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Mülheimer BrückeWas die Stadt aus den Planungs-Problemen lernen kann

Lesezeit 6 Minuten
Kostengrafik Bruecke

Köln – Anfang April ist es mal wieder so weit gewesen: Die Stadt Köln teilt mit, dass eine Sanierung mies läuft, der Zustand schlechter ist als erwartet. Es geht in diesem Fall nicht um die Bühnen am Offenbachplatz, sondern um die Mülheimer Brücke. Insgesamt 682,50 Meter misst die Brücke, im Zweiten Weltkrieg hatten Bomben sie zerstört, wiedereröffnet wurde der Teil über dem Rhein 1951, andere Passagen stammen aus den 20er-Jahren. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist klar: Die denkmalgeschützte Brücke muss saniert werden – 2018 ging es endlich los.

Doch vor gut sechs Wochen teilt die Stadt mit, die Schäden seien schlimmer als angenommen, drei Jahre nach Beginn der Arbeiten. Das fällt jetzt auf? Geht das nicht früher? Will die Stadt nicht erst planen und dann bauen – auch weil sie beim Bühnendebakel dagegen verstoßen hat? Die Rundschau versucht, Antworten zu liefern.

Wie ist die Ausgangslage?

2010 hatte die Verwaltung den Baustart für 2012 angestrebt, Kosten: knapp 39 Millionen Euro, Dauer: zwei bis drei Jahre. Heute ist klar: Das war Unsinn. Über 72 Millionen im Jahr 2015 stieg die Summe auf 116 Millionen Euro (2016) und schließlich auf 187 Millionen Euro im Sommer 2017. Das ist der letzte Stand, jeder weiß, dass es deutlich mehr wird – im Herbst soll klar sein, wie viel mehr. Im April 2018 begann die Sanierung, Mitte 2022 sollte sie beendet sein – daraus wird nichts, mehrmals kassierte die Stadt den Zeitplan, weil sie 2020 und 2021 feststellte, dass die Brücke viel maroder ist als gedacht, viel stärker rostet, die Schweißnähte am Ende sind. Nun gilt Ende 2025 als Ziel.

War die Planung nicht ausreichend?

Die Stadt verteidigt sich, sie hat demnach unter anderem hundert Bohrkerne erstellt, um die Materialtechnik zu prüfen, weitere 86, um den Straßenaufbau zu sichten, sowie 38, um den Stahl zu prüfen. Das Ziel: eine verlässliche Aussage über den Zustand vor Baubeginn – das hat nicht geklappt. Projektmanager Klaus Grewe, Mitglied der Reformkommission Großbauprojekte der Bundesregierung, hält die Anzahl der Proben für okay.

Warum findet die Stadt Jahre nach Beginn Mängel, die alles verändern?

Unter anderem, weil sie die Brücke vorher nicht zur exakteren Analyse gesperrt hat. Sich Schicht um Schicht vorzuarbeiten geht nicht im Betrieb mit Stadtbahn, Autos, Lkw und Fahrrädern, die Arbeiten „wären nur unter Vollsperrung des Brückenzuges und Komplettausfall der Stadtbahn möglich gewesen. Eine Vollsperrung des Brückenzuges und eine Einstellung des Stadtbahnbetriebs wurden in der Planungsphase vermieden.“ Erst im April 2020 hat sie die Brücke für die Bahnen gesperrt und schlimme Schäden entdeckt.

Welche Konsequenzen hat es, nicht zu sperren?

Dass das tatsächliche Ausmaß der Schäden unklar ist, wenn die Arbeit beginnt. Die Stadt bestätigt das teilweise: „Viele weitere Untersuchungen konnten also aufgrund des oben genannten Grundes sowie der baulichen Gegebenheiten erst mit und nach dem tatsächlichen Beginn der Generalsanierung stattfinden.“ Die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB) stützt die Stadt: „Tatsächlich ist es aber so, dass auch erst mit der Sanierung der Brücken selber das gesamte Schadensmaß und die notwendigen Sanierungsarbeiten – und damit auch die Kosten – transparent werden.“

Warum sperrt die Stadt Brücken nicht länger, um besser zu prüfen?

Im Fall der Mülheimer Brücke hat sie zeitgleich den Kalker Tunnel saniert, Severins- und Mülheimer Brücke waren die Ausweichrouten. Die Stadt sagt: „Eine verkehrliche Einschränkung durch die Tunnelsanierung in Kombination mit einer Vollsperrung der Mülheimer Brücke hätten den Verkehrsfluss sehr stark beeinträchtigt.“ Und: Sperrungen sind keine besonders beliebte Maßnahmen, üblicherweise schimpfen Lobbyverbände, auch die Medien berichten kritisch. Grewe kann das nur bedingt nachvollziehen, seiner Erfahrung nach passt sich der Bürger nach dem ersten Aufschrei an. Er sagt zur Mülheimer Brücke: „In diesen Falle hieße es: Erstmal sperren, dann untersuchen, dann planen, dann bauen.“

Ändert die Stadt nun ihr Vorgehen?

