Herzinfarkt, Übelkeit, Atemnot — die Rettungskräfte der Feuerwehr wissen nie, welcher Einsatz als nächstes kommt. Wir haben Retter der Feuerwache in Lindenthal bei einer Schicht begleitet.
Rettungseinsätze im Minutentakt„Für mich ist diese Arbeit zum Traumjob geworden“

Der Rettungswagen verlässt die Wache in der Gleueler Straße, die bereits vor 103 Jahren in Betrieb genommen wurde.
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Sein erster Joint wird für den jungen Mann, der kleinlaut auf der Trage des Rettungswagens mit der Kennnummer 3.1. liegt, vermutlich sehr lange ein unvergessliches Erlebnis bleiben. Auf das Frühstück hat der Berufsschüler verzichtet und nach dem Sportunterricht mit einem Kumpel erstmal eine Portion Gras durchgezogen. Fünf oder sechs Züge nur, dann rebelliert sein Körper, ihm wird schlecht und sein Herz beginnt zu rasen. Leicht panisch wählt der Freund den Notruf.
Es ist 10.10 Uhr, als ein heller Gong in der Feuer- und Rettungswache 3 in Lindenthal die kurze Pause der beiden Feuerwehrmänner Max Picard und Christian Driesner beendet. „Internistisch 1“ meldet die Lautsprecherstimme und nennt den Einsatzort. Die Kaffeetasse bleibt stehen, nur vier Minuten später haben die beiden Sanitäter mit ihrem Rettungswagen den Einsatzort am Zülpicher Wall erreicht. Driesner klemmt dem Berufsschüler ein Messgerät an den Finger, um Puls und Sauerstoffsättigung zu prüfen. Der Motor läuft, das Blaulicht blinkt.
Der Motor läuft, das Blaulicht blinkt
Bedröppelt steht der Mitschüler des Patienten vor dem Rettungswagen. „Mach Dir keine Sorgen, wir lassen ihn im Krankenhaus durchchecken“, beruhigt ihn der Notfallsanitäter. Eine Mitschülerin fragt Max Picard, ob er ihr eine Entschuldigung für die Schule schreiben kann. „Leider nein“, sagt er freundlich und steigt auf den Fahrersitz. Ohne Blaulicht führt die kurze Fahrt ins Hildegardis-Krankenhaus, Driesner erledigt den Papierkram, dann kehren die Retter zurück zur Gleueler Straße in Kölns älteste Feuerwache.

Wagen desinfizieren und Taschen packen: Christian Driesner (l.) und Max Picard bereiten den Rettungswagen für den nächsten Einsatz vor.
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Im Juni ist die Kölner Feuerwehr nach längerer Testphase und unter wissenschaftlicher Begleitung zum vielfach geforderten 24-Stunden-Schichtmodell im Rettungsdienst zurückgekehrt. „Die Einsatzbelastung in der Feuerwache 3 ist enorm gestiegen“, weiß Feuerwehr-Sprecher Ulrich Laschet. Denn durch das Ignis-Leiststellensystem gilt das Prinzip der kürzesten Anfahrt. „Die Wache in der Gleueler Straße ist dadurch zentraler geworden und übernimmt deutlich mehr Einsätze in der Innenstadt“, erklärt Laschet.
Die Wache in der Gleueler Straße übernimmt deutlich mehr Einsätze in der Innenstadt.
Zudem liegt die Wache im Epizentrum der Kölner Gesundheitsversorgung. Im Umkreis von zwei Kilometern befinden sich mit Uniklinik, Weyertal, Hildegardis, St.Elisabeth und Dreifaltigkeitskrankenhaus gleich fünf Kliniken. Die zentrale Lage ist eine der Besonderheiten der Feuerwache 3. „Die Einsätze sind kürzer, wir sind oft nach 40 Minuten wieder einsatzbereit“, erzählt Picard.
