Stottern, zögern oder Versprecher: Die Lesehunde der Stadt Köln hören ihren jungen Gästen zu, ohne zu urteilen.
StadtteilbibliothekenWie Kölns „Lesehunde“ Pänz die Angst vorm Vorlesen nehmen sollen
Für Rudi ist seine Aufgabe ein Neuanfang. Wenn er sich gemütlich vor den Kindern ausstreckt und die gar nicht aufhören wollen, durch sein wolliges Fell zu wuscheln, scheinen die vergangenen zehn Jahre vergessen: die schwere Kette, der immergleiche Hof, schließlich die Tötungsstation. Dort sollte Rudis Geschichte enden - wenn der Tierschutz und sein neues Frauchen, die Diplomsozialarbeiterin Daniela Stolzenburg aus Köln, nicht gewesen wären.
Heute ist der zottelige Hütehund professioneller Zuhörer in der Stadtteilbibliothek Porz und Mülheim. Auf seine alten Tage hat Rudi es zum Lesehund bei der wöchentlichen Veranstaltung „Lies mir vor“ gebracht. Mit seinem Charme animiert er Kinder zu einem Besuch in der Bibliothek. Geduldig lauscht er dabei auch allen jungen Stimmen, die das Vorlesen üben wollen. Außer ihm gibt es noch drei andere Kölner Lesehunde, die regelmäßig in den Stadtteilbibliotheken Sülz, Nippes oder Kalk vorbeischauen. Begleitet wird das Projekt von einer Diplom-Heilpädagogin, die die Hunde sowie ihre Besitzerinnen und Besitzer für ihren ehrenamtlichen Einsatz in der Bibliothek schult.
Denn die Hunde können etwas, dass so mancher Mensch noch lernen muss: Urteilsfrei und geduldig bleiben. Fehler, stottern oder zögern sind dem felligen Team herzlich egal. Auch beim x-ten Versuch hören sie zu - und genießen die Streicheleinheiten. „Bei dem Projekt haben alle Beteiligten ständig ein Grinsen im Gesicht“, schwärmt Rudis Besitzerin und treue Assistenz.
„Rudi Rakete“ geht ihr bis zum Knie, hat große, braune Knopfaugen, lustige Pinselohren und Fell, das weicher als Schafwolle ist. Kurzum: Er ist ein Kindermagnet. Schon als er an diesem Dienstag durch die Eingangstür der Porzer Bibliothek trottet, wird er von einer jungen Besucherin begrüßt, die ihn schon kennt. Die Aufregung seiner kleinen Fans? Für Rudi das ganz normale Geschäft. Er nimmt auf seiner Decke neben ein paar Sitzsäcken Platz und sein Charme erledigt den Rest.
Zwei sechsjährige Mädchen haben ihn schnell entdeckt, doch sie sind schüchtern und zögern noch, sich zu ihm zu setzen. Dann zeigt sich, warum Rudi und seine Besitzerin so ein gutes Team sind: Stolzenburg hat ein Händchen für Kinder und kann den beiden schnell ihre Scheu nehmen. Gemeinsam suchen sie Lesestoff aus. Die Wahl fällt ausgerechnet auf ein Katzenbuch.
Das Ziel des Projekts, also die Leseförderung, erreiche die Arbeit mit Rudi zwar auf indirektem Weg, aber dafür umso effektiver: „Kinder, die nicht vorlesen möchten, haben oft kein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein oder sind auf Erfolg getrimmt“, sagt Stolzenburg. „In diesem zwanglosen Rahmen mit dem Rudi geht es aber nicht um Erfolg. Da geht es nicht um richtig und falsch; es geht allein darum, die Freude am Lesen zu entdecken.“
Sie ist von dem Erfolg des Projekts überzeugt. Nicht zuletzt hat die 58-Jährige ihre Diplomarbeit über den unterstützenden Einsatz von Hunden in der Sozialarbeit geschrieben. Und auch ihre Erfahrungen bei „Lies mir vor“ würden für sich sprechen. Eine junge Schülerin, die Rudi zuvor schon vorgelesen hatte, habe sich eines Dienstags ein Buch über Schildkröten ausgesucht und Stolzenburg mit dem Wort „Galapagos-Riesenschildkröte“ überrascht - flüssig ausgesprochen. „Eine 3-Jährige kam, hat sich in einen Sitzsack gekuschelt, und diesem Mädchen bewundernd zugehört“, erinnert sie sich. „Das heißt, die großen Kinder lesen dann auch den Kleinen vor.“
Wer bei „Lies mir vor “ mitmachen will, muss jedoch Regeln beachten. Die Sicherheit der Kinder und das Wohlbefinden von Rudi würden immer im Vordergrund stehen. „Nicht rennen oder schreien, immer nur eine Hand am Hund und wenn Rudi geht, darf ihm niemand hinterher“, erklärt Daniela. Den Gästen, die Rudi gerade ehrfürchtig streicheln, muss sie das aber nicht sagen.
Sie seien noch nicht eingeschult, und können deshalb noch nicht lesen, erklären sie Daniela schüchtern. Für die ist das kein Problem. „Jedes Mal sieht anders aus“, erklärt sie. Enthusiastisch schnappt sie sich das Buch und lässt die Infos über Raubkatzen wirken, wie eine spannende Geschichte. Lange hält es die Mädchen nicht auf ihren Sitzsäcken: Unauffällig rutschen sie immer mehr in Richtung Rudi, bis sie direkt vor ihm auf dem Boden sitzen.
Rudi scheint von der Höchstgeschwindigkeit von Geparden weniger mitzubekommen als die jungen Zuhörer. Er genießt die ununterbrochenen Streicheleinheiten seiner Gäste. „Ich könnte jetzt auch aus dem Grundgesetz vorlesen, Hauptsache ist, dass Rudi da ist“, sagt Stolzenburg schmunzelnd.
Die Lesehunde der Stadtteilbibliotheken
Eine hundgestütze Leseförderung gibt es in den Stadtteilbibliotheken Porz, Mülhiem, Sülz, Nippes und Kalk.
Lesehund Rudi ist jeden Dienstag von 16 bis 17 Uhr in der Porzer Bibliothek und jeden Freitag von 16 bis 17 Uhr in Mülheim. Die offene Lesestunde wird für Kinder zwischen fünf und 12 Jahren empfohlen. Eine Voranmeldung ist nicht nötig.
In Sülzer Bibliothek arbeitet Lesehündin Chicca einmal pro Woche mit Schülerinnen und Schülern der St. Nikolaus Schule. Ähnlich sieht es in Nippes aus: Hier kommt wöchentlich eine Gruppe aus dem offenen Ganztag der Grundschule Nesselrodestraße, um dem Labrador Samu vorzulesen.
Cockerspaniel Albert ist in Kalk im Einsatz. Zu ihm kommen Schülerinnen und Schüler von wechselnden Schulen aus dem Veedel. Eine offene Lesestunde mit Albert ist vorerst zwischen Pfingsten und den Sommerferien geplant. Hierfür wird eine Voranmeldung nötig sein. Infos folgen auf der Website der Bibliothek.