Kossikis Wahl-NiederlageIn der Kölner SPD ist ein offener Machtkampf entbrannt
Köln – Es ist 19.24 Uhr, als Andreas Kossiski (62) das „Stapelhaus“ in der Altstadt betritt. Die rund 120 Sozialdemokraten in dem Lokal feiern ihren OB-Kandidaten so, als hätte er soeben die Stichwahl gewonnen – mit lautem Jubel und rhythmischem Klatschen. „Dass wir heute hier mit diesem Ergebnis stehen, haben viele da draußen nicht gedacht. Das war euer Verdienst und mein Verdienst“, ruft er der Menge zu. Erst die Stichwahl erreicht, dann 40,7 Prozent gegen Amtsinhaberin Henriette Reker geholt – das ist für Kossiski „mehr als ein Achtungserfolg“. Die SPD könne „erhobenen Hauptes“ aus dieser Wahl gehen. Er dankt den vielen Wahlkampfhelfern, lobt ihren Einsatz: „So wünsche ich mir die Köln SPD – geeint, ein Ziel vor Augen, geschlossen, Schulter zusammen und kämpfen.“
Große Überraschung im Saal
Doch dann macht der Wahlverlierer deutlich, was seine Pläne sind – und sorgt damit sowohl für viel Applaus als auch für Staunen im Saal. „Ich bin nicht gekommen, um meine Koffer zu packen. Ich werde die SPD nicht im Regen stehen lassen.“ Er mache Partei und Fraktion ein Angebot. „Ich werde für den Vorsitz der Fraktion kandidieren.“ Und zwar „im Schulterschluss“ mit dem amtierenden Fraktionschef Christian Joisten (48) und Parteichefin Christiane Jäger (57), die auch in den Rat einzieht, schiebt Kossiski hinterher.
In diesem Moment frieren Joistens Gesichtszüge ein. Er, der direkt neben Kossiski steht, ist von dessen Ankündigung ebenso überrascht wie viele der Genossen im Saal. Auch er stehe zur Verfügung, um die Fraktion „weiterhin mit aller Kraft zu unterstützen und zu führen“, wird Joisten kurz darauf ins Mikrofon sprechen. „Unfassbar“ kommentiert ein Parteimitglied Kossiskis Worte, während andere begeistert klatschen.
„Ich werde jetzt nicht vom Spielfeld gehen“, betont Kossiski. Als Spitzenkandidat stehe er bereit, um im Rat Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine offene Kampfansage an Joisten, der stets deutlich gemacht hat, dass er die Fraktion weiterführen will. Joisten ist durchaus umstritten – seine Stellvertreter wollten ihn im Frühjahr per Abwahlantrag stürzen. Doch Joisten setzte sich durch und erzielte vor zwei Wochen als einziger SPD-Direktkandidat ein besseres Wahlergebnis als 2014.
Kossiski sagt, im Wahlkampf hätten er, Jäger und Joisten gezeigt, dass die drei gut zusammenarbeiten könnten. Nun werde man Gespräche führen und ein Ergebnis finden, „das gut ist für die SPD“. „Wir wollen keinen weiteren Streit, wir wollen nach vorne gucken.“ Er zitiert Johannes Rau: „Lasst uns Gräben zuschütten.“
Joisten überspielt vor der Menge, wie irritiert er ist, er spricht von einem „fulminanten Ergebnis“, dankt allen Helfern und Kossiski, „der der SPD ein Gesicht gegeben hat“, für das „Kämpfen bis zur letzten Minute. Die SPD müsse jetzt „den Schwung, den dieser Wahlkampf ihr gegeben hat“, nutzen.
Anschließend geben beide in einem Nebenraum Interviews. Kossiski sagt zu seiner Kandidatur für den Fraktionsvorsitz: „Es geht nicht gegen jemanden, es geht darum, dass man Verantwortung übernimmt.“ Er habe aus der Partei, aus der Bevölkerung die Rückmeldung bekommen, dass er sich für Köln einsetzen solle. „Und ich sehe mich absolut in der Verantwortung, das jetzt auch zu machen. Alles andere wäre eine Flucht.“
Er kandidiere für den Fraktionsvorsitz, „nicht um weiter zu spalten, sondern um die Fraktion und die Partei in dem Schwung, den wir in den letzten Wochen miteinander gehabt haben, auch weiter zu bringen“. Er sehe sich in der Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen.
Joisten redete danach Tacheles, er wirft Kossiski vor, sich nicht an Absprachen gehalten zu haben. „Es gibt Vereinbarungen, und die wurden heute Abend gebrochen. Das hat mich schon überrascht. Das werden wir im Nachgang versuchen zu klären.“ Andreas Kossiski habe nur auf Platz 1 der Ratsreserveliste der SPD gestanden, „weil es die klare Ansage von ihm gab, dass er nicht in den Rat geht“. Dazu habe es eine persönliche Absprache zwischen ihm und Kossiski gegeben, so Joisten. Diese Vereinbarung sei auch Parteichefin Christiane Jäger bekannt gewesen.
Auf die Frage, wie die SPD vor diesem Hintergrund Gräben zuschütten wolle, antwortet Joisten: „Ich kann heute Abend nicht erkennen, dass wir die Geschlossenheit, die wir in den letzten Tagen und Wochen erreicht haben, in eine gute Zukunft geführt bekommen.“ Er betont, seine Erklärung, dass er am Mittwoch zur Wahl des Fraktionsvorsitzenden antreten werde, sei allen bekannt gewesen, „insbesondere auch der Vorsitzenden“.
Nun kommt es darauf an, wer in der 19-köpfigen SPD-Fraktion mehr Stimmen hinter sich versammeln kann: Joisten oder Kossiski. Zu dem bevorstehenden Machtkampf, dem womöglich erneut über viele Monate ein lähmender Streit in der Fraktion folgen wird, sagt Joisten. „Wir sind leider wieder am Anfang. Das schmerzt mich schon sehr.“
Statt der Konzentration auf die Sacharbeit stehen der neuen Fraktion also womöglich Chaostage bevor. Ein Mitglied des Unterbezirksvorstands meint nach Kossiskis Ankündigung: „Das darf alles nicht wahr sein. Die Wahl ist gerade mal 90 Minuten her, und die SPD zerlegt sich schon wieder selbst.“