Michael Esser (55) war Leiter des Staatsschutzes und der Abteilung zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs. Nun ist er Chef der Kölner Kriminalpolizei. Mit ihm sprachen Thorsten Moeck und Daniel Taab über Razzien, Homeoffice und ein Handy, das erst nach 18 Monaten geknackt wurde.
Michael Esser im InterviewWarum der Kölner Kripo-Chef auf KI setzt
Sie sind jetzt seit vier Monaten Kripochef. Sind Sie beruflich da angekommen, wo Sie hinwollten?
Es ist für mich ein Traumjob. Aber ich habe auch Respekt vor der Aufgabe und bin nur so gut wie meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich bin 1992 zur Polizei nach Köln gekommen und in der Innenstadtwache groß geworden.
Nach der Pandemie gehen die Fallzahlen in nahezu allen Deliktsbereichen wieder spürbar nach oben. Hinzu kommt das Internet als immer größerer Tatort für Anlagebetrug, Wirtschaftskriminalität und Kinderpornografie. Wie setzen Sie Prioritäten bei den Ermittlungen?
Wir beobachten unsere Lagebilder und die Entwicklung der Straftaten, die Bewertung der Zahlen erfolgt gemeinsam mit den Leiterinnen und Leitern der Kriminalinspektionen. Nur als Gesamtpolizei Köln können wir die Kriminalität bekämpfen, das schafft die Kriminalpolizei alleine nicht. In Kalk haben wir zuletzt mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei wegen des Anstiegs der Straßenkriminalität verstärkt Razzien und Kontrollen mit uniformierten sowie zivilen Kräften durchgeführt und sind an Brennpunkten unterwegs.
Bei vielen Delikten findet inzwischen eine Auswertung von Mobiltelefonen statt, auch Laptops werden oft beschlagnahmt. Wie bewältigen Sie den riesigen Datenberg?
Wir befinden uns in einem großen Transformationsprozess, denn bei fast jeder Durchsuchung werden technische Geräte sichergestellt, die ausgewertet werden müssen. Das bedingt einen enormen Fortbildungsbedarf in der Programmanwendung. Wir werden ohne technische Spezialisierung und ohne spezielle Internetermittlungen nicht mithalten können. Hier müssen unsere Ermittlerinnen und Ermittler stetig den neuen Anforderungen entsprechend fortgebildet werden.
Wie soll das ablaufen?
Nicht aus jeder Polizistin und jedem Polizist werden wir IT-Forensiker machen können, aber ein Grundrepertoire an Internetermittlungen soll jeder durchführen können. Hierfür wird es Schulungen geben. Wenn es um Software-Erpressungen von Unternehmen geht, brauchen wir Spezialisten, ebenso bei Wirtschaftsstrafsachen. Und es wird eine dritte Stufe geben, in der wir absolute IT-Experten beschäftigen, die auch mal eine Computerlandschaft auseinandernehmen können.
Expertinnen und Experten sind teuer und geben sich meist nicht mit einer Besoldungsgruppe des öffentlichen Dienstes zufrieden, wenn sie bei Softwareunternehmen deutlich besser bezahlt werden. Ein Problem?
Zum Teil müssen wir uns Fachexpertise einkaufen, so wie andere Unternehmen das auch tun. Wir setzen IT-Spezialisten ein. Mit einer Verbeamtung setzen wir Anreize, um die Stellen attraktiv zu machen. Wir wissen, dass man in der freien Wirtschaft mehr Geld verdienen kann, aber ich weiß, dass es nicht immer darum geht. Wer gerne ermittelt, findet bei uns, was er „draußen“ vielleicht nicht findet. Wir werden in Kürze zusätzlich elf Spezialistinnen und Spezialisten in Köln einsetzen. Diese Menschen bringen eine ganz andere Arbeitsweise mit.
Das bedeutet mehr Flexibilität in jeder Hinsicht.
Genau, solche Menschen können auch in München wohnen und trotzdem für uns Fälle lösen. Es gibt bereits Sonderbeschaffungen für die erforderliche technische Ausrüstung. Das bedingt aber auch eine neue Führungs- und Arbeitsstruktur, denn elf Menschen werden unsere Probleme nicht lösen können. Dahinter muss ein funktionierender Apparat stehen. Wir überlegen deshalb die Einrichtung einer neuen Kriminalinspektion für Cybercrime. Das bedingt ein Umdenken auf vielen Ebenen.
Und das in einer Behörde.
Demnächst gibt es vermutlich Kommissariatsleiter, die schlechter bezahlt werden als das technische Fachpersonal. Heute ist das in der Polizei undenkbar. Das ist ein enormer Umbruchprozess, der nicht von heute auf morgen umsetzbar sein wird. Eine wichtige Rolle wird die Künstliche Intelligenz bei Softwareprogrammen spielen. Die werden wir brauchen, um mithalten zu können.
Das klingt nach einem Generationenprojekt. Als die jetzige Führungsriege der Polizei in den Beruf eingestiegen ist, gab es weder Bitcoin-Schwindel noch Phishing.
Die Polizei reagiert auf Entwicklungen und hat bei neuen Methoden und Arbeitsweisen vieles zu beachten. Es beginnt mit einer Marktschau, dann wird getestet und dann dauert es noch bis zur Einführung. Und am besten in allen Behörden gleichzeitig. Und Kinderkrankheiten sollten neue Programme dann am besten auch nicht mehr haben. Da kann schnell mehr als ein Jahr vergehen. Das wünsche ich mir anders. Auch künstliche Intelligenz kann sich nur in der Anwendung entwickeln. Dazu kommt, dass KI-Einsatz auch von Staatsanwaltschaft und Gerichten anerkannt werden muss. In diesem Prozess stecken wir und deshalb laufen bei uns die Asservatenkammern aktuell über.
Bei der Sichtung von Dateien mit kinderpornografischen Inhalten sind bereits KI-Programme eingesetzt worden. In welchen Bereichen können Sie sich das noch vorstellen?
Ich kann mir beispielsweise eine Spracherkennungs-Software vorstellen. Nehmen wir den Staatsschutz, wo oft Handys sichergestellt werden, in denen sich arabische Sprache findet. Da kann ich einen Dolmetscher dransetzen, oder aber eine Maschine, die mit Schlüsselwörtern gefüttert wird und Inhalte prüft. Ein Mobiltelefon, das nicht priorisiert ist, wird erst nach einem halben Jahr ausgewertet. Früher schaffen wir es nicht.
Auch hier gibt es inzwischen gute Verschlüsselungen von Geräten. Wie mühsam ist Ihre Arbeit?
Das größte Hemmnis sind Entschlüsselungen. Es gab ein Handy, das weder wir, noch Landes- und Bundeskriminalamt aufbekommen haben. Wir haben das Gerät dann priorisiert bei einer Fremdfirma bearbeiten lassen, was uns 10 000 Euro zusätzlich für eine dortige Priorisierung gekostet hat. Nach anderthalb Jahren hatte die Spezialfirma mit ihren Maschinen den PIN-Code geknackt. Es ging um Staatsschutz, das war das Geld wert.
Wie kompatibel ist Homeoffice bei der Kriminalpolizei?
Ich mache selber Homeoffice und habe 2009 auch Elternzeit genommen. Das Videokonferenzsystem ist inzwischen salonfähig geworden. In unserer Direktion könnten wir nicht mehr arbeiten, wenn für jeden ein Schreibtisch zur Verfügung gestellt werden müsste. Der Platz reicht nicht aus. Wir belegen schon Zweierbüros mit drei Personen, anders geht es nicht. Es gibt aber Planungen für einen Erweiterungsbau.