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Debattenkultur nach englischem Vorbild"Speakers´ Corner" im Kölner Blücherpark

Lesezeit 5 Minuten

Wider die aufgeheizte Streit-“Kultur“: zunächst ausreden lassen, dann erst entgegnen. Hat im Blücherpark schon mal prima geklappt.

Bilderstöckchen – Die einen bezeichnen sie als „Demokratiemuskeltraining“, das Meinungen schafft und Haltungen Ausdruck verleiht. Andere halten sie schlichtweg für unverzichtbar und gerade in Zeiten wie diesen für notwendiger denn je. Die Rede ist von der „Free Speech“, der freien Meinungsäußerung. Und eine geäußerte Meinung wiederum wird in einem Klima gepflegter Debattenkultur meist auf eine andere Sicht der Dinge treffen, die ein Mitdiskutant ins Feld führt.

In Anlehnung an das berühmte Vorbild im Londoner „Hyde Park“ verfügt nun auch der Kölner Blücherpark über eine eigene „Speakers’ Corner“, in der künftig an jedem letzten Sonntag im Monat Rednerinnen und Redner zu einem selbst gewählten Thema Vorträge und Reden halten, Statements abgeben oder in Erwiderung auf eine zuvor gehaltene Rede ihre persönliche Sicht der Dinge zu Gehör bringen können. Ohne jedoch den Vorredner durch Zwischenrufe zu stören, sondern gesittet und in der festen Absicht, Argumente auszutauschen, andere Überzeugungen anzuhören und zu respektieren. Statt übereinander soll vielmehr verstärkt wieder miteinander gesprochen und diskutiert werden.

Die „Speakers’ Corner“

Historisches Vorbild der Redekultur: Die „Speakers’ Corner“ („Ecke der Redner“) ist ein Versammlungsplatz am nordöstlichen Ende des Londoner „Hyde Parks“. Seit einem Parlamentsbeschluss vom 27. Juni des Jahres 1872 („Royal Parks and Gardens Regulation Act“) darf dort jeder ohne vorherige Anmeldung einen Vortrag zu einem beliebigen Thema halten und zu diesem Zweck Zuhörer um sich versammeln, die zu dem Gesagten auch Stellung beziehen können.

Um aus einer erhöhten Position heraus zur Menge sprechen zu können, stellen sich manche der Redner auf eine mitgebrachte Kiste oder kleinere Trittleitern. Es gibt nur eine einzige inhaltliche Beschränkung der „Free Speech“ im Hyde Park: Die englische Königin sowie die königliche Familie dürfen von jeher nicht Inhalt der Rede sein. (mfy)

Die Idee zu „Bilderstöckchen spricht!“ war den Initiatoren Miriam Haller und Chris Weber bei einer London-Reise gekommen. „Mein Mann und ich waren fasziniert, als wir uns anschauten, wie dort im Hyde Park diskutiert wurde. Bei einer Diskussion von Brexit-Befürwortern und -Gegnern ging es hoch her. Aber jedes Mal, wenn dort ein Störer dem jeweiligen Redner ins Wort fallen wollte, griff die Menge der Zuhörer, egal welche Meinung mehrheitlich vertreten wurde, sofort ein und forderte: ’Lasst die anderen ausreden!’“, erinnert sich Haller beeindruckt. „Free Speech“ sei der Begriff gewesen, den man dort am häufigsten hörte.

„Wir mussten uns ein Stück weit an die eigene Nase fassen. Denn wie oft passiert es uns selbst, dass wir nicht zuhören, dass wir schnell abwerten, ohne zuerst einmal den Geltungsanspruch unserer Meinungen und Werturteile einzuklammern, um das Gesagte in Ruhe hinterfragen zu können? Oder dass wir uns direkt ins Wort fallen oder uns um des faulen Friedens willen mit Wortgeplänkel zufrieden geben?“, resümierte Miriam Haller nachdenklich.

