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Infografik

Erster Lebenslagenbericht
So geht es wohnungslosen Menschen in Köln

Lesezeit 5 Minuten
Fast 400 wohnungslose Menschen schlafen auch in Köln oft draußen, in Parks oder an Straßen.

Fast 400 wohnungslose Menschen schlafen auch in Köln oft draußen, in Parks oder an Straßen.

Wie leben wohnungslose Menschen in Köln? Und wer bleibt über Jahre ohne Wohnung? Ein Bericht von Sozialforschern gibt detailliert Auskunft.

Sie gehören zum Stadtbild — Kölner und Kölnerinnen, die ihre Schlafplätze im öffentlichen Raum haben und dort sichtbar sind. Doch sie machen nur einen kleinen Teil der wohnungslosen Menschen aus, die zur Vermeidung von Obdachlosigkeit etwa in Sozialhäusern, angemieteten Hotels oder Modulbauten der Stadt untergebracht sind. Über die Unterbringungszahlen hinaus gab es bisher keine fundierte Erhebung zur Heterogenität und Diversität obdach- und wohnungsloser Menschen in Köln, zu ihrem Alter, Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Staatsangehörigkeit. Deshalb hatte der Sozialausschuss der Stadt die Verwaltung im März 2022 beauftragt, Daten zur Lebenssituation obdachloser und wohnungsloser Menschen zu erheben. Der von „Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung“ (GISS) erstellte Bericht, der die Situation Anfang 2023 aufzeigt, liegt jetzt vor.

Wozu dient der Lebenslagenbericht?

Wenn die Teilgruppen wohnungsloser Menschen differenziert erfasst werden, also bekannt ist, wie ihre Altersstruktur ist, wie viele Kinder oder chronisch Kranke wohnungslos sind, welchen Gefährdungen sie ausgesetzt sind oder welche Hilfsangebote sie bisher genutzt haben, könnten etwa die im Rahmen des Kölner Konzeptes gegen Wohnungslosigkeit vorgeschlagenen Maßnahmen passgenauer geplant und gestaltet werden, so der Bericht. Das gelte zudem für die Leistungen und Dienste sämtlicher Anbieter von Hilfsstrukturen.

Wieviele Menschen sind in Köln wohnungslos?

Anfang des Jahres 2023 hatten 11 740 Menschen in Köln keine Wohnung. Neben 8594 Erwachsenen waren zu diesem Zeitpunkt auch 3146 minderjährige Kinder und Jugendliche betroffen. Die Zahl der betroffenen Familien hat sich durch die Fluchtbewegungen in den Jahren 2015/16 und 2022 im Zuge des Krieges gegen die Ukraine deutlich erhöht. Der Anteil erwachsener Männer (4115) und Frauen (3690), die institutionell untergebracht sind, ist ungefähr gleich hoch. 784 Erwachsene nehmen ein Unterbringungsangebot nicht an, 397 von ihnen leben gänzlich auf der Straße, 387 in „verdeckter Wohnungslosigkeit“ vorübergehend bei Bekannten.

Was sind Gründe für Wohnungsverluste?

Bei nahezu der Hälfte der Kölner Wohnungslosen waren Flucht und Vertreibung der Anlass für die Wohnungslosigkeit. Bis zu drei Viertel der Kölner und Kölnerinnen, die in Sozialhäusern (76 Prozent) untergebracht oder die ohne Unterkunft waren (71 Prozent), hatten zuvor eine Wohnung gemietet. Die wichtigsten Gründe für den Verlust einer Wohnung in Deutschland sind Mietschulden und Haft (siehe Grafik), so der Lebenslagenbericht.

Wie groß ist der Anteil geflüchteter Menschen?

