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Neuer TrendWas sich hinter den Lesepartys in Köln verbirgt

Lesezeit 3 Minuten

So sieht gemeinsames Lesen auf einer „Horizonte Leseparty“ im Café Mexi in Nippes aus.

Wir haben mit den beiden Initiatorinnen einer Kölner Leseparty gesprochen.

Gemeinsam lesen, aber jeder für sich: Das ist das Konzept der Lesepartys, die es mittlerweile in vielen deutschen Städten gibt. Statt zu tanzen, schlagen die Teilnehmenden ihre mitgebrachten Bücher auf und fangen an zu lesen. „Mir geht es selbst wie so vielen Menschen: Ich würde gerne mehr lesen, nehme mir aber zu wenig Zeit dafür“, sagt eine der beiden Initiatorinnen, Nora Zekorn. Vor einem Jahr las die Kölnerin einen Artikel in der New York Times über eine „Silent Reading Party“ in einem New Yorker Pub. „Ich war direkt begeistert von der Idee und habe mir vorgestellt, was für eine tolle Atmosphäre das ist“, sagt die 35-Jährige. 

Mit Ann-Christin Neuenstein, mit der sie bereits ein privater Buchclub verbindet, plant sie im März 2024 ihre erste Leseparty. Zunächst für Freundinnen und Freunde in Nora Zekorns Wohnung. „Mit zwölf Gästen war die Wohnung zwar voll, aber es herrschte eine ganz besondere Stille beim Lesen, eine fast meditative Atmosphäre“, schwärmt Nora Zekorn.  „Im Alltag lässt man sich schnell ablenken, aber wenn alle konzentriert lesen, wirkt das ansteckend.“

Leseparty im Café Frau Mexi in Nippes

So fiel auch das Feedback der Freundinnen und Freunde aus. „Wir alle waren von dem Abend überrascht und begeistert“, erinnert sich Ann-Christin Neuenstein. Nach einer Wiederholung in der Wohnung folgte im August die erste öffentliche „Horizonte Leseparty“ im Café „Frau Mexi“ in Nippes. Die Inhaberin des Cafés, Nicole Mexner, war selbst bei den privaten Lesepartys dabei und sofort begeistert von der Idee. Werbung machen sie hauptsächlich über Social Media, um dessen Design sich Ann-Christin Neuensteins Freund Lukas Funk als dritter im Bunde kümmert. 

Die Initiatorinnen der Horizonte Lesepartys: Nora Zekorn (links) und Ann-Christin Neuenstein

Vier Lesepartys in Nippes haben bereits stattgefunden. Alle laufen nach dem gleichen Muster ab: Bei leiser instrumentaler Musik widmet sich jeder seinem mitgebrachten Lesestoff, egal ob Sachbuch, Krimi oder Roman. Nach einer Dreiviertelstunde folgt eine Pause, in der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu zweit über das Gelesene austauschen. Die Paare werden ausgelost. Nach einer zweiten Lesezeit gibt es die Möglichkeit zu dritt über die Bücher zu sprechen. „Häufig leben Menschen so in ihrer eigenen Welt, die Lesepartys sollen Raum für Austausch und Begegnungen bieten“, sagt Zekorn. Deshalb haben sie und Ann-Christin Neuenstein die Reihe auch „Horizonte Lesepartys“ genannt: Mit anderen Themen und Perspektiven könne man am besten seinen Horizont erweitern.

Wir wollen keine elitäre Veranstaltung sein. Hauptsache, man hat Spaß an dem, was man liest. Das darf auch leichte Kost sein.
Initiatorin Nora Zekorn

Auch die Macherinnen selbst haben diese Erfahrung gemacht. Nora Zekorn arbeitet als studierte Psychologin in einem Kölner Unternehmen in der Organisationsentwicklung. Ann-Christin Neuenstein war einige Jahre in der Logistikbranche tätig, bis sie sich dazu entschied, ein eigenes Buch zu schreiben. „Ich fühle mich in der Literatur sehr wohl“, so die 36-Jährige. Beide lesen am liebsten Sachbücher mit gesellschaftsrelevantem Hintergrund sowie Bücher von Frauen. Den Büchertisch, der ein Bestandteil jeder Veranstaltung ist, statten sie selbst mit ihren Lieblingsbüchern aus (siehe Infotext). Erreichen wollen sie mit ihren Lesepartys aber alle Arten von Leserinnen und Lesern. „Es geht nicht darum, die vermeintlich größten Werke der Literatur mitzubringen“, sagt Zekorn. „Wir wollen keine elitäre Veranstaltung sein. Hauptsache, man hat Spaß an dem, was man liest. Das darf auch leichte Kost sein.“

Aktuell sind die „Horizonte Lesepartys“ auf 20 Personen beschränkt, die zwei Veranstaltungen im Januar waren bereits nach weniger als 48 Stunden ausverkauft. „Wir merken, dass das Interesse groß ist“, sagt Ann-Christin Neuenstein. „Aber die Atmosphäre der Lesepartys lebt davon, dass sie im kleinen Kreis stattfinden“, ergänzt Nora Zekorn. Die Macherinnen wollen daher andere ermutigen, selbst Lesepartys zu veranstalten. Dafür haben sie extra eine Art Leitfaden erstellt, um ihre Erfahrungen zu teilen, wie zuletzt mit Lesebegeisterten aus München.

www.instagram.com/horizonte_leseparty


Das liegt auf dem Büchertisch

  1. „Im Grunde gut“ von Rutger Bregman: „Das Sachbuch stellt sich der weitverbreiteten Meinung ‚Der Mensch ist von Natur aus böse‘ entgegen“, sagt Ann-Christin Neuenstein.
  2. „Für Sorge - Wie Equal Care euer Familienleben rettet“ von Jo Lücke: „Egal ob man Kinder hat oder nicht, das Buch sollte jeder mal gelesen haben“, sagt Nora Zekorn.
  3. „Oben Erde, unten Himmel“ von Milena Michiko Flašar: „In dem Roman geht es um das einsame Sterben in der Großstadt. Ich fand es sehr berührend“, sagt Ann-Christin Neuenstein.
  4. „Die Bedeutung von Klasse“ von bell hooks: „Ein absoluter Klassiker, wenn es um Rassismus, Sexismus & Klassismus geht! bell hooks war ihrer Zeit so weit voraus, dass ihre Bücher auch heute (leider) noch erschreckend aktuell sind“, sagt Ann-Christin Neuenstein.