Seit 51 Jahren lebt Tomy im Lindenthaler Garten von Bettina van Hasselt. Jeden Frühling wartet sie darauf, dass er aus dem Winterschlaf erwacht.
Ein besonderes HaustierTomy, die 101-jährige Schildkröte, erwacht aus dem Winterschlaf

Der Augenblick, wenn Tomy nach dem Winterschlaf aus dem Efeu hervor gekrabbelt kommt, gehört für Bettina van Hasselt zu den schönsten Momenten im Jahr.
Copyright: Susanne Hengesbach
Wenn man Tomy das Sprechen hätte beibringen können, wäre seine Botschaft zum Herbst hin wohl immer die gleiche: „Ich bin dann mal weg!“ Dann würde Bettina van Hasselt – natürlich mit Wehmut in der Stimme – fragen: „Same procedure as last year?“, woraufhin Tomy – noch mal seinen Hals hervor reckend – erwidern würde: „Same procedure als every year, Dear!“ Wenig später wäre er wie vom Erdboden verschwunden.
Bettina van Hasselt kennt dieses Abschiednehmen nun schon seit 51 Jahren. Und jedes Mal folgen dann die mit zunehmender Sorge verbundenen Monate, in denen die Kölnerin sich immer wieder fragt, ob er es noch einmal schaffen wird. Ob Tomy mit seinen nunmehr 101 Jahren ein weiteres Mal aus seinem Winterschlaf erwacht und plötzlich unter dem Efeu hervor gekrabbelt kommt. Der Moment im Frühjahr, wenn sie ihn endlich wieder im Garten erspäht, gehört für die 57-Jährige zu den schönsten Momenten im Jahr.

Wohnt seit 51 Jahren in ihrem Lindenthaler Garten – die 101 Jahre alte griechische Landschildkröte Tomy.
Copyright: Susanne Hengesbach
In diesen Tagen hatte sie „noch gar nicht mit ihm gerechnet, weil die Nächte noch so kalt“ waren. Momentan leidet der alte Herr noch ein wenig unter Appetitlosigkeit, aber er ist bereits auf seiner bewährten Route unterwegs. „Morgens, wenn der Rasen noch feucht ist, kann ich ganz genau die Bahnen sehen, die er bereits gegangen ist.“ Das Aufwachen nach dem Winterschlaf sei für sie „jedes Mal wie ein Wunder“, sagt die Tanzschulen-Inhaberin.
Wenn von vierbeinigen Familienmitgliedern die Rede ist, denkt man automatisch an Hunde und Katzen und vielleicht noch an Hasen und Hamster; was zu kurz gedacht ist. Denn van Hasselt hängt – ungeachtet des definitiv geringeren Kuschelfaktors – genauso an ihrer griechischen Landschildkröte wie unsereins am wedelnden oder schnurrenden Mitbewohner. „Er ist ein Familienmitglied!“
Ein Leben mit Frühlingsgefühlen und besonderen Vorlieben
Sie war sechs Jahre alt, als die Eltern das Haus in Lindenthal bauten und später samt Dackel einzogen. Da Jagdhunde gerne buddeln, wurde der Zaun tief in der Erde verankert. Ein perfektes Terrain für Schildkröten, befand damals eine Verwandte und rückte mit gleich drei Exemplaren an, von denen es „seit vierzig Jahren allerdings nur noch Tomy gibt“.
Dass danach nie mehr ein Gefährte für das tagaktive, gepanzerte Reptil ins Haus kam, hat einen plausiblen Grund. Ein männlicher Kumpel und Tomy würden ziemlich sicher keine besten Freunde, sondern beinharte Rivalen. Und eine Gefährtin würde sich vermutlich bald auf eine einsame Insel wünschen; denn was ihren Sexualtrieb betrifft, stellen Schildkröten den in diesem Zusammenhang häufig genannten Rammler wohl noch in den Schatten.
Tomy habe seine Frühlingsgefühle gerne ein bisschen verspätet, erzählt van Hasselt. Der alte Grieche brauche Wärme, um auf Touren zu kommen. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, kann die Kölnerin nicht nur sehen, sondern auch hören. YouTube-Videos zeigen anschaulich, dass Landschildkröten beim Paarungsakt ein herzerweichendes, quiekendes Gestöhne von sich geben. Und sie benötigen dafür, was van Hasselt bestätigen kann, auch nicht zwingend einen artgerechten Partner. „Tomy hat große Steine genauso lieb.“
Schildkröten können sich nicht nur geräuschvoll artikulieren, sie können auch hören. Wenn sie ihn rufe, komme er für gewöhnlich aus dem Efeu herausgekrabbelt. „Und wenn ich ihn mal partout nicht finde, mache ich den Rasenmäher an. Den mag er nicht. Dann taucht er auf und sagt dem Gerät den Kampf an.“
Momentan geht es aber erstmal darum, dass Tomy langsam wieder was auf die Rippen bekommt. Auf dem Rasen liegen Salatblätter und Gurkenstücke, die der 101-Jährige allerdings noch nicht gierig verschlingt. Er ist halt noch müde. Wer wäre das nicht in dem Alter – nach mehr als sechs Monaten Dauerschlaf.