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„Ohne den Verein wäre ich unglücklich“Geschäftsführer des SC Colonia 06 im Interview

Lesezeit 6 Minuten
Hans Ehle ist ehrenamtlicher Geschäftsführer des SC Colonia 06.

Hans Ehle ist ehrenamtlicher Geschäftsführer des SC Colonia 06.

Hans Ehle ist Geschäftsführer des SC Colonia 06 – das ehrenamtliche Engagement geht weit über das Sportliche hinaus.

In der Trainingshalle des SC Colonia finden sich neben diversen Sandsäcken und einem kompletten Kampfring zahlreiche große Pokale. Ehles liebster: der zum EM-Sieg der Kölnerin Stefanie von Berge 2022.

Sie sind groß und drahtig, aber keine echte Kante. Wie kamen Sie zum Boxen?

Durch meinen Vater und meinen Bruder. Ich war fünfeinhalb, als die mich das erste Mal mitnahmen. Mich hat von Anfang an die körperliche Koordination fasziniert, etwa dass die linke Hand etwas völlig anderes macht als die rechte. Man lernt jedes Körperteil einzeln zu steuern.

Sie kommen aus sehr einfachen Verhältnissen.

Wir wuchsen in der Indianersiedlung in Zollstock auf, mit sechs Kindern. Mein Vater starb, als ich 14 war, und ich habe jeden Job angenommen, um meine Mutter zu unterstützen.

Zum Beispiel?

Da war ein Dachdecker, der 1000 Mark für einen Aufzug bezahlen sollte. Ich sage, die Ziegel schleppe ich dir für die Hälfte hoch auf den Speicher über der 2. Etage. Ich habe mittags angefangen und war am nächsten Morgen zum Schichtbeginn fertig. Am Ende bin ich mit je einer Pfanne da hoch und musste trotzdem noch Pausen einlegen. Das war das Härteste, das ich je gemacht habe – sehr prägend.

Wie wichtig war es damals in der Siedlung, sich wehren zu können?

Lebenswichtig! Alle Familien hatten viele Kinder, man musste sich auch hier behaupten, um durchzukommen. Aber es gab zugleich einen großen Zusammenhalt. Wir waren alle arm, man kannte sich und half sich, wo man konnte.

Hunderte Male sollte ich irgendwo als Türsteher einsteigen, aber ich habe immer abgelehnt. Ich war ein Einzelgänger.
Hans Ehle

Wie unterschied sich die Boxszene Ihrer Jugend von der heutigen?

Vor allem die Zuschauer waren andere. Da saßen Schäfers Nas und der Dummse Tünn mit ihrer Entourage in der ersten Reihe. Und wenn du mal gut geboxt hattest, steckten die dir einen Fuffi zu.

Hatten Sie Kontakt zur Rotlichtszene?

Mein sieben Jahre älterer Bruder ist eine Weile abgerutscht, aber ich nie. Hunderte Male sollte ich irgendwo als Türsteher einsteigen, aber ich habe immer abgelehnt. Ich war ein Einzelgänger.

Drei Entweder-Oder-Fragen: Jupp Elze oder Peter Müller?

Peter Müller. Weil er ein kölsches Original war.

Henry Maske oder Graciano Rocchigiani?

Henry Maske, wegen seiner Fairness. Sein Boxstil war todlangweilig, aber er war ein echter Sportsmann. Rocchigiani dagegen war zwar ein Kämpfer mit Herz, aber zum Gewinnen war ihm jedes Mittel recht.

Ali oder einer der Klitschkos.

Ali schwebt über allem!

Ihre Jungs und Mädels trainieren hier in den Abelbauten neben dem Rheinenergiestadion. Wann werden dort mal wieder zehntausende Menschen einen Boxkampf sehen wie etwa anno 1966 den von Peter Müller gegen Jupp Elze?

So etwas könnten wir schon aus finanziellen Gründen nicht stemmen. Das wird ein Traum bleiben. Heutzutage dominiert der Fußball alles, Boxen steht weit dahinter. Außerdem gibt es kaum noch deutsche Aushängeschilder wie „die Aap“, Boxer mit Migrationshintergrund ziehen kein großes Publikum.

Man verkloppt sich nicht, Boxen ist eine Sportart mit viel Technik.
Hans Ehle

Sind junge Menschen mit Migrationshintergrund hungriger als Deutsche?

Jedenfalls die, die frisch ankommen. Die boxen mit einem festen Ziel vor Augen und lassen sich von Computern und ähnlichem nicht ablenken.

Und die Deutschstämmigen?

Da kommt die Mutter an und sagt: Mein Sohn hier will unbedingt boxen. Ich sage, okay, am Montag. Da sagt die, nee, montags hat er Spanisch und dienstags Klavier, Donnerstag ab 18 Uhr ginge. Solchen Jungs fehlt einfach der Biss.

Wie äußert sich das?

