Alte TraditionSo sparen Kölner ihr Geld gemeinsam in Klettenberger Eckkneipe
Klettenberg – 35,60 Euro in Fach 14, 57,50 Euro in Fach 27, 89,20 Euro in Fach 20, diktiert Magdalena. Karin notiert in einer Excel-Tabelle gewissenhaft die Summen. Am Ende wird noch einmal nachgezählt. Doppelte Kassenprüfung muss sein, finden die beiden Vorsitzenden des Sparvereins im Petersberger Hof und genehmigen sich ein frisch gezapftes Kölsch. Magdalena und Karin machen den Job schon seit 17 Jahren.
Mindestens sieben Euro in der Woche
Jeden Montag sitzen sie in der Klettenberger Eckkneipe, die alle im Veedel nur P-Hof nennen, und kümmern sich um die wöchentlichen Ersparnisse der 49 Vereinsmitglieder. „Wir leeren Kästchen für Kästchen und sind dabei sehr gewissenhaft, denn hinter jeder Nummer verbirgt sich ja ein Mensch, der uns sein Erspartes anvertraut. Wir achten aber auch darauf, dass die Sparer wöchentlich mindestens sieben Euro einwerfen, das sind die Vereinsregeln. Ein Euro pro Woche und Sparer wird für das Vereinsfest und 50 Cent werden für die wöchentliche Lottoziehung zurückgelegt.“
Was auf den ersten Blick nach wenig klingt, das summiert sich übers Jahr. Die beiden Vorsitzenden sind sehr diskret, verraten aber doch, dass am Jahresende auch schon mal über 32.000 Euro als Gesamtsumme von allen Vereinsmitgliedern zu Buche stehen, die sie treuhänderisch verwalten. „Die Auszahlung erfolgt einmal im Jahr, meistens im Februar, dann sind die Portemonnaies bei vielen leer. Die Leute freuen sich, wenn im Briefumschlag ein paar Hunderter liegen“, sagt Karin, die aus Überzeugung lieber in der Kneipe als zu Hause im Sparschwein spart.
49 Mitglieder im Klettenberger Sparverein
Der Verein hat 49 Mitglieder und soll auch nicht expandieren, denn das Sparen im Petersberger Hof ist an die wöchentliche Ziehung der Lottozahlen 6 aus 49 gekoppelt. Der Sparer kann jede Woche 24,50 Euro gewinnen, wenn die zuerst gezogene Lottozahl der des eigenen Kästchens entspricht.
„Für mich als Gastwirt ist es eine Win-win-Situation. Wer hier ein Kästchen besitzt, der muss einmal die Woche sein Fach füttern und am Samstag kommt noch die Ziehung der Lottozahlen. Die Leute nehmen das auch sehr ernst, sie kommen, werfen ein und bleiben meistens an der Theke hängen. Bei 49 Kästchen habe ich auf jeden Fall 49 Stammkunden“, sagt Chris Epting.
Auch Studenten sind im Verein
Karla, Nao, Svenja und Ariane zählen zu den Jüngeren im Verein. Sie haben sich im Petersberger Hof während der Fußball-Europameisterschaft kennengelernt. „Durch Zufall haben wir erfahren, dass es freie Kästchen gab. Da haben wir sofort zugegriffen“, erinnert sich Svenja. Dass sie jetzt ihr Kästchen wöchentlich füttern muss, findet die 30-Jährige völlig okay: „Ich muss heute noch sparen“ klänge besser als immer zu sagen: „Ich geh in die Kneipe“.
Auch bei Ariane steht das Sparen wohl eher an zweiter Stelle, aber sie möchte es auf keinen Fall missen. „Das Kästchen verbindet, man kommt schnell ins Gespräch, auch wenn keiner von der engsten Clique da ist. Da ich aktuell meine Masterarbeit schreibe, kann ich nichts dazu verdienen und damit meist auch nichts sparen. Ich werfe dann einen Zettel hinein, mit der Notiz „kommt nächste Woche“. Die fällige Strafe von einem Euro nimmt die Studentin eher in Kauf als den Verlust des Kästchens.
Nao ist 26 Jahre alt und spart schon seit vier Jahren in der Kneipe. „Ich habe als Student angefangen. Da ist es ganz gut, wenn man regelmäßig spart und an das Geld erst nach einem Jahr rankommt. So ein Sparschwein zu Hause ist schnell geschlachtet. Ich habe damals als Kellner gejobbt und das Trinkgeld regelmäßig eingeworfen, es hat sich gelohnt.“ Am Ende des Sparjahres hatte er schon mal 1200 Euro zusammen – und damit ein neues Handy.
Schon der Opa hatte ein Sparkästchen
Karla hingegen reizt die Nostalgie. „Mein Großvater hatte vier verschiedene Sparkästchen in vier Kneipen, und meine Oma sagte immer «vertrinke nicht alles, wirf auch etwas ins Kästchen». Seit Kindertagen habe ich das mitbekommen. Und hatte schon immer den Wunsch, so ein Kästchen und damit auch eine Stammkneipe zu haben, wo man immer die gleichen Leute trifft“, erzählt die 28-jährige, die seit einem halben Jahr stolze Besitzerin eines Kästchens ist.
„Als ich den Laden vor 20 Jahren übernommen habe, hing an der Wand zwar ein Sparschrank, aber die Kästchen waren verwaist. Irgendwie stimmte die Chemie zwischen Thekenpersonal und Stammkundschaft nicht mehr. Heute sind alle 49 Kästchen belegt, und es gibt sogar Wartelisten, darauf bin ich besonders stolz“, berichtet Wirt Chris Epting, der froh ist, den Sparschrank reaktiviert zu haben.
Erste Sparkästchen gab es in Hamburg
Die Kombination aus Sparen und Geselligkeit hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Die ersten Kollektiv-Sparbüchsen entstanden um 1890 in Hamburg. Die Seemänner, die ihren Lohn meist auf einen Schlag ausgezahlt bekamen, warfen einen Teil davon in die Sparschränke, um die Heuer nicht an einem Abend komplett zu vertrinken.
Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte das Vereinssparen in Deutschland eine Blütezeit, während des Zweiten Weltkrieges kam die Bewegung dagegen fast vollständig zum Erliegen, bevor es ab der Mitte, der 60er-Jahre zu einem neuen Boom kam. Die Änderung des Umsatzsteuergesetzes, mit dem in der Gastronomie pauschal zehn Prozent Bediengeld auf die Rechnung aufgeschlagen wurde, führte dazu, dass viele Gäste das Restgeld bei krummen Beträgen in die Kneipen-Spardosen warfen.
Es gibt 2400 Sparclubs in ganz Köln
Ein neuer Anreiz war geschaffen, die Zahl der Sparclubs nahm zu: rund 20.000 Clubs gab es in Deutschland, 2400 allein in Köln. Als der Fernseher in jeden Haushalt einzog und man sich mit Freunden in kleiner Runde zu Hause traf, gingen in immer mehr Eckkneipen die Lichter aus, und damit starben auch nach und nach die Sparvereine aus. Heute scheint die „Bank des kleinen Mannes“ wieder im Trend.
Wie viele der eckigen Volksspardosen heute noch oder wieder in Deutschlands Kneipen hängen, weiß niemand genau. Die Sparvereine sind nirgends registriert. Aber wer Interesse hat, beim neuen alten Trend mitzumachen und ein Sparkästchen zu ergattern, der sollte beim nächsten Kölsch in der Kneipe um die Ecke die Augen aufhalten.