Mehr als 70 Jahre nach ihrer Entdeckung konnten Kölner Nachwuchswissenschaftler die Kuschana-Schrift entschlüsseln. Die entscheidende Spur legte der Archäologe Bobomullo Bobomulloev.
Rätselhafte SchriftWarum Bobomullo Bobomulloev ein Glücksfall für Kölner Sprachwissenschaftler ist
„Wir haben eine Menge Gratulationen erhalten, beispielsweise aus Frankreich und Japan“, sagt Dr. des. Svenja Bonmann. Die Linguistin an der Universität zu Köln hat es zusammen mit zwei weiteren Kölner Nachwuchswissenschaftlern geschafft, eine bisher rätselhafte Schrift der Antike zu entschlüsseln. Seit ihrer Entdeckung in den 1950er-Jahren war die Kuschana-Schrift noch nicht entziffert. Die Geschichte hinter dem wissenschaftlichen Erfolg ist eine von Hartnäckigkeit, Fleiß und Zufall.
Twitter-Post leitete Durchbruch ein
Es war letztlich ein Post bei Twitter, der das entscheidende Puzzleteil lieferte. Jakob Halfmann, Nachwuchswissenschaftler im Bereich Linguistik an der Kölner Uni, entdeckte im November vergangenen Jahres Fotos von Bobomullo Bobomulloev. Der Archäologe führte Grabungen in den Bergen Tadschikistans durch und war auf Inschriften in Felsen gestoßen. In Stein gemeißelt reihten sich dort Zeichen aneinander.
„In der ersten Sekunde war uns klar, dass das genau das fehlende Puzzleteil in unseren Forschungen ist“, sagt Bonmann. Denn schon seit mehreren Jahren untersucht sie zusammen mit Halfmann und Natalie Korobzow Fotografien von in Höhlen gefundenen Inschriften sowie Schriftzeichen auf Schalen und Tontöpfen aus verschiedenen zentralasiatischen Ländern.
Die sogenannte Kuschana-Schrift, die aus einer Hochkultur etwa 100 Jahre nach Christi stammt, gab der Wissenschaft über viele Jahrzehnte Rätsel auf. „Die Kuschana gründeten ein Imperium, das unter anderem für die Ausbreitung des Buddhismus bis nach Ostasien verantwortlich war. Sie schufen zudem monumentale Architektur und Kunstwerke“, erläutert Bonmann. Nach gut 2000 Jahren ist nicht mehr viel erhalten von den Schriftstücken der Kuschana. Im Laufe der Zeit sind Papiere vermodert und zerfallen.
Ähnlicher Glücksfall wie bei den Hieroglyphen
Im Prinzip half den jungen Forschenden, die zwischen 28 und 33 Jahren alt sind, eine mehrsprachige Inschrift. Bobomulloev fand einen zweisprachigen Text, der in eine Felswand geritzt war. Neben der unbekannten Kuschana-Schrift enthält er auch einen Abschnitt in der bereits bekannten baktrischen Sprache. „Diesem Fund kam eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Stein von Rosetta, dessen Entdeckung dazu führte, dass die ägyptischen Hieroglyphen entziffert werden konnten. Auf dem Rosetta-Stein findet sich neben ägyptischen Hieroglyphen und Demotisch auch ein altgriechischer Text“, erläutert Bonmann. „Einige hundert Stunden“ steckten die jungen Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler in ihre Forschungen. In ihrer Freizeit.
Mühsam und akribisch verglichen sie, welche Zeichen häufig vorkommen und wie diese angeordnet sind. Aktuell können etwa 60 Prozent der Schriftzeichen gelesen werden, am verbleibenden Rest arbeitet die Gruppe intensiv. „Die Kuschana nutzten eine Silbenschrift ähnlich wie die Inder“, erklärt Bonmann, „Die Entzifferung kann dazu beitragen, unser Verständnis der Sprach- und Kulturgeschichte Zentralasiens und des Kuschana-Reichs auf eine neue Grundlage zu stellen, ähnlich wie es die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen oder der Maya-Glyphen für unser Verständnis des alten Ägypten und der Maya-Zivilisation getan haben.“
„Das ist der König der Könige“, steht unter anderem in einer der Inschriften. „Die vollständige Entzifferung ist Gegenstand zukünftiger Forschung und weiterer Publikationen“, sagt die 33-Jährige. Auch wenn das Rätsel um die Kuschana-Schrift gelöst ist, gibt es noch genügend Herausforderungen für Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler. „Es gibt noch jede Menge Schriften, die wir nicht lesen können“, sagt Bonmann. Eine ist die der Osterinsel, Rongorongo, eine weitere ist die sogenannte Indus-Schrift.