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Kreativer HotspotZwischennutzer machen aus Fabrikgelände in Rodenkirchen eigene Kleinstadt

Lesezeit 4 Minuten
Marcus Reiner krempelt mit den Zwischennutzern gerne selbst die Ärmel hoch.

Marcus Reiner krempelt mit den Zwischennutzern gerne selbst die Ärmel hoch.

Seit einem Jahr wird das ehemalige Flint-Geländer an der Weißer Straße als kreativer Hotspot genutzt. Da geht immer noch mehr.

„Das wird 'ne Kleinstadt“, prognostizierte Marcus Reiner, Gründer der Zwischennutzer, vor fast genau einem Jahr. Da übernahm der Geschäftsführer das Gelände als „Zwischenmieter“ vom Eigentümer, der Unternehmensgruppe Bauwens, die Wohn- und Gewerbeimmobilien entwickelt und realisiert.

Nach Auszug der ehemaligen Flint-Farbenfabrik, die bereits Ende 2017 das Gelände verlassen hat, wird seit dem Einzug die ungenutzte Immobilie als „kreativer Hotspot“ zum Leben erweckt. „Hier müssen die Ärmel hochgekrempelt werden“, fügte Reiner damals noch an und tut seitdem genau das.

100 Zwischennutzer sollten es werden, mittlerweile sind es 160 Mieter, die die verschiedenen Hallen und Gebäudeteile ganz unterschiedlich nutzen. Fotografen, bildende Künstler, Auto-, Van- und Fahrradschrauber, eine Start-up-Schreinerei und vier Tonstudios sind eingezogen. Hinzu kommen Musiker, DJs, Komponisten, die ehemalige Hallenteile als Proberäume nutzen. Zu den Mietern gehören auch eine Maskottchen-Designerin, Klamottendesigner, Sprayer, ein Pizzatruck oder das Kölner Start-up „Stadtkontraste“.

Hunderte kreative Menschen versammeln sich in Rodenkirchen

„Stadtkontraste“ hat im letzten Jahr den von Autos befreiten öffentlichen Raum an der Deutzer Freiheit mit einem Möblierungskonzept unterstützt.„An der Venloer Straße entstehen jetzt Begegnungsräume und Orte zum Entspannen, grüne Verweiloasen. Dafür bauen wir gerade die Möbel und stellen Pflanzkübel her“, erzählt Matthias Deventer, urbaner Gestalter von „Stadtkontraste“, der zufällig auf Reiners gerade selbst gebauter Terrasse auftaucht, um ein paar Ideen mit anwesenden Mietern auszutauschen. „So geht das hier ständig“, sagt Reiner dazu.

Viele Mieter kamen über den Flurfunk. Die meisten Vermietungen bei „Lordation2“, wie das Gelände jetzt heißt, geht über Kleinanzeigen. Derzeit ist nahezu alles vermietet, der Keller hat noch Kapazitäten. Die Mietverträge laufen grundsätzlich so lange wie die Hauptmietverträge mit Bauwens, bis 2026. „Vor zwei Jahren war Rodenkirchen ein schlafendes Dorf, das jetzt um hunderte kreative, junge Menschen angewachsen ist“, sagt Reiner.

Mit der Ringstraße, dem ehemaligen „Volvo“-Verwaltungsgebäude und der ehemaligen „Rheinischen Papierfabrik Kühl“ an der Bahnstraße, kann Reiner mittlerweile 30.000 Quadratmeter Platz für Kreative anbieten. Bauwens sieht den Vorteil. „Wir sehen die Vermietung an die Zwischennutzer als eine Möglichkeit, Künstlern, wenn auch nur vorübergehend, Raum zur Entfaltung zu bieten. Der Zeitraum zwischen der Baurechtsschaffung bis zum Beginn des Hochbaus eignet sich als ideale Übergangslösung für solche Nutzungen“, teilt ein Bauwens-Sprecher mit.

Auf dem ehemaligen Flint-Gelände entstehen viele Synergien

„Alle, die man fragt, sagen, hier gibt es gute Vibes“, sagt Reiner, der lieber von „Synergien“ auf dem Gelände spricht. Nahezu 50 Prozent der Aufträge entstehen und bleiben auf dem Gelände. Bei einem Wassereinbruch an der Bahnstraße standen direkt Helfer parat. „So schnell kann man gar nicht gucken, wie da angepackt wird. Probleme werden sofort gelöst.“

Bei der Einrichtung neuer Räume wird auf die Wiederverwendung vorhandener Materialien geachtet. In der Flintfabrik wurden etwa Dämmstoffe aus dem Rückbau industrieller Anlagen, in die neu gebauten Atelierwände integriert. Ehemalige Aluminiumverkleidungen wurden zu Überdachungen für Schuppen.

Ideen kommen aus den eigenen Reihen. Mit einem gerade eingerichteten Fond soll monatlich ein Teil verschönert werden. Wie die Idee von „Stadtkontraste“, die sich „Chillinseln mit Grün und Handyladestation, die über Solar betrieben werden“, vorstellen können. Eine Tiny-Haussiedlung steht ebenfalls auf der „Bucket List“. Die gerade neu eingerichtete Terrasse ist jetzt schon Treffpunkt.

Nicht alle sind mit allen Mietern auf Anhieb einverstanden. Ein ehemaliger Gangster-Rapper, der hier sein Tonstudio hat? „Der hat mal Scheiße gebaut. Für mich ist das Thema damit erledigt“, sagt Reiner. Er ist hier also genau so vertreten wie die Nachtwölfe, eine russische Motorradgang, die mit russischen Flaggen Konvoi fährt. „Es wäre etwas anderes, wenn sie ihre Flaggen an der Weißer Straße hissen. Das sind super nette Leute. Die organisieren jetzt ein Sommerfest für Kinder und bringen kleine Bikes mit. Sie holen Senioren zu einer Trikefahrt ab“, so Reiner. Grundsätzlich gilt auf dem Gelände: Kein Sex, kein Glücksspiel, keine Religion und keine Politik.

Es ist eine Zwischennutzung auf Zeit. Selbst verbaute Schrauben können allesamt wieder umziehen. Wann das sein wird? Zunächst 2026. Fertig ist auch eine Datenbank, unter der Studios oder Dienstleistung gesucht und gebucht werden können. Die kleine Stadt am Rande von Rodenkirchen wächst immer weiter.

kreativkoeln.de