Vor 80 Jahren wurden Mülheim und Holweide im Zweiten Weltkrieg von Luftbomben angegriffen. Ein Kölner erinnert sich an die Bilder.
Als die Mülheimer Brücke zerstört wurdeKölner Zeitzeuge beschreibt Bombenangriffe in Holweide und Mülheim
„Ich erinnere mich genau daran, wie der Rhein über der Brücke blubberte“, sagt Karl Mattar, „es war ein schrecklicher Anblick“. Es ist der 14. Oktober 1944, als die Mülheimer Brücke nach einem Bombenangriff zusammen bricht. Karl Matter ist gerade 14 Jahre alt und steht kurz nach der Explosion am Ufer, sieht die Teile der Hängebrücke im Rhein liegen. „Da wusste ich, dass wir den Krieg verlieren werden“, erinnert er sich. Trotz der Furcht und Angst sei dieser Gedanke für ihn auch erleichternd gewesen. „Sonst wären wir die Nazis nie losgeworden.“
Karl Mattar wächst in Holweide auf. Er lebt mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einer Wohnung über seinen Großeltern. Seine Großmutter hat einen starken Einfluss auf ihn, prägt sein ganzes Leben. Für ihn ist sie die „Seele des Widerstands“. Sie hat den Ersten Weltkrieg noch in Gedanken, als Adolf Hitler 1933 an die Macht kommt. Für sie ist der damalige Reichskanzler ein Märtyrer, der Nationalsozialismus unakzeptabel. Vor Juden hat sie allen Respekt. Diese Überzeugung gibt sie ihrer Familie weiter.
Köln: Mülheimer Brücke wurde am 14. Oktober 1944 zerstört
Die Landung der Westalliierten der Anti-Hitler-Koalition in der Normandie sei für Mattar und seine Familie deshalb eine große Erleichterung gewesen. „Wir haben uns das herbeigesehnt“, erzählt er, „was danach kam, die ganzen Bomben, die Unruhe im Land, das Blutbad, waren schrecklich, aber es war auch der Anfang vom Ende, das wussten wir.“
Im Herbst 1944 sind die Alliierten in Köln, erinnert Mattar sich: „Es war eine fruchtbare Zeit, der Himmel war immer voller Flugzeuge“. Die Familie hat einen Luftschutzkeller, dort beten sie gemeinsam. Der Glaube gibt ihnen Kraft. „Wenn die Flak geschossen hat, dröhnte es total, wenn Bomben einschlugen, zog es durchs ganze Haus“, erzählt Mattar. „Dieser Herbst war wie ein Inferno.“ Am 5. Oktober 1944 wurde Köln dann von heftigen Bombenangriffen getroffen. In Holweide wird eine Flakstelle, die dort stand, wo heute das Holweider Krankenhaus ist, zerbombt.
Heute steht ein Denkmal an der Ecke Neufelder und Schnellweider Straße, um an den Angriff zu erinnern. Am Samstag, 5. Oktober, veranstalteten Frauen in Dellweide und der Ökumenenkreis Dellbrück/Holweide einen Friedensgottesdienst. „Es war sehr ergreifend, wir haben gemeinsam gesungen und gebetet“, sagt Karl Mattar, der dort auch von seinen Erfahrungen berichtete.
Kölner Zeitzeuge Karl Mattar berichtet von Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg
Neun Tage nach dem Angriff auf die Holweider Flakstelle wird dann die Mülheimer Brücke zerstört. „Morgens ging das Gerücht herum, dass die Bücke kaputt ist“, erzählt Mattar, „also sind Willi und ich mit dem Fahrrad hin.“ Sein Bruder und er wollten wissen, was wirklich passiert war. Alles, was sie im Dorf mitbekamen, war Mund-zu-Mund-Propaganda – und was ihre Großmutter illegalerweise im britischen Radio mitbekam.
„Die Bombe hatte die Mülheimer Brücke nur gestreift und ist dann in die Mülheimer Freiheit eingeschlagen“, so Mattar, „auf der Brücke standen Feldjäger, es durften alle drüber außer LKWs“. Karl und Willi Mattar radeln also noch mal über die Brücke, schauen auf den Rhein. Einige Stunden später wird sie dann durch eine weitere Bombe komplett zerstört.
Köln-Holweide: Als St. Mariä Himmelfahrt zerstört wurde
Am nächsten Morgen hört Karl Mattar wieder Fliegeralarm. Die Himmelfahrtskirche soll angegriffen worden sein. Karl und Willi Mattar steigen also wieder auf die Fahrräder. „Es war gerade erst passiert, die Eingangstüren lagen auf der Straße, drinnen war alles voller Kalkstaub.“
Die Druckwelle einer Sprengbombe hatte die Kirche St. Mariä Himmelfahrt regelrecht aus den Angeln gehoben. Auch das Pfarrhaus war zerstört. Symbole seines Glaubens waren komplett ruiniert, doch Mattar hielt an dem fest, was ihm Kraft gab. Er rettete das Allerheiligste aus der Kirche und brachte es zur Kapelle im St. Marienstift.
Der Anblick von Holweide sei furchtbar gewesen. Gleise standen wie Stalagmiten in der Höhe, erzählt Mattar. Sein erster Gedanke sei immer gewesen, wie furchtbar der Angriff sei. Er hatte Angst, dass Holweide weiter zerstört wird. Der zweite Gedanke sei dann gewesen, wann die Amerikaner endlich kommen. „Am 13. April 1945 kamen sie von Merheim aus“, erinnert er sich, „Holweide war endlich frei.“
Heute, 80 Jahre später, sitzt er in diesem freien Holweide. Er schaut unruhig auf die Ukraine. „So wie es dort aussieht, hat es auch in Köln ausgesehen.“ Und Mattar schaut mit Sorge auf dem Rechtsruck in Deutschland. Damals hat seine Großmutter vor Hitler gewarnt, heute warnt er vor der AFD: „Es wäre das Schlimmste was passieren könnte, wenn sie in die Regierung kommt“. Er habe Angst, dass sich Geschichte wiederholt.