Was tun, wenn Starkregen ganze Museen oder Bibliotheken unter Wasser setzt? Eine Übung im Kölner Rettungswagen für Kulturgüter.
Notfallübung in KölnWie man wertvolle Bücher vor Schäden durch Hochwasser rettet
Hochwasser ist das Thema an diesem Vormittag auf dem Parkplatz des Historischen Archivs in Köln. Kein echtes Hochwasser, sondern ein Übungsszenario. Und gerettet werden keine Menschen, sondern Bücher. Dafür gibt es sogar einen eigenen Rettungswagen. Der „Abrollbehälter Kulturgutschutz“ steht sonst bei der Kölner Feuerwehr auf dem Hof und wird mit einem Laster an- und abgerollt - daher die sperrige Bezeichnung. So kann der Notfall-Container im Katastrophenfall schnell zu seinem Einsatzort gebracht werden.
Für die jährliche Notfallschulung des „Notfallverbunds der Kölner Archive und Bibliotheken“ ist er zum Historischen Archiv gerollt worden. 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kölner Archiven und Bibliotheken lernen heute, wie sie in dem 15 Quadratmeter großen Raum erste Hilfe für beschädigte Bücher leisten können.
Und die besteht vor allem aus der Reinigung. „Das ist einer der wichtigsten Schritte“, erklärt Nadine Thiel, leitende Restauratorin des Historischen Archivs mit Rheinischem Bildarchiv. Denn Bücher, die aus Hochwasser gerettet werden, sind nicht nur nass, sondern vor allem verschlammt. Wenn der Schlamm erst einmal trocken ist, sind die Seiten nicht mehr zu retten. „Das ist wie zementiert“, beschreibt Thiel.
Köln: So werden von Hochwasser beschädigte Bücher gerettet
Deshalb heißt es: abspülen. Für Bibliothekare sei es aber kein einfacher Gedanke, Bücher noch nasser zu machen. Deshalb üben sie hier unter anderem, beherzt zur Brause zu greifen, die über der Spülstation von der Decke hängt.
Eine Station vorher sind die Bücher - zuvor für die Übung präparierte ausrangierte Wälzer - mit einer Nummer oder einem Barcode versehen und in Listen eingetragen worden, „damit man sie später wieder findet“, so Thiel. Auch fotografiert werden können die Objekte.
Nach der Reinigung werden sie transportfähig gemacht. „Nasse Objekte werden in Stretchfolie verpackt“, erklärt die Restauratorin, die auch Vorsitzende des Kölner Notfallverbundes für Archive und Bibliotheken ist. In der Folie geht es weiter zum Einfrieren in großen Kühlhäusern: „Die beste Methode, um große Mengen an Kulturgütern zu sichern“, sagt die Expertin. Später könnten sie „sukzessive gefriergetrocknet“ werden. Dabei wird das gefrorene Wasser direkt in die Gasform überführt, ohne noch einmal flüssig zu werden.
Notfall-Container entstand nach Einsturz des Kölner Stadtarchivs
Damit das funktioniert, sind die ersten Schritte vor Ort jedoch entscheidend. „Die Mitarbeiter müssen die Abläufe kennen“, sagt Nadine Thiel. Und das nicht nur bei Hochwasser, sondern auch bei anderen Katastrophen. Deutlich geworden ist ihr das zum ersten Mal nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009.
Die Feuerwehr habe ihre Einsatzpläne für verschiedene Katastrophenszenarien. Archivmitarbeitern waren die aber nicht bekannt. Der eine wollte eine Plane drüber spannen, die andere ein Zelt aufbauen, der nächste riet zum Abspülen. Irgendwann sagte die Feuerwehr: „So können wir nicht arbeiten.“ Zusammen mit dem Beauftragten für Kulturgutschutz der Berufsfeuerwehr machte sich Nadine Thiel daran, die Rettung von wertvollen Objekten aus Museen oder Archiven zu standardisieren und diese Abläufe den Kultureinrichtungen zu vermitteln.
Wichtige Erkenntnisse dieser Arbeit durfte sie 2018 in Rio de Janeiro anbringen: Als dort das Nationalmuseum niederbrannte, rief die Unesco sie und den stellvertretenden Leiter des Historischen Archivs, Dr. Ulrich Fischer, zur Hilfe. Sie machten den Kollegen vor Ort zum Beispiel klar, dass es einen Einsatzleiter geben muss und dass die vom Löschwasser durchnässten Objekte eingefroren werden müssen.
Und sie kamen mit einer Idee wieder, wie sie den „Ersthelfern“ aus Kulturinstitutionen das Erfassen, Reinigen und Verpacken der Objekte noch einfacher machen könnten: mit eben jenem Abrollbehälter, der acht Arbeitsplätze, Spülstationen und das benötigte Material innerhalb kürzester Zeit zum Einsatzort bringen kann. Damit wird jetzt auch der Arbeitsschutz gewahrt. Nach dem Einsturz des Stadtarchivs zum Beispiel fiel Schnee, während die Mitarbeiter im Zelt mit kaltem Wasser die Papiere abspülten - „das macht man nicht lange“, erinnert sich Nadine Thiel.
2020 war der bundesweit erste „Abrollbehälter Kulturgut“ fertig. 2021 war er erstmals im Einsatz: beim Hochwasser in Stolberg, eine Woche später in Ahrweiler beim Stadtmuseum. Mittlerweile, so Thiel, seien in NRW vier weitere Container in Arbeit, Baden-Württemberg habe einen, und auch Bayern plane, einen anzuschaffen.