Die sind halt völlig verweichlicht. Die haben Schiss, werden von ihren Müttern verhätschelt. Letztens war einer hier, dem hat die Mutter ein Sitzkissen untergeschoben, bevor er sich auf die Bank setzte. Und dann wollte er eine Cola trinken. Katastrophe!

Zum Boxen braucht man Mut. Wo verläuft die Grenze zum Übermut?

Sagen wir mal: Manche Nationalitäten haben eine niedrigere Hemmschwelle, die knallen von Anfang an aus allen Lagen. Vielleicht gewinnen sie so auch ein paar frühe Kämpfe, aber irgendwann kommt der Gegner mit Köpfchen und prügelt sie aus dem Ring. Dann sind sie baff.

Sie haben viele Jahre selber geboxt. Wie fühlt es sich an, verkloppt zu werden?

Man verkloppt sich nicht, Boxen ist eine Sportart mit viel Technik. Klar bekommt man mal einen Schlag ab, aber im Ring spürt man keinen Schmerz. Ein Boxkampf ähnelt einem neunminütigen Traum.

Der zum Albtraum werden kann.

Ja, aber man erlebt ihn nicht richtig. Wenn dir irgendwo Prügel angedroht wird, hast du vielleicht Angst. Aber in den Ring steigst du mit Euphorie.

Sind Sie im Kreis dieser hormongeladenen jungen Menschen einmal persönlich bedroht worden?

Ich bin jetzt seit 56 Jahren beim SC Colonia. Den Hans kennt hier jeder, ich genieße höchsten Respekt. Die Boxer, auch ihre Eltern, kommen mit ihren Problemen zu mir.

Wenn ich die Jungs hier sehe, erinnere ich mich oft an meine eigenen Anfänge.
Hans Ehle

Ihr Engagement geht über das rein Sportliche weit hinaus.

Wenn ich die Jungs hier sehe, erinnere ich mich oft an meine eigenen Anfänge. Zuletzt habe ich einem vaterlosen 17-Jährigen aus sehr schwierigen Verhältnissen eine Ausbildung zum Maler vermittelt. Und weil ein Maler einen Führerschein braucht, habe ich ihm einen Sponsor besorgt, der die 2200 Euro für den Lappen berappte.

Sie opfern dem Boxclub täglich viele Stunden. Stimmt es, dass Sie seit ewigen Zeiten monatlich 60 Euro Aufwandsentschädigung bekommen?

Im Prinzip ja. Das wurde zuletzt leicht erhöht.

Warum tun Sie sich das an?

Ich verdanke dem Verein viel und will etwas zurückgeben. Außerdem ist es für mich das Schönste, junge Menschen auf die richtige Bahn zu bringen und zu sehen, wie die sich entwickeln. Die sitzen verzweifelt, weinend vor mir, und sie gehen mit einem Lächeln wieder nach Hause. Wenn zwei von zehn dabeibleiben, ist das für mich wie ein Sieg.

Warum stirbt das Ehrenamt aus?

Wenn Sie das so umfangreich betreiben wollen wie ich, muss der Partner zu hundert Prozent hinter Ihnen stehen. Meine Frau ist nicht besonders box-affin, aber sie weiß, das ist mein Leben. Ohne den SC Colonia wäre ich unglücklich, ich bin ja eigentlich alles hier. Daher hilft sie, wo sie kann.

Sie sind als Schlosser bei der Stadt Köln beschäftigt. Was macht man dabei an einem üblichen Arbeitstag?

Wir führen zum Beispiel Räumungen durch. Wenn Herr Schmitz auch nach mehreren Ermahnungen keine Miete bezahlt, gibt es kein Wenn und kein Aber mehr. Dann rücken wir mit unserem Werkzeug an und öffnen die Tür. Darüber hinaus bin ich auch noch Sachverständiger für Spielplätze.

Toll wäre, wenn wir nächstes Jahr bei Olympia eine Medaille holen würden.
Hans Ehle.

Hier im Boxclub haben Sie das sogenannte „Managerboxen“ eingeführt. Was sind das für Leute, die dort boxen?

Da ist zum Beispiel Tino Carturan vom „Alfredo“ dabei (dem Sternerestaurant an der Tunisstraße, B.I.). Auch der Schriftsteller Frank Schätzing boxt bei uns.

Was sind deren Stärken und Schwächen?

Der Tino boxt eher intuitiv, ohne groß auf meine Hinweise zu achten. Er ist daher nicht zu unterschätzen. Frank Schätzing dagegen hört sehr genau zu und stellt kluge Nachfragen, um seine Technik zu verbessern.

Wo soll der SC in fünf Jahren stehen?

Toll wäre, wenn wir nächstes Jahr bei Olympia eine Medaille holen würden. Und wenn wir in fünf Jahren unseren derzeitigen Stand gehalten haben, können wir auch sehr zufrieden sein. Wenn man nach den Sternen greift, kann das in die Hose gehen. Ich gehe lieber Schritt für Schritt nach vorn.