Eigentlich ist es eine einfache Rechnung: Der Bedarf an Pflegeplätzen in Köln steigt, also muss auch das Angebot an stationären Plätzen steigen. Das ist jedoch das Problem, denn dafür mangelt es an Grundstücken und Bauvorhaben, sagen Seniorenunion und Freie Träger.
PflegenotstandBis 2050 fehlen in Köln 3000 vollstationäre Plätze
Unfälle, Krankheiten, altersbedingte Einschränkungen: Es gibt viele Dinge, die dafür sorgen können, dass jemand einen Pflegeplatz benötigt. Stationäre Pflegeplätze gibt es wiederum nicht in rauen Mengen, im Gegenteil: Bereits heute fehlen im Stadtgebiet Pflegeplätze. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten steigt der Bedarf jedoch weiterhin an. Die Seniorenunion, eine Gemeinschaft der CDU, schlägt Alarm.
Pflegesituation: Köln liegt hinten
„Der dritte Bericht der Stadt Köln zur Kommunalen Pflegeplanung ist die Fortschreibung der Misere“, konstatiert Dieter Gruner. Der Kreis-Vorsitzende der Seniorenunion in Köln kritisiert: „Wir haben weiterhin einen Pflegenotstand und es hat sich nichts verbessert.“ Die Stadt Köln liege – teilweise deutlich – hinter Bund und Land zurück. Auch die freien Träger der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Caritas in Köln sehen die Lage höchstkritisch. Peter Krücker, Vorstandssprecher des Caritasverbandes für die Stadt Köln, fasst zusammen: „Aus dem dritten Pflegebericht geht hervor, dass das Angebot für Stationäre Pflege in Köln aktuell nicht ausreichend ist und faktisch sinkt. 2019 gab es 7309 Plätze in der Stationären Versorgung, in 2022 waren es nur noch 7256 Plätze.“
Damit würden für je 100 Menschen ab 80 Jahren im Jahr 2019 12,3 Plätze, im Jahr 2022 aber nur noch 11,4 Plätze zur Verfügung stehen. „Im Land NRW liegt die durchschnittliche Versorgungsdichte bei 13,7 Plätzen, auf Bundesebene bei 14,4 Plätzen. Damit liegt die Kölner Versorgungsquote mehr als 20 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt“, konstatiert Krücker. Er rechnet vor: „Wenn man die demografische Entwicklung berücksichtig und die durchschnittliche Versorgungsquote des Landes NRW zugrunde legt, müssen in Köln bis 2040 rund 3000 Plätze in der stationären Versorgung neu und zusätzlich geschaffen werden.“
Grundstücke sind rar
Dieter Gruner und Wolfgang Gärtner fragen: „Wie soll das geschafft werden?“ Denn laut Gesetz ist bei Neubauten von stationären Dauerpflegeeinrichtungen die Zahl der Plätze auf 80 begrenzt. Bis 2040 müssten somit rund 38 Einrichtungen entstehen, um den Bedarf zu decken. „Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen und wünschen uns mehr Kreativität. Beim Schulbau scheint es in Köln eine Vorratshaltung von Grundstücken zu geben, aber beim Thema Pflegeplätze fehlen Grundstücke.“
Gruner fordert gemeinsam mit Wolfgang Gärtner, Vorsitzender der Seniorenunion Mittelrhein, dass bestehende Ratsbeschlüsse von der Kölner Verwaltung umgesetzt und damit die Errichtung von Pflegeeinrichtungen priorisiert werden soll. Im November 2022 hat der Stadtrat beschlossen, dass die Verwaltung „verstärkt Maßnahmen zur Beseitigung des Grundstücksmangels zur Errichtung von Einrichtungen der stationären Pflege“ einleiten solle.
