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Personalmangel in KölnEin Tag als ungelernte Kraft in der Gastro – ein Selbstversuch

Lesezeit 5 Minuten
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Das Zapfen muss gelernt sein. Vor allem, wenn es schnell gehen soll. Patrick (rechts) zeigt, wie das geht.

Köln – „Zwei Weizen, zwei Wiess, einmal Rhabarber, eine A-Sch und drei“, ruft Micha über die Theke. Katharina beginnt sofort, Weizen und Wiess zu zapfen. Patrick greift zu den Kölsch-Gläsern: Drei – die einfache Ziffer steht immer für die Anzahl der Kölsch in der Bestellung. Rhabarber und A-Sch sind eine Rhabarber- und eine Apfelschorle. Die Kürzel dienen dazu, Zeit zu sparen. Mit seinem beeindruckend großem Tablett wartet Micha höchstens eine Minute. Dann legt er es auf seinen linken Arm als wäre es nicht ein Holzbrett mit neun gefüllten Gläsern darauf, sondern eine Zeitung, und bedient die durstigen Gäste.

Der Ernstfall: Voller Biergarten – zu wenig Personal

Seit 15 Uhr ist der Biergarten am Volksgarten geöffnet, der zur Brauerei Heller gehört. Es ist Dienstag, nicht alle Tische sind besetzt. Patrick erklärt: „Wir arbeiten aber immer so, als wäre es der Ernstfall.“ Der Ernstfall: Voller Biergarten – zu wenig Personal. „Es gibt etwa 650 Plätze“, erklärt Betriebsleiter Christian Biernath. Denn ich bin heute hier, um mitzuarbeiten und zu sehen, wie sich der Personalmangel in der Gastronomie auswirkt (siehe Infotext).

Personalmangel in der Gastronomie

13,13 Euro pro Stunde beträgt das Durchschnittsgehalt für den Jobtitel „Aushilfe in der Gastronomie (m/w/d)“ in Köln laut dem Jobvermittlungsportal Indeed.

177 offene Stellen in der Gastronomie gab es Stand Ende Juni in Köln laut Agentur für Arbeit. Diese Stellen verteilen sich auf 112 Helfer, 55 Fachkräfte und 10 Spezialisten und Experten. Dazu gehören Führungskräfte.

16.651 Beschäftigte in der Gastronomie gab es in Köln im Jahr 2019, also vor dem Pandemie. 2020 ist die Zahl bereits auf 14 197 Beschäftigte gesunken.

27,5 Prozent ist die Zahl, um die die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Gastronomie in Köln zum Vorjahr wieder zugenommen hat. So der Stand im April 2022 laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga).

100 Anfragen und mehr gibt es von Geflüchteten aus der Ukraine, die in der Gastronomie arbeiten möchten, erzählt Till Riekenbrauk von der IG Gastro Köln. Ein Kontaktformular gibt es auf der Webseite.

123 Biergärten in Köln sind auf der folgenden Webseite aufgelistet.

Als ich ankomme, kümmert sich Uddin um den Tretbootverleih, ebenso um den Eisverkauf. Eigentlich ist er in der Küche angestellt. Uddin gehört zu einem Team aus etwa 30 Mitarbeitenden, die sowohl im Biergarten als auch in dem Brauhaus an der Roonstraße arbeiten. Sieben davon sind fest angestellt. Bis auf Christian Biernath und Sven Lua, der stellvertretende Betriebsleiter, sind heute alle im Service und an der Theke Aushilfen. „Vor der Pandemie hatten wir ein Team von etwa 75 Leuten“, sagt Biernath. Dabei faltet er frisch gewaschene Schürzen und T-Shirts. „Das Brauhaus macht gerade Betriebsferien, sonst würde das aktuell nicht passen mit dem Personal“, erklärt er weiter.

Die Essensglocke klingelt. Ich bringe die zwei Schnitzel und den Leberkäse raus. Drei Teller bekomme ich gerade so getragen, aber weil der Boden so uneben ist, muss ich mich auf meine Füße konzentrieren. Ich bin froh, als die Gerichte und auch ich heile an Tisch 43 ankommen. „Teller-Taxi“ werden die Mitarbeitenden genannt, die die Speisen an die Tische bringen und die leeren Teller einsammeln. Beide sind gerade unterwegs. Wäre ich nicht da gewesen, hätte Biernath selbst das Essen zu den Gästen gebracht. Er springt immer da ein, wo es gerade nötig ist.

Sonst checkt er immer wieder die Wetterlage. Er muss entscheiden: „Öffnen wir die Costa oder nicht?“ Costa heißt der Abschnitt am Wasser. „Das ist unser beliebtester Platz.“ Gegen 18 Uhr entscheidet Biernath, den Teil zu öffnen. Er ruft Danny und Carlotta an. Das ist die maximale Auslastung, die der Betriebsleiter heute hat: Drei im Service und drei hinter der Theke. „Wenn es voll ist, ist es gut, wenn wir fünf im Service haben und vier an der Theke“, erklärt Patrick. Das ist heute nicht möglich. „Wenn wir zu wenig Personal haben, dann bleiben Teile des Biergartens zu. Wir haben überall Anzeigen geschaltet, die Resonanz ist traurig“, so Biernaht. Früher konnte er sich sein Personal aus den Bewerbern aussuchen. Heute ist er froh, wenn die sich überhaupt zurück melden. Lange war der Job vor allem bei den Studierenden beliebt. Während die Gastronomie in der Pandemie schließen musste, sind viele allerdings in andere Branchen abgewandert. Auch die harte Arbeit scheint abzuschrecken. Eine aufziehende Wolke verhindert heute den Ernstfall. Der Wind ist einigen Gästen zu ungemütlich. Sie gehen.

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Für Kaffee und Kuchen kommen die Gäste bei schönem Wetter auch gerne in den Biergarten der Brauerei Heller.

Das Publikum ist „Typisch Südstadt – bunt gemischt, alt und jung“ – sind sich Biernath und Micha einig. Um kurz vor zehn gibt es die letzte Runde. Während „Typisch Südstadt“ noch an dem letzten Aperol und der letzten A-Sch schlürft, befreit das Team die Tische von Karten, Aschenbechern, Tellern und Krügen, an denen sich zuletzt die Wespen bedienten. Gläser werden gespült und poliert. Ich halte mich ans Spülen, weil ich nicht im Weg stehen möchte – und mir tun die Füße weh.

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Kaja Hempel schafft es maximal drei Teller zu tragen.

Patrick durfte schon früher Feierabend machen, aber er sitzt noch an Tisch eins. „Es ist das Team, das die Arbeit ausmacht“, sagt der Maschinenbaustudent. Danny stimmt zu: „Mir macht das einfach Spaß hier. Ich bin jeden Sommer dabei.“ Übermorgen fliegt er für seinen Hauptjob nach London. Während Carlotta die Theke abwischt, erzählt sie: „Morgen muss ich um 9 Uhr in der Uni sein. Eigentlich versuche ich, das zu vermeiden.“ Sie studiert Architektur. Ich frage mich, wie sie das alle schaffen.

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Um 23.20 Uhr ist der Biergarten fertig zum Abschließen. Trotzdem geht keiner nach Hause. Alle setzen sich noch auf ein Kölsch zusammen. Dieser Tag ist geschafft. In den nächsten Tagen soll es wieder richtig heiß werden. Die Kölnerinnen und Kölner werden in die Biergärten strömen. Dann heißt es „Fünf Weizen, fünf Wiess, drei A-Sch, drei Rhabarber und zehn.“