Nach zwölf Stunden Rettungsdienst zum Brandschutz
Für das neue Schichtmodell sind alle Rettungsfahrzeuge nach einem Ampel-Modell klassifiziert worden - der Standort Lindenthal ist rot. Heißt: Nach zwölf Stunden im Rettungsdienst müssen die Retter für die restlichen zwölf Stunden in den Brandschutz wechseln, weil die Arbeitsbelastung ansonsten zu hoch wäre. „Der Wechsel ist sehr angenehm, weil man in allen Bereichen fit bleibt. Und durch die 24-Stunden-Schichten ist die Erholung zwischen den Diensten deutlich größer“, sagt Driesner, der seit zwei Jahren auf der Lindenthaler Wache arbeitet.
Um 10.54 Uhr manövriert Max Picard den Rettungswagen rückwärts in die Halle zurück, doch kaum haben die Retter ihre Jacken ausgezogen, ertönt schon wieder der Gong. „Internistisch 2“ lautet dieses Mal das Einsatzstichwort, der Rettungswagen wird dieses Mal auch von einem Notarztwagen begleitet. Die Fahrt führt in eine neurologische Arztpraxis in der Stolberger Straße, der Herzschlag eines Patienten weist Unregelmäßigkeiten auf.
Kaum Chancen auf Kaffee und Frühstück
Kaum haben die Retter die Praxisräume betreten, wird aus einer anderen Arztpraxis im Haus der Verdacht auf einen Reinfarkt eines Patienten gemeldet. Picard und Driesner eilen ein Stockwerk höher, der Notarzt kümmert sich unterdessen um den ersten Patienten und alarmiert über die Leitstelle einen weitere Rettungswagen samt Notarzt. An Arbeitstagen stellt Max Picard seinen Wecker auf fünf Uhr. Er hat es nicht weit zur Wache, doch vor Dienstbeginn um 7.30 Uhr will er in Ruhe einen Kaffee trinken und frühstücken. Denn hinterher kommt er meist nicht mehr dazu.
„Die alten Zwölf-Stunden-Schichten hatten es in sich, die körperliche und mentale Belastung war sehr hoch, hinzu kam ein ständiger Wechsel von Tag- und Nachtdiensten“, sagt Wachleiter Roland Theißen. Seit der Rückkehr zur 24-Stunden-Schicht werde dies in 90 Prozent der Fälle auch angenommen. Zum Schichtbeginn versammelt sich die Mannschaft in der Fahrzeughalle, Theißen begrüßt die Mitarbeitenden und nimmt die Fahrzeugeinteilung vor. Keine geänderten Verkehrsführungen, keine neuen Baustellen.
Für mich ist diese Arbeit zum Traumjob geworden.
Los geht es. Eine Dame mit Atemnot, die unter der Lungenkrankheit COPD leidet, eröffnet den Einsatzreigen für Christian Driesner und Max Picard. Eine junge Mutter mit Magen-Darm-Virus und kleinem Kind zu Hause benötigt ebenfalls Hilfe. „Für mich ist diese Arbeit zum Traumjob geworden. Jeder Tag ist einzigartig, man weiß nie, was passiert“, sagt Driesner.
Jeder Tag ist einzigartig
Kaum haben die beiden Retter ihren Herzpatienten in „Hohenlind“ abgeliefert, piepst das Funkgerät im Wagen. Picard schaltet das Blaulicht ein, mit einem Fußpedal tippt er die Sirene an und aus. Die Fahrt führt nach Müngersdorf, eine ältere Dame ist in ihrer Wohnung gestürzt und hat offenbar schon einige Stunden auf dem Boden gelegen. Eingebettet in eine Vakuummatratze bugsieren sie die Patientin auf der Trage eine enge Treppe hinunter. Dieses Mal dürfen sie bei der Fahrt ins Krankenhaus das Blaulicht einschalten. „Neben einem Oberschenkelhalsbruch haben wir Hämatome am Kopf vom Sturz entdeckt“, begründet Driesner die Eile.
Zehn Einsätze haben die beiden Retter absolviert, bevor sie die neongelbe Rettungskleidung gegen die Feuerwehrkluft tauschen. Guter Durchschnitt für eine Schicht im roten Bereich.