Peter Krücker nennt als unverzichtbare Rahmenbedingungen unter anderem eine klare Priorität für stationäre Versorgungsangebote bei Grundstücksvergaben der Stadt Köln und eine beschleunigte Bearbeitung von Baugenehmigungen für Einrichtungen der Pflege. Der Caritas-Vorstand geht zudem noch einen Schritt weiter, er nimmt auch das Land in die Pflicht. So fordert er eine deutliche Verbesserung der Investitionsförderung des Landes und eine Aufstockung der Deckelung bezüglich der maximalen Baukosten „auf einen Satz, der den Bau einer Pflegeeinrichtung ohne zusätzliche Eigenmittel des Trägers erlaubt.“
Aus dem Umfeld gerissen
Der Druck wächst weiter, wenn der Blick noch weiter in die Zukunft geht. „Bis zum Jahr 2050 fehlen mindestens 4400 Plätze, das heißt, dass rechnerisch rund 55 Einrichtungen mit durchschnittlich 80 Pflegeplätzen sukzessive in den kommenden Jahren zu errichten sind, um diese Lücke überhaupt zu schließen“, erklärt Ulli Volland-Dörmann. Die Geschäftsführerin der AWO in Köln mahnt: „Es ist meines Erachtens menschlich und auch hinsichtlich sozialer Bezüge nicht zu verantworten, dass ältere Menschen nach einer langen familiären und beruflichen Lebensleistung ihr angestammtes Umfeld oder ihre Stadt verlassen müssen, weil es für sie dort keine pflegerische Versorgungsmöglichkeit gibt.“
Damit spricht sie die Konsequenz aus dem Platzmangel im Stadtgebiet an. Denn diejenigen, die in Köln keinen Platz finden, suchen sich Plätze außerhalb. „Das Bergische Land und die Eifel fangen noch viel Bedarf auf“, sagt die Seniorenunion, doch auch dort sei der Platz limitiert. Allerdings bedeutet eine große Entfernung häufig auch weniger Kontakt zu den Angehörigen. Nicht nur, dass die Pflegebedürftigen aus ihrem Alltag gerissen werden, auch das Stichwort Vereinsamung schwebt wie ein Damoklesschwert über der Distanz, die die Familien bis zu den Pflegeeinrichtungen zurücklegen müssen, in denen ein Platz gefunden wird.
Stadt Köln plant mit zwei Varianten
Die Verwaltung spricht von zwei unterschiedlichen Szenarien. Eine Variante, in der die derzeitige Versorgungsdichte beibehalten wird und eine, die sich an der Versorgungsdichte des Landes orientiert. In der ersten „fehlen der Stadt Köln 85 vollstationäre Dauerpflegeplätze im Jahr 2030 und 1224 vollstationäre Dauerpflegeplätze im Jahr 2040“, erklärt eine Sprecherin. In der zweiten – die als „gute“ Versorgungssituation bewertet wird – „fehlen der Stadt Köln 1566 vollstationäre Dauerpflegeplätze im Jahr 2030 und insgesamt 2935 vollstationäre Dauerpflegeplätze im Jahr 2040“. Mit Stand 1. August 2024 gibt es in Köln insgesamt 97 vollstationäre Pflegeeinrichtungen mit 7910 Plätzen, 526 davon sind dauerhaft belegte Kurzzeitplätze.
Damit wird deutlich, dass Neubauten für Pflegeplätze dringend nötig sind. Derzeit befinden sich laut Stadt vier Einrichtungen mit 280 Plätzen im Bauverfahren und zwei weitere mit bis zu 160 Plätzen im Beratungs- und Abstimmungsverfahren. In den drei großen Baugebieten in städtischer Hand, Rondorf Nordwest, Kreuzfeld und Parkstadt Süd sind laut Stadt Grundstücke in ausreichender Größe vorhanden, diese sollen für Pflege verbindlich vorgesehen werden. Es gebe bereits Anfragen von Interessenten, allerdings nicht von privaten Unternehmen.
Freie Träger
Die Zukunft der Pflege scheint aufgrund der Wirtschaftssituation bei den freien Trägern zu liegen. „Die Caritas in Köln hat in den letzten Jahren fünf ihrer sieben Pflegeeinrichtungen neu gebaut und dabei 57 Millionen Euro investiert. Es bestehen Überlegungen, eine weitere Einrichtung zu errichten“, so Peter Krücker.
Auch die AWO würde mehr Einrichtungen bauen, „wenn Grundstücksgröße, -lage und -kosten für die gesetzlich vorgegebene Refinanzierung einer Pflegeeinrichtung darstellbar sind“, erklärt Ulli Volland-Dörmann. Zum 1. August nahm das neu errichtete Lotte-Lemke-Zentrum der AWO mit stationärer Pflege, Kurzzeitpflege, Tagespflege und 48 Servicewohnungen in Zündorf den Betrieb auf. Einrichtungen entstehen also weiterhin, aber nicht in einem Tempo, das den Bedarf deckt. Die Geschäftsführerin erklärt: „Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege muss die Politik in Köln noch mal dringend nachlegen und die Verwaltung hinsichtlich der Priorisierung bei der Lösung der Aufgabe stärker in die Pflicht nehmen. Wir müssen schneller, kreativer und lösungsorientierter werden. Wir haben überhaupt kein Erkenntnisdefizit, sondern ein hohes Umsetzungsdefizit in diesem Themenfeld.“