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Erfolg in Rio de JaneiroWie ein Kölner Rollstuhlfahrer den Zuckerhut bestieg

Lesezeit 5 Minuten
Johannes „Johnny“ Grasser ist an der Wand des Zuckerhuts. Ein Freund unterstützt ihn bei der Setzung der Hände.

Bevor es für Johannes „Johnny“ Grasser auf den Zuckerhut ging, wurde an dem Berg trainiert.

Von seiner Behinderung hat sich der Kölner Johannes Grasser noch nie aufhalten lassen. Zuletzt hat der 33-Jährige den Zuckerhut in Brasilien erklommen. Kurz darauf erschien auch seine Biografie.

„Mir macht das Leben einfach Spaß und ich habe vor nichts Angst. Wenn es mich auf die Schnauze haut, dann steh’ ich halt wieder auf“, sagt Johannes „Johnny“ Grasser. Gerade erst ist der 33-Jährige aus Brasilien wiederkommen. Zusammen mit seinem Team hat er den Zuckerhut in Rio de Janeiro bestiegen. Dass sie das gemeinsam geschafft haben, ist ihm besonders wichtig zu sagen. Denn Johnny sitzt im Rollstuhl. Er hat eine schlimme Form der Infantilen Cerebralparese (ICP). Das bedeutet, er hat eine Tetraspastik und kaum Kontrolle über seine Beine.

Doch Johnny hat sich bisher noch nie von seiner Behinderung aufhalten lassen. Er hat den Bachelor und Master in Sport gemacht und ein Studium zum Video- und Spielanalysten beim DFB absolviert. Das Ziel, den Zuckerhut zu besteigen, hatte er schon länger. Jetzt war es endlich so weit.

Mit Unterstützung kletterte Johnny Etappenweise den Berg hoch

Doch wie geht das überhaupt, im Rollstuhl einen Berg zu besteigen? Johnny erklärt, dass das normalerweise mit einer sogenannten Mehrseillänge passiert. Das heißt, meistens geht eine erfahrene Bergführerin oder ein Bergführer vor. Dann kommen ein oder zwei Personen gesichert nach zu dem Standplatz – so geht es Stück für Stück den Berg hoch.

Johnny und sein Team.

Nur zusammen mit seinem Team hat Johnny den Aufstieg geschafft.

„Genauso ist es quasi auch bei uns abgelaufen. Nur weil ich mich nicht so gut bewegen kann, ist es wichtig, dass man mich unterstützt und mir Körpergewicht abnimmt, das heißt Zug auf dem Seil hat“, erklärt Johnny. Dafür hat Mirjam Limmer, Bergführerin und Dozentin an der Sporthochschule, sich an jedem Standplatz mit Karabinern und einer Rolle einen Flaschenzug gebaut.

Auf Kommando zog sie Johnny hoch, den Rollstuhl hatte er dann nicht dabei. Zusätzlich war ein Kletterer neben ihm. Entweder Janek Rahtz, Physiotherapeut am Olympiastützpunkt und Kletterer, oder Helfer Paul Lübke. Beide unterstützen Johnny auch im Alltag. Am Fels haben sie Johnny beispielsweise geholfen, seine Hände und Füße zu setzen. Begleitet wurden sie von einem Kamerateam.

Viele Probleme brachten das Projekt Zuckerhut fast zum Scheitern

Entstanden ist die Idee, den Zuckerhut zu besteigen, 2019. Ein Freund hatte ihn gefragt, ob er mal überlegt habe, einen Berg zu besteigen. „Ich hab gesagt, eigentlich schon, aber kein Geld, kein Team, kein Equipment und dann meinte er, schauen wir mal, ob wir das gestemmt bekommen“, erzählt der 33-Jährige. Am nächsten Tag hat er Mirjam Limmer von der Idee erzählt – innerhalb von 24 Stunden war das Team komplett.

Doch was so schnell begonnen hatte, wurde durch die Pandemie und andere Probleme immer wieder verzögert. „Geplant war es für Spätsommer 2019. Das Projekt stand mehrere Male auf der Kippe“, sagt Johnny ehrlich. Er ist froh, dass er es nun endlich umsetzen konnte. Noch ein Jahr hätte er das Training auf diesem Niveau zudem nicht durchgehalten. Statt drei bis vier Stunden am Tag trainierte er bis zu sechs. Schleifen lassen durfte er es nicht. „Das geht mit der Spastik nicht. Wenn ich mich eine Woche zurücklehne, brauche ich etwa vier Wochen, um das wieder aufzuholen“, erklärt er.

Johnny liegt erschöpft auf dem Boden zwischen den Kletterseilen.

Für Johnny war der Aufstieg ganz schön anstrengend.

Auch vor Ort gab es Komplikationen. Die geplante Route war zu schwierig – die Alternative am geplanten Tag gesperrt wegen Wartungsarbeiten. Am Ausweichtag war es dann sehr heiß: 35 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent.

Aufgestanden ist Johnny um 2 Uhr morgens, dann bekam er eine halbe Stunde Physiotherapie. Planmäßig sollte das Team um 5 Uhr eine Gondel nehmen – die kam zu spät. „Man musste von der Talstation auf die Mittelstation fahren, dann zweieinhalb Kilometer durch den Dschungel, da haben mich die Jungs dann getragen“, erzählt der 33-Jährige. Um 7 statt 6 Uhr war das Team an der Wand.

Johnny will andere motivieren, sich mehr zu trauen

Um 17.30 Uhr zum Sonnenuntergang haben sie es geschafft: 220 Klettermeter auf die Spitze des Zuckerhuts. „Wir waren alle unfassbar erschöpft. Es gibt auch kein Foto von da oben“, sagt Johnny. „Das war natürlich schon geil nach drei Jahren Vorbereitungszeit, aber so ganz habe ich das noch nicht realisiert.“

Johnnys Intention hinter dem Projekt: „Dass Leute sich mehr trauen und Leute auch entspannter mit Leuten wie mir umgehen.“ Außerdem erzählt er, dass ihm bewusst geworden sei, dass er sich selbst häufig in Schubladen steckt.

„Ich habe über die Jahre immer mehr an meine Helfer ausgelagert. Das sind aber auch meine Freunde und es kann für sie anstrengend sein, wenn der Eindruck entsteht, dass sie Sachen machen, die ich selbst könnte.“ Die Reise war für Johnny sehr wichtig: „Es hat eine persönliche Komponente, weil das Projekt für all die Schwierigkeiten steht, die ich in der Vergangenheit hatte. Es ist wie ein Abschlusspunkt im Kampf gegen die Schubladen.“


Johannes Grasser hat, nachdem er aus Rio zurückgekehrt war, noch ein Buch veröffentlicht. „Mich bremst niemand aus“ sei, wie Johnny erzählt, eigentlich durch Zufall entstanden. Er selbst habe gedacht: „Wen interessiert das denn?“ Doch nach dem Auftritt in einer Talkshow hatte sich ein Verlag bei ihm gemeldet.

Das Buch beschreibt er als „Eine Art Biografie, die auch kritisch mit manchen Themen umgeht, aber am Ende versucht, ein positives Fazit zu ziehen.“ Wichtig war es Johnny auch, Humor einzubringen. Das sei gerade bei dem Thema Inklusion wichtig, sonst habe es keine Wirkung. Sein Ziel mit dem Buch ist, „dass Leute sich mehr Dinge trauen, egal ob mit oder ohne Handicap“.

„Mich bremst niemand aus“ hat 240 Seiten und ist im Riva Verlag erschienen. Das Taschenbuch kostet 16 Euro und ist im Buchhandel und auf Amazon erhältlich. (khe)