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Modellprojekt in KölnSo machen junge Menschen mit geistiger Behinderung eine normale Ausbildung

Lesezeit 4 Minuten
Drei junge Menschen hinter einem Tresen im Gespräch mit Ministerin Dorothee Feller.

NRW-Schulministerin Dorothee Feller besuchte die drei Auszubildenden Lukas, Silke und Jolin, die eine duale Ausbildung in der Jugendherberge Riehl absolvieren.

Gibt es Alternativen zur Werkstatt für Behinderte? Der Kölner Verein Mittendrin zeigt eine auf. Das findet sogar die Schulministerin interessant.

„Ich schneide gerade die Paprika für das Mittagsbuffet“, erklärt Lukas Löffelmann selbstbewusst der NRW-Schulministerin. Auf Einladung des Kölner Elternvereins Mittendrin besuchte Dorothee Feller (CDU) jetzt die Jugendherberge in Köln-Riehl. Sie machte sich vor Ort ein Bild eines besonderen Projekts: Seit mehr als einem Jahr absolvieren in der Jugendherberge drei junge Menschen mit sogenannter „geistiger Behinderung“ eine Ausbildung. Lukas, der Fachpraktiker Küche lernt, ist einer von ihnen.

2022 startete Mittendrin e.V. das Modellprojekt „Ausbildung mittendrin“. Finanziert wird es vom Land und der EU. Ziel ist es, eine Alternative zur Arbeit in einer geschützten Werkstatt zu suchen und Menschen mit geistiger Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Sechs Ausbildungsverträge sind inzwischen geschlossen.

Eine Gruppe von Menschen steht in der Jugendherberge.

NRW-Schulministerin Dorothee Feller, die Auszubildenden Silke, Lukas, Jolin und Eva-Maria Thoms beim Besuch der Ministerin in der Jugendherberge Riehl,

„Ich habe keine Behinderung, sondern eine Benachteiligung oder Einschränkung“, erklärt der 20-jährige Lukas, der mit dem Chromosomen-Defekt Trisomie 21 geboren wurde. Dass er trotz geistiger Einschränkungen dazugehört, diese Erfahrung machte Lukas schon während seiner Schulzeit in der Offenen Schule Köln (OSK), in der Inklusion eine wichtige Säule ist. „Die OSK ist toll“, schwärmt der aufgeschlossene junge Mann. „Ich will mehr Inklusion, außerdem bessere sanitäre Anlagen in den Schulen und mehr Digitalisierung“, fordert er ungefragt von Ministerin Feller.

ProjektRouter unterstützt beim Lernen

Lukas und seine beiden beeinträchtigten Kolleginnen in der Jugendherberge haben es dorthin geschafft, wo bisher nur wenige Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung Fuß fassen: auf den ersten Arbeitsmarkt. In der Regel arbeiten Menschen wie sie stattdessen in speziellen Werkstätten. „Besonders an diesem Projekt ist, dass die Azubis in normale Berufsschulen gehen“, erklärt Michael Bader, Geschäftsführer von ProjektRouter. Die gemeinnützige GmbH ist Projektpartner. Sie unterstützt die Auszubildenden beim Lernen.

„Sie müssen Tests und Klausuren mitschreiben. Und auch wenn sie schlechte Noten bekommen, erleben sie es positiv, dazuzugehören", erklärt Bader. Vieles im Modellprojekt ist ein Novum, alle Beteiligten lernen. Es gehe, so Bader, darum, die Berufsausbildung zu elementarisieren. Das bedeutet, dass die beeinträchtigten Menschen in der Ausbildung Fähigkeiten erwerben, die sie zur Ausübung eines Berufes brauchen, man sich jedoch auch immer an ihren Möglichkeiten orientiert.

Inklusion stärkt das Team

„Ich hatte zuerst Schwierigkeiten, an der Kaffeebar die Kasse zu bedienen. Das ist gar nicht so einfach“, gibt Silke Grünewald zu. Inzwischen beherrscht die junge Frau die Tücken der Kasse ebenso wie ihr Funkgerät, mit dem sie kommuniziert, wenn sie Veranstaltungsräume für Workshops vorbereitet. „Ich arbeite jetzt viel selbstständiger als am Anfang. Der Job ist toll“, freut sich die 23-Jährige, die ebenso wie Jolin Kirchhoff eine Ausbildung zur Fachkraft Gastronomie absolviert. „Hierhin kommen ganz unterschiedliche Leute, das ist sehr interessant. Sie kommen auch aus dem Ausland, Englisch kann ich gut verstehen, nur nicht reden“, sagt Jolin. Küchenleiter Rainer Schoppen ist voll und ganz begeistert von seinen speziellen Azubis. „Sie sind sehr engagiert und sie bereichern das Team. Wir möchten sie nicht mehr missen. Gerade für das Teambuilding ist Inklusion sehr gut“, findet Schopen.

„Eine richtige Berufsausbildung mit einem Ausbildungsvertrag eröffnet Chancen. Und auch wenn die Azubis ihren Abschluss nicht machen, ist das keine Niederlage, sondern sie haben so viel individuell gelernt, wie möglich“, sagt Eva-Maria Thoms von Mittendrin e.V. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) sieht das ähnlich. Er fördert ebenso wie die Arbeitsagentur Köln die Unterstützung der Azubis im Projekt. „Wir sehen darin eine sehr große Chance, mehr Menschen mit – auch geistiger – Behinderung einen Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen, weil die Unterstützung sehr individuell erfolgen kann“, teilt eine LVR-Sprecherin mit und macht zudem Hoffnung: „Der LVR wird seine Aktivitäten in dieser Richtung verstärken. Dazu brauchen wir aber Projektträger oder Arbeitgeber, die sich auf den Weg machen zu mehr Inklusion im Arbeitsleben.“

Kölner Fakten

97.365 Menschen mit einer Schwerbehinderung lebten zum 31. Dezember 2021 in Köln. Der LVR unterstützte ihre Beschäftigung mit rund 6,6 Millionen Euro.

4,8 Prozent betrug 2021 die Beschäftigungsquote von Menschen mit einer Schwerbehinderung. 28.065 Arbeitsplätze waren mit Schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen besetzt.

Eine Ausgleichsabgabe soll Betriebe motivieren, Schwerbehinderte zu beschäftigen. Wer mindestens 20 Arbeitnehmer hat und keine Schwerbehinderten beschäftigt, muss die Abgabe zahlen. Je nach jahresdurchschnittlicher Beschäftigungsquote kann die Ausgleichsabgabe bis zu 360 Euro monatlich betragen.

Das Projekt „Ausbildung mittendrin“ berät Interessierte. Es ist über die Kölner Telefonnummer 3377630 oder per Mail an ausbildung@mittendrin-koeln.de zu erreichen.