Von den 8594 erwachsenen Wohnungslosen in Köln hatten 6184 (72 Prozent) im Frühjahr 2023 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Nimmt man die 3120 Kinder der Untergebrachten hinzu, von denen 2760 keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, steigt der Anteil der Nichtdeutschen auf 76 Prozent. Hochgerechnet leben fast 700 Bürger und Bürgerinnen aus der EU wohnungslos in Köln, darunter 420 Personen aus Südosteuropa. Große Gruppen waren Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine (2210 Personen, 25,5 Prozent) und Geflüchtete nach abgeschlossenem Asylverfahren (2101 Personen, 24,5 Prozent).

Wie lange sind Menschen wohnungslos?

Im Frühjahr 2023 waren mehr als 2529 Erwachsene seit mehr als fünf Jahren wohnungslos (34 Prozent, siehe Grafik). 61 Prozent der Erwachsenen, die teils mit Kindern und Jugendlichen in den Sozialhäusern der Stadt lebten, waren länger als fünf Jahre wohnungslos – ebenso wie 59 Prozent der Geflüchteten im Anschluss an ein abgeschlossenes Asylverfahren. Wie ist die Situation von Kindern und Jugendlichen?

Wie ist die Situation von Kindern und Jugendlichen?

Zu den am 31. Januar 2023 untergebrachten Erwachsenen gehörten 3120 Kinder und Jugendliche. Sie sind selten Mitglied in einem Verein und besuchen noch seltener ein Jugendzentrum, so der Bericht. Bei 40 Prozent der Haushalte mit Kindern zwischen sieben und 17 Jahren fehlt in der Unterkunft ein ruhiger Platz für die Hausaufgaben.

Welche Empfehlungen gibt der Bericht?

Weil etwa 35 Prozent der Befragten keine Beratungsangebote für wohnungslose Menschen kannten, empfiehlt der Bericht, hierüber wesentlich breiter aufzuklären. Um drohende Wohnungsverluste zu vermeiden, schließt sich die GISS-Forschungsgruppe der Forderung sozialer Träger nach mehr sozialpädagogisch geschultem Personal an, das etwa auch zu Wohnungssicherungen bei kurzfristigen Inhaftierungen aktiv werden könne. Zielführend könnten auch eine Imagekampagne und finanzielle Anreize für private Vermieter sein. Auch solle die Stadt die Vermietung zumindest eines Teils frei werdender geförderter Wohnungen an dringend wohnungssuchende Zielgruppen mit erheblichen Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt sicherstellen. Gefordert wird auch die Implementierung der bereits angedachten Sozialen Wohnraumagentur, die Wohnungen anmieten und untervermieten solle, aber auch Wohnungen gezielt neu schaffen könne.


Erhebungsverfahren der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung

800 Menschen, die Anfang 2023 ohne Wohnung in Köln lebten, gaben der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) schriftlich Auskunft über ihre Lebensumstände. Sie beantworteten über 40 Fragen wie etwa: Leben Sie allein oder mit anderen, haben Sie kinder? Sind Sie in Köln geboren oder aus anderen Teilen der Welt zugewandert? Wie steht es um Ihre Gesundheit? Wie ist es zu Ihrer Wohnungslosigkeit gekommen? Welche Angebote im Kölner Hilfesystem nutzen Sie? Haben Sie Diskriminierung oder Gewalt erfahren? Was kann die Stadt tun, um Ihre Lebenslage zu verbessern?

Der Kontakt zur Zufallsstichprobe von 800 Personen kam über die Kooperation mit Institutionen der Wohnungsnotfallhilfen und angrenzender Hilfesysteme zustande. Mit ihrer Hilfe wurde geklärt, zu welcher der Teilgruppen die Befragten gehören, Mitarbeitende händigten die Befragungsunterlagen aus und boten Unterstützung beim Ausfüllen an.

Die erhaltenen Antworten wertete die GISS-Studiengruppe als ungeschönt, kritisch, sorgfältig und ausführlich. In die Erhebung einbezogen waren auch eine mit Vertretenden der Stadt besetzte Lenkungsgruppe und ein Begleitkreis mit Vertretenden freier Träger und von Initiativen.