Fast hätte Klaus Willbrand sein Antiquariat schließen müssen. Dann wagte er sich an Instagram und YouTube.
Der Wert des BuchesKölner Antiquariat erlebt dank Social Media ungeahnte Höhenflüge
Versteckt in einer Nebenstraße und etwas unscheinbar liegt das kleine „Antiquariat K. Willbrand“ in Sülz. Knapp 25 000 Bücher haben hier auf engstem Raum ihr vorläufiges Zuhause gefunden. Manche stehen im Schaufenster, wertvolle in der Vitrine, manche aber auch in der dritten Reihe, weil schlichtweg zu wenig Platz für zu viele Bücher ist. Eigentlich der klassische Anblick eines Büchergeschäfts, aber das von Klaus Willbrand ist dennoch einzigartig. Denn momentan besuchen das Antiquariat des 82-Jährigen mehr Menschen virtuell als in der Realität.
Vor knapp acht Wochen ist Willbrand mithilfe seiner guten Freundin Daria Razumovych (32), Lektorin und Beraterin für Internetauftritte, auf TikTok, Instagram und YouTube online gegangen. Dort erzählt er seiner Community alles rund um das Thema Buch. Von Klassikern oder verkannten Schriftstellern bis hin zu Leseempfehlungen oder Diskussionsrunden: In wenigen Wochen hat er so bereits Tausende Follower gewonnen – über 63 500 Menschen auf Instagram und über 23.000 auf TikTok.
Zunächst überwog die Skepsis
Bereits vor zwei Jahren bot Razumovych an, Willbrand bei seinem Internetauftritt zu helfen, um Menschen auf seinen Laden aufmerksam zu machen. Aber Willbrand sträubte sich. „Ich war noch ein zu traditioneller Antiquar, der sich nicht vorstellen konnte, bei TikTok oder Instagram zu sein“, so Willbrand. „Aber Frau Razumovych hat mich irgendwann überzeugt, weil auch die wirtschaftliche Lage immer unhaltbarer für mich wurde, und so haben wir es riskiert.“
Am Karfreitag starteten sie ihre erste „Arbeitssitzung“. Razumovych hinter der Kamera und der wortgewandte Willbrand davor. Mit der Masse an positiven Reaktionen hätten sie nie gerechnet. „Wir wären schon stolz über 3000 Follower gewesen“, so Willbrand. Durch den Instagram-Account hat sich das Alltagsgeschäft stark verändert. „Bevor wir damit angefangen haben, gab es Zeiten, an denen zwei Käufer in der Woche hier reinkamen“, so Willbrand. „Seit Social Media gibt es diese Zeiten nicht mehr. Jetzt kommen täglich Menschen rein und rufen an, um Bücher zu bestellen. Sogar aus Kanada kam eine Bestellung.“
Jeden Freitag nehmen die beiden neue Videos auf. Dazu stellt Razumovych eine Frage aus der Community und Willbrand antwortet. Und das ganz ohne Manuskript, höchstens mit etwas Vorlaufzeit, weil manche Fragen Überlegung brauchen. „Bisher haben wir kein einziges Mal ein Video noch mal neu aufgenommen“, so Razumovych. „Eigentlich sind alle Beiträge erste Takes, die ich nur kürze und untertitele. Aber sie sind, wie sie sind. Ungefiltert.“
Ebenso improvisiert ist ihr Equipment. Mit nur zwei Smartphones und ein paar Stativen nehmen sie die Clips auf. „Es ist nicht hochprofessionell“, betont Razumovych. „Ich denke, es ist eher der Inhalt, der für den Erfolg so ausschlaggebend ist, und die Tiefe, nach der viele Menschen suchen.“ Willbrand führt aus: „Wir wollen auch einer jungen Generation das Medium Buch ins Bewusstsein heben und den Stellenwert wiedergeben, den es verloren hat.“ Denn für ihn sind Bücher wesentlich mehr als Unterhaltung oder gedruckte Seiten.
Literatur ist für Klaus Willbrand Kunst
Literatur ist für Willbrand Kunst und so wertvoll, dass er in seinem Leben bereits eine dreijährige Pause nur für die Literatur eingelegt hat. „Diese Zeit habe ich aber nicht vertrödelt, sondern mit Lesen verbracht“, erklärt er. Und das Ganze zwölf Stunden am Tag. Eigenen Schätzungen zufolge hat Willbrand über 6000 Bücher in seinem Leben gelesen, was auf sein Alter hochgerechnet durchschnittlich 100 Seiten pro Tag entspricht. Aus diesem Wissen schöpft er in seinen Beiträgen.
Dogmatisch will er aber nicht sein, höchstens ermutigend. Denn, so der 82-Jährige: „Ich bin kein Literaturwissenschaftler und auch kein Kritiker. Ich bin ein Buchhändler, der in diesem Beruf seit 60 Jahren arbeitet und seit 70 Jahren liest. Ich spreche aus meiner Erfahrung.“ Razumovych und Willbrand kommt es auch nicht darauf an, berühmt zu werden. Ihr oberstes Ziel ist bereits erreicht: Jetzt stöbern sich täglich viele (junge) Menschen durch Willbrands Sortiment, das Bücher aus den Bereichen Philosophie und Kunst umfasst, sowie Klassiker und bibliophile Ausgaben, also besonders schöne, seltene oder historisch wertvolle Exemplare.
Eine neue Welt ist dazugekommen
Für fast jeden ist etwas dabei. Von Büchern aus dem Jahr 1726 bis zu Neuerscheinungen. Von drei bis 800 Euro. Unverkäuflich sind einzig Willbrands Nachschlagewerke. „Wenn mir jemand vor einem halben Jahr gesagt hätte, dass ich mal auf TikTok bin, den hätte ich für bekloppt erklärt. Aber ich habe mich eines anderen überzeugen lassen“, gibt Willbrand lächelnd zu. „Es ist eine neue Möglichkeit, ein Antiquariat weiter am Leben zu halten. Und durch diese Aktion ist plötzlich eine ganz neue Welt dazugekommen.“
Und nicht nur für ihn. Wie Razumovych feststellt, konnten sie schon viele Follower mit ihrer Leidenschaft für Literatur anstecken. „Herr Willbrand lebt seine Leidenschaft für Literatur jeden Tag, und ich bringe diese Liebe auch mit. Und wenn wir diese in den Menschen wecken können, ist das sinngebend für das ganze Projekt und alles, was wir wollten.“