmerksam. Tatsächlich, dort schwirrten  Bienen herum. „Die Christusfigur hat vermutlich ein Hohlkreuz“, scherzte jemand.

Eine mehr oder weniger lässliche Blasphemie, die Pfarrerin Dorothee Schaper, an der evangelischen Melanchthon-Akademie für christlich-muslimische und interreligiöse Begegnung zuständig, milde überging. Schließlich bestätigten die emsigen Insekten, dass Friedhöfe gerade in Städten zahlreichen Tierarten, aber auch Pflanzen, als Rückzugsorte und Lebensräume dienen. Das trifft nicht zuletzt auf den Südfriedhof zu, der 1901 als Parkanlage konzipiert wurde und heute zu den bedeutendsten Grünanlagen der Stadt zählt. Hier sind mittlerweile rund 35 Vogelarten heimisch geworden, darunter Sommer- und Wintergoldhähnchen, Misteldrossel und Zilpzalp, aber auch Füchse und Eichhörnchen.

Bundesweites Projekt „Der Friedhof lebt“ machte Station in Köln-Zollstock

Deshalb erläuterte Dr. Deborah Williger, Leiterin des bundesweiten Projekts „Der Friedhof lebt“, bei einem Rundgang über den Friedhof auf Einladung der Melanchthon-Akademie das zentrale Konzept der „interreligiösen Archegärten“. Denn das Projekt nimmt nicht nur die ökologische, sondern auch die kulturelle Vielfalt in den Blick: Das Bild der Arche wurde gewählt, weil es in den drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam für die Erhaltung des Lebens steht. Beteiligen können sich aber auch Angehörige anderer Religionen, unter Einhaltung der Pietätsgebote sollen „die Zusammenhänge zwischen Naturerleben, Spiritualität und Eigenverantwortung für den Erhalt der biologischen Vielfalt“ vermittelt werden, wie es in einer Broschüre heißt.

Damit verbunden ist eine kritische Sicht auf die anthropozentrische Theologie, auf eine Theologie also, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und seine Abhängigkeit von der übrigen Natur unterschlägt. „In den Archegärten soll nicht der Tod im Fokus stehen, sondern der Kreislauf des Lebens“, so Williger. Die studierte jüdische Theologin und Agrarwissenschaftlerin fand einen prägnanten Ausdruck für diese Zusammenhänge: „Wir sind alle essbar.“ Nach jüdischem Verständnis etwa seien Friedhöfe eher „Häuser des Lebens“ als Orte des Todes.

Menschen stehen im Halbkreis auf einem Stück Rasen, auf einem Tuch haben sie Zweige und Blätter zu einem Baum angeordnet.

Zum Abschluss des Rundgangs ordneten die Teilnehmer aufgelesene Zweige und Blätter symbolisch zu einem Baum an.

Ein Baustein des Projekts „Der Friedhof lebt“, das vom Bundesamt für Naturschutz, dem Bundesumweltministerium, von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen und dem Institut für Theologische Zoologie gefördert wird, sollen Bildungs- und Mitmachangebote werden, die für die Unterschiede zwischen den Trauer- und Bestattungskulturen der Religionen sensibilisieren. So stießen Muslime bei der Beerdigung ihrer Freunde und Verwandten immer wieder auf Probleme, weil die Gesichter ihrer Toten nach Südosten, nach Mekka, blicken sollen, was aber häufig nicht zur Ausrichtung der Gräber auf den nach christlichen Vorstellungen angelegten Friedhöfen passt. Ebenso wenig entsprechen die hierzulande verwaltungstechnisch vorgesehenen „Ruhezeiten“ in Gräbern – zwischen 20 und 30 Jahren – der jüdischen Tradition: Danach dürfen Gräber nicht einfach nach einer gewissen Zeit „abgeräumt“ werden, sondern müssen unangetastet bleiben, wie Williger erklärte. Sie seien für die Ewigkeit gedacht.

Was die Erstellung von Bildungsmodulen oder Schulungen angeht, die solches Wissen vermitteln, steckt „Der Friedhof lebt“ allerdings noch in den Anfängen. Bislang haben sich der Zentralfriedhof Münster, der Waldfriedhof Lauheide, der Alte Friedhof Oberliblar, der Neue Jüdische Friedhof Bad Segeberg und der Hauptfriedhof Landau in der Pfalz dem Projekt angeschlossen. Auf diesen „Pilotfriedhöfen“ will das achtköpfige, aus Vertretern verschiedener Religionen und wissenschaftlicher Disziplinen bestehende Team nun das Archegarten-Konzept entwickeln.

Gesucht werden auch interessierte Gruppen in Kirchengemeinden oder Kommunen, dazu Lehrer, Dozenten und Bürger, die das Konzept auf „ihren“ Friedhöfen umsetzen und sich mit eigenen Ideen beteiligen möchten. Immerhin ist es auf einigen der Pilotfriedhöfe schon gelungen, Blühwiesen anzulegen, es finden auch bereits Veranstaltungen statt, wie etwa am 20. September ab 20 Uhr die Veranstaltung „Die faszinierende Welt der Nachtschmetterlinge“auf dem Alten Friedhof Oberliblar zum Beispiel. Weitere Informationen gibt es online.

www.der-friedhof-lebt.de