Großes Interesse im Veedel

Sie hat mit ihrem Mann aus einer privaten Initiative heraus inzwischen ein Dutzend Mitstreiter um sich gesammelt, die die neue „Speakers’ Corner“ im Veedel zum Erfolg führen wollen. So kooperierten die Förderer der Debattenkultur bei ihrem Vorhaben von Beginn an mit der Reihe „Köln spricht“, die vor drei Jahren als erste Kölner Gruppe eine „Speakers’ Corner“ am Aachener Weiher ins Leben gerufen hatte. Im Blücherpark traf die erste Diskussionsveranstaltung dieser Art, für die die Initiatoren im Vorfeld auf 2500 Flyern im Stadtteil geworben hatten, jedenfalls auf Anhieb auf großes Interesse. Viele Zuhörer waren gekommen, zu denen sich schnell weitere Passanten gesellten, die mit ihren Meinungen zu den diskutierten Themen nicht hinterm Berg hielten. Aber erst auf Erteilung des Worts hin - wohlgemerkt.

„Bitte machen Sie sich durch Handzeichen bei den Rednern bemerkbar, das Mikrofon wird dann zu Ihnen gebracht“, machte Haller die Teilnehmer zu Beginn mit den Gepflogenheiten vertraut.

Eingeladen hatte „Bilderstöckchen spricht!“ zu seiner Premiere die beiden „Fridays for Future“-Aktivistinnen Maira Kellers (14) und Sabrina Meures (21), die die Zuhörer mit der Arbeit und den Zielen ihrer Bewegung für mehr Umwelt- und Klimaschutz bekannt machten. Sowie Nikolaus Froitzheim, Professor am Institut für Geowissenschaften und Meteorologie der Universität Bonn, der die Argumente einem Faktencheck unterzog.

Mit ihrer Forderung nach dem Verbot von Einwegplastik und einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr für ganz Köln und Umgebung stieß Schülerin Kellers in der Zuhörerschaft jedenfalls auf breite Zustimmung. „Die Innenstadt versinkt immer weiter im Auto-Chaos. Das ist schlecht für das Klima. Die Tickets werden immer teurer und Mobilität verkommt zum Luxus“, konstatierte die junge Aktivistin, die bei ihrem selbstbewussten Auftritt auch den älteren Diskussionsteilnehmern ins Gewissen redete.

Vielfältige Meinungsäußerungen

„Manche denken vielleicht: ,Das sind Kinder, die das heute fordern. Uns betrifft das alles nicht mehr’. Nein, es betrifft uns alle. Wir haben nicht mehr viele Jahre, bis wir den Punkt erreichen, an dem wir nichts mehr gegen den Klimawandel tun können. Jetzt muss etwas geschehen“, forderte der Teenager in seinem Beitrag.

Beim Thema Klimaschutz und Energieversorgung brachte Klimaforscher Froitzheim unter anderem den Umstieg auf Gaswerke, die Biogas nutzen, ins Gespräch, damit der durch die Verbrennung von Braunkohle erzeugte Strom, bei dem viel Kohlendioxid freigesetzt wird, endgültig aus dem Netz verschwinde. Dem hielt einer der Diskutanten entgegen, dass er bei einem fast gleichzeitigen Kohle- und Atomausstieg um den Industriestandort Deutschland und eine geregelte Versorgungssicherheit fürchte.

Die Macht der Verbraucher in diesem Zusammenhang beschwor ein weiterer Teilnehmer. „Ökonomie ist heute immer mit im Spiel. Dort muss man den Hebel ansetzen.“ Der Disputant aus Bergisch Gladbach erhielt dafür viel Zustimmung.

So vielfältig wie die Meinungen, so lebendig aber auch fair verlief der Meinungsaustausch von Rede und Gegenrede bei der Erstausgabe der „Speakers’ Corner“-Reihe im Blücherpark. Künftig sollen dort auch immer wieder gezielt lokale Themen aufgegriffen werden. „Wir wollen als Redner gerade viele lokale Akteure einladen, damit hier auch ein Stück weit der Stadtteil Bilderstöckchen selbst repräsentiert wird“, betonte Chris Weber.

Die nächsten „Speakers’ Corners“ im Blücherpark mit wechselnden Themen finden am 28. Juli, 25. August und 29. September statt.