Ja, sie kündigt gründlichere Analysen im Vorfeld an – und auch stärkere Verkehrseinschränkungen. „Zukünftig wird noch mehr Wert auf die Bestandserkundungen während der Planung gelegt, auch wenn diese mit Verkehrsbeeinträchtigungen einhergehen werden.“ Und: „Nur so können realistische Bauzeiten und Baukosten abgeschätzt werden.“ Eine bemerkenswerte Aussage, sie bedeutet ja nichts anderes, als dass die bisherige Methode keine realistische war. Allerdings betont die Stadt: „Die Gesamtinstandsetzung einer denkmalgeschützten Rheinbrücke ist in diesem Ausmaß eine besondere Herausforderung und wurde seitens des Amtes für Brücken, Tunnel und Stadtbahnbau noch nicht durchgeführt.“

Stimmt das? Wie komplex sind solche Sanierungen?

Laut Experten sind sie extrem schwierig, Grewe sagt: „Grundsätzlich ist die Sanierung von so alten Brücken und dann noch unter Denkmalschutz für eine weitere Vollnutzung danach eigentlich ein kaum beherrschbares Risiko.“ Das verwendete Material entspricht nicht mehr den statischen Herausforderungen, der Verkehr hat sich vervielfacht, die Fahrzeuge wiegen mehr als früher. Laut der BVMB entsprechen Material und Technik von damals nicht dem heutigen Stand: „Ein Planen von der Stange ist hier nicht möglich.“ Grewe wählt ein Bild, um die Arbeiten zu beschreiben: „Das ist, als wenn sie die Schaukel ihrer Kinder 40 Jahre im Garten hängen lassen, aber erwarten, dass Seile, Brett und Baum ihre Lasten noch halten, in dem sie Stahlfasern in den Baum bohren, unsichtbare Plastikseilchen in die Seile einschieben und das Brett solange mit einen Urharz tränken, das es hält.“

Soll man es also besser lassen?

Grewe sagt: „International geht man meistens an solche Denkmale nicht mehr ran. Entweder man baut parallel eine weitere Brücke und nutzt die alte als Fahrrad- und Fußweg, oder reißt sie ganz ab.“ Allerdings müsste die Stadt den Denkmalschutz aufheben, das dürfte ein Politikum sein, die Brücke gehört ja zum Stadtpanorama.

Was heißt das für weitere Brückensanierungen?

Will der Stadtrat, dass denkmalgeschützte Brücken aussehen wie früher, aber die Lasten von heute halten, kostet das viel Geld. Für eine größere Kostengenauigkeit braucht es gründlichere Analysen, dafür wiederum stärkere Verkehrseinschränkungen – inklusive der Kritik daran.

Die Brücken in Köln: Was muss wann gemacht werden?

Acht Brücken führen über den Rhein, zwei gehören dem Bund (Leverkusener, Rodenkirchener), zwei der Bahn (Hohenzollern- /Südbrücke), vier der Stadt.

Grafik Brücken

Leverkusener Brücke

(1965, Neubau): Das Land hatte der früheren Firma im Streit gekündigt, ein neues Konsortium beauftragt. 2023 soll der erste Teil fertig sein, 2027 der zweite. 2017 war es losgegangen. 962,6 Millionen Euro.

Mülheimer Brücke

(1929, Wiederaufbau1951, Denkmalschutz, Generalsanierung): Baubeginn 2018, Bauende 2025. 187 Millionen Euro, Neuberechnung läuft.

Zoobrücke

(1966, Generalsanierung): Sie kommt als letzte der Stadt-Brücken dran, Termin und Kosten offen.

Hohenzollernbrücke

(1911, Aufbau je eines Bogens 1948, 1959, 1987, Denkmalschutz, keine Sanierung): Die Bahn will die sechs Gleise nicht ausbauen. Doch die Stadt will für 57,7 Millionen Euro für Radler und Fußgänger erweitern.

Deutzer Brücke

(1948, Erweiterung 1980, Denkmalschutz, Generalsanierung): Nummer drei auf der städtischen Liste. Kosten und Termin: offen.

Severinsbrücke

(1959, Denkmalschutz, Generalsanierung): Sie folgt direkt nach der Mülheimer Brücke. Termin und Kosten: offen.

Südbrücke

(1910, Wiederaufbau 1950, Teilerneuerung 1994, Denkmalschutz, keine Sanierung geplant): Im Zuge des Bahnknotens-Ausbaus soll die Brücke erweitert werden, wann ist offen, die Kosten auch.

Rodenkirchener Brücke

(1941, Wiederaufbau 1954, Erweiterung 1994, Denkmalschutz, Neubau?): Der Bund will auf acht Spuren ausbauen, Termin und kosten: offen. (mhe)