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„Keine mutige Entscheidung, Künstler zu werden“Auf den Spuren des Kölner Street-Art-Künstlers ‚seiLeise‘

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann sitzt auf einem senfgelben Sessel und lehnt sich auf ein Graffiti-Werk.

Tim Ossege, der Künstler hinter dem Pseudonym „seiLeise“ präsentiert eines seiner Werke.

Der Kölner Künstler ‚seiLeise‘ verklebt sozialkritische Paste-Ups im Stadtraum, wobei seine Kunst trotz Pseudonym verborgene Botschaften trägt.

Ein Mädchen in einem grünen Kleid, das versucht, die Erde mit einem Erste-Hilfe-Set zu flicken, und ein anderes, das eine Zeitung über Waffen und Kriege liest – dies sind nur zwei Motive des Street-Art-Künstlers ‚seiLeise‘, die derzeit in den Straßen Kölns zu finden sind. Auf Mauern, Stromkästen und Brückenpfeilern verklebt er „mit Kleister und Pinsel wie ein Plakat“ seine auf Papier gesprühten Bilder, sogenannte Paste-Ups.

Seine Handschrift ist unverkennbar: Die Werke behandeln sozialkritische, ökologische und politische Themen oft aus der Perspektive eines Kindes. „Ein politisches und gesellschaftliches Statement gehört für mich zu dieser Art Kunst“, erklärt Tim Ossege, der 41-jährige Kölner hinter dem Pseudonym ‚seiLeise‘.

Ein Straßen-Graffiti zeigt ein Mädchen in einem grünen Kleid, das versucht, die Erde mit einem Erste-Hilfe-Set zu flicken

Gesellschaftskritik aus der Sicht eines Kindes ist ein zentrales Motiv der Paste-Ups von ‚seiLeise‘.

„Ich versuche dabei immer, so viel Raum zu lassen, dass der Betrachter selbst überlegen kann, in welche Richtung das Werk gehen soll.“ Mit seinen Bildern prägt Ossege nicht nur das Stadtbild, sondern schafft auch Kunstmomente für den Innenraum. Abseits der Straßen können die Werke von ‚seiLeise‘ in seinem Showroom in Mülheim entdeckt und erworben werden.

Der Weg in die Kunst

In seinem Heimatveedel stellt Ossege nicht nur seine Werke aus, sondern hier liegen auch die Ursprünge seiner Kunst: Mit 16 Jahren sprühte er in Mülheim sein erstes Graffiti. In den darauffolgenden Jahren probiert er verschiedene Kunstrichtungen aus und erlangt schließlich erste Bekanntheit als Pionier des Reverse-Graffitis. Dafür nutzt Ossege einen Sandstrahler, um verschmutzte oder bewachsene Flächen im öffentlichen Raum zu reinigen und so leise künstlerische Akzente zu setzen.

„Mit verschiedenen Techniken zu experimentieren und mich als Künstler neu zu erfinden, ist mir enorm wichtig“, betont Ossege. Daher begann er 2015 Paste-Ups zu erstellen, für die er seine Motive mit der Sprühdose auf Papier bringt. Mit diesen Werken erlangt er schließlich seine erste Zusammenarbeit mit einer Galerie, ein persönlicher Meilenstein seiner Karriere. „Die Erkenntnis, dass jemand an meine Arbeit glaubt und meine Werke in einer Galerie zu sehen, war eine tolle Sache“, erinnert sich der gelernte Grafiker.

Showroom des Künstlers ‚seiLeise‘ in Köln-Mülheim

In seinem Showroom in Köln-Mülheim können zahlreiche Paste-Ups des Künstlers betrachtet und erworben werden.

Seine Tätigkeit bei einer Fernsehanstalt gab er mit wachsender Zahl an Kooperationen auf, um sich fortan ganz der Kunst zu widmen. „Es war keine mutige Entscheidung, Künstler zu werden“, betont „seiLeise“. „Meine Kunst ist als Hobby über Jahre gewachsen, bis ich davon leben konnte.“ In den fast 15 Jahren als Künstler hat er europaweit mit Galerien zusammengearbeitet, seine Werke auf Messen präsentiert und seit 2021 seinen eigenen Showroom.

Zufälliger Künstlername

Wie es in der Street-Art-Szene üblich ist, arbeitet auch Ossege unter einem Pseudonym. Auf die Frage, wie sein Name ‚seiLeise‘ entstanden sei, lacht der Künstler. „Vermutlich brauchte ich mal irgendwo im Internet einen Nickname“, gibt er zu. Trotz der spontanen Wahl passt der Name ‚seiLeise‘ zur Arbeitsweise des Künstlers: Ossege platziert seine Botschaften unauffällig im öffentlichen Raum.

Während er verkäufliche Werke mit dem Pseudonym signiert, bleibt seine Kunst in den urbanen Straßen anonym. „Ich arbeite am liebsten unerkannt und bleibe im Schatten der Stadt“, betont er. So ist der Künstler mit der Polizei noch nie in Kontakt gekommen, obwohl er bereits zahlreiche Werke unautorisiert verklebt hat. „2024 habe ich mehr als 100, in dem Jahr davor sogar über 300 Bilder im Stadtraum angebracht“, berichtet der Künstler. „Dieses Jahr will ich noch mehr schaffen.“

Spaziergang mit Bildersuche

Der Schwerpunkt von Osseges Arbeit liegt auch heute noch in der Gestaltung des städtischen Raums. Seine Werke sind dabei nicht nur in seiner Heimatstadt Köln, sondern auch in europäischen Metropolen wie Hamburg, Paris oder Lissabon zu entdecken. „Wenn ich irgendwohin reise, nehme ich immer Bilder mit und verklebe sie an Orten, die ich besuche“, berichtet der Künstler.

Doch ohne Anleitung sind die Kunstwerke nicht immer leicht zu finden. „Man muss für Street-Art sensibilisiert sein, sonst übersieht man die Bilder schnell“, sagt Ossege. Aus diesem Grund hat er eine Street-Art-Bildersuche auf seiner Website eingerichtet, bei der die ungefähren Standorte seiner Kunstwerke auf digitalen Stadtplänen markiert sind. „So können Menschen bei einem Spaziergang durch ihre Stadt Street-Art entdecken“, erklärt er. „Damit möchte ich Kunst für alle zugänglich machen und dazu anregen, die eigene Umgebung mit neuen Augen zu sehen.“


seiLeise Gallery, Wallstraße 125, 51063 Köln. Freitag 14–19 Uhr, Samstag 15–18 Uhr und nach Vereinbarung